Der Show-Prozess

Die Medienmaschine zerstört ihr eigenes Produkt. In der Berichterstattung über den Prozess gegen Michael Jackson steht das Urteil schon fest. von markus ströhlein

Ich sterbe unschuldig an den Verbrechen, die mir zur Last gelegt werden. Ich vergebe denen, die meinen Tod beschlossen haben, und bete zu Gott, dass das Blut, das ihr im Begriff seid zu vergießen, nicht auf Frankreich zurückfällt.« Kurz nach diesen Worten rollte der Kopf Ludwigs XVI. Betrachtet wurde die Szenerie den Memoiren des Priesters Henry Essex Edgeworth zufolge, der Ludwig XVI. auf dem Weg zum Schafott begleitete, von einer »Menge, die sich ausbreitete, so weit das Auge reichte«. Wenn es den Großen an den Kragen geht, kommen die Kleinen zum Zuschauen. Das gilt für das Jahr 1793 wie für 2005. Das gilt für König Ludwig XVI. wie für den King of Pop.

Für Michael Jackson geht es im Moment ebenfalls um Kopf und Kragen. Seit dem 31. Januar muss er sich vor einem Gericht im kalifornischen Santa Monica verantworten. In zehn Anklagepunkten werden dem 46jährigen unter anderem sexueller Missbrauch eines Minderjährigen, Kindesentführung und Freiheitsberaubung vorgeworfen. Vom Pophimmel musste sich Jackson schon vor längerem verabschieden. Nun drohen ihm bei einer Verurteilung 20 Jahre Knasthölle.

Eine Ikone im unfreiwilligen Sturzflug zu beobachten, lässt sich eine auf Prominenz fixierte Medienmaschine nicht entgehen. Ein Heer von 1 100 Journalisten aus den USA, Großbritannien, Japan, Deutschland, Australien, der Schweiz und Mexiko belagert seit Prozessbeginn Santa Monica. Die Menge an Medienmenschen vor Ort übersteigt laut Aussagen des Long Island Newsday die Zahl der im Irak-Krieg tätigen »embedded journalists« um fast das Doppelte. Die Washington Post berichtet, CNN habe gegenüber dem Gerichtsgebäude eine Kameraplattform aufgebaut und NBC habe auf einem nahe gelegenen Baseballfeld einen Containerturm errichtet. Fox, CBS und Court TV wollen mit eigenen Türmchen nachziehen. Die Bewohner von Santa Monica machen das Beste aus dem Trubel, nämlich Geld. Büroräume, Parkplätze oder gute Aussichtspunkte für Kameras finden trotz horrender Preise Mieter.

Die Infrastruktur für die Medien ist vorhanden. Was fehlt, ist der Rohstoff. Anders als im ersten großen medial vermarkteten Prozess der USA, dem O.J.-Simpson-Prozess Mitte der neunziger Jahre, hat Richter Rodney S. Melville Kameras aus dem Gerichtssaal verbannt.

Auch Mobiltelefone und Laptops dürfen nicht in die Verhandlung mitgebracht werden. Trotz heftigen Einspruchs seitens der Medien und des Hinweises auf das in der US-amerikanischen Verfassung festgelegte Recht auf freie Berichterstattung bleibt es nach wie vor dabei: Es gibt keine Bilder aus dem Gerichtssaal in Santa Monica.

Bilder gibt es aber natürlich trotzdem. Was sich die Verantwortlichen von Sky News und E! Entertainment Television zunächst als Notbehelf ausgedacht haben, könnte wegweisend für die zukünftige Prozessberichterstattung werden. Anhand der Prozessprotokolle stellen die Sender den Prozess gegen Michael Jackson mit Schauspielern nach. Ein kompletter Verhandlungstag wird auf eine halbe Stunde eingedampft. Was unter den Tisch fällt, sind formaljuristische Längen des realen Gerichtsgeschehens. Was bleibt, ist der Sensationsgehalt. Mission erfüllt.

Shelly Palmer, Vorsitzender der Nationalen Akademie für Fernsehkunst und –wissenschaft in New York, zeigte sich in seinem Internet-Tagebuch angesichts der handwerklichen Leistung der Sender begeistert: »Das ist sicher eine Lehrstunde in fortgeschrittener Medientechnik. Einen Tag voller Zeugenaussagen transkribieren, ein Skript gestalten, casten, die Szenen drehen, editieren, nachbearbeiten, mastern und verschicken, und das praktisch über Nacht. He, Jungs, guter Job.«

So stelzen statt Michael Jackson, Richter, Staatsanwalt und Verteidiger Schauspieler durch das Bild, allen voran das Jackson-Double Ed Moss. Der durfte bereits in »Scary Movie 3« eine Karikatur des jetzt schon zum Kinderschänder gestempelten Jackson geben und agiert in seiner jetzigen Rolle hölzern wie eine Handpuppe. Abgesehen von schauspielerischen Defiziten steht die Nachstellung vor einem grundsätzlichen Problem. Auch die Schauspieler haben keine Bilder aus dem Gerichtssaal, wissen also nicht, wie die echten Prozessbeteiligten agieren. So bleibt der Zwang zum spekulativen Schauspielern. Was von den Sendern als Nachstellung eines realen Ereignisses angepriesen wird, ist Schmierenschauspiel, der vermeintliche Blick in den Gerichtssaal eine dramaturgisierte Reality-Soap.

Der Leidtragende der medialen Verzerrung dürfte vor allem Michael Jackson sein. Der BBC-Reporter Peter Bowes fragte, angesichts der Ausstrahlung einer sensationsheischenden Dokumentation über Jackons Privatleben durch den Sender ABC am Abend vor Prozessbeginn, wie viele Mitglieder der Jury wohl Zeugen der Ausstrahlung geworden seien und wie eine Vorverurteilung durch die Medien überhaupt verhindert werden könne. Auf den Webseiten von Sky News, E! Entertainment Television und dem deutschen Musiksender Viva, der den nachgestellten Prozess ebenfalls ausstrahlt, darf bereits über Michael Jacksons Schuld oder Unschuld abgestimmt werden.

Der Starkult der Medienmaschine wendet sich gegen sein eigenes Produkt. Nach der Suche nach Superstars folgt nun die Zerstörung eines Superstars. Auf der Anklagebank sitzt nicht die Person, sondern das Modell Michael Jackson. Kein Star zum Anfassen, kein Junge von nebenan, keiner, der trotz Erfolgs am Boden geblieben ist.

Jacko war der Inbegriff des Exzentrikers, der mit einem Schimpansen in einer Bimmelbahn durch seine eigene Welt Neverland tuckert. So einem traut man alles zu. So einer schändet auch Kinder. Selbst wenn der wirkliche Prozess zu Gunsten von Michael Jackson ausgeht, wird man ihm seine Unschuld ebenso wenig abnehmen wie Ludwig XVI. Dafür haben die Medien bereits gesorgt.