Diplomatische Suche

Nachdem die EU-Beitrittsgespräche wegen mangelnder Zusammenarbeit mit dem Kriegsverbrechertribunal verschoben worden sind, befindet sich die kroatische Regierung in Schwierigkeiten. von martin schwarz, wien

Dass die EU-Beitrittsgespräche mit Kroatien nun doch nicht stattfinden und daher der vorgesehene Beitrittstermin im Jahre 2009 gefährdet ist, kann Kroatiens Premier, Ivo Sanader, seinen Landsleuten zwar nicht wirklich als diplomatischen Sieg verkaufen. Nach wie vor aber beteuert er, dass die Entscheidung der EU-Kommission nicht unbedingt die Stimmung in den meisten europäischen Staaten widerspiegele. Es habe sich eine größere Zahl von Ländern für Kroatien als gegen den Beginn der Beitrittsgespräche ausgesprochen, behauptete er.

Tatsächlich aber standen zuletzt nur acht der 25 EU-Mitglieder auf der Seite Kroatiens, obwohl der ehemalige General und mutmaßliche Kriegsverbrecher Ante Gotovina noch immer nicht im Untersuchungsgefängnis des UN-Kriegsverbrechertribunals in Den Haag sitzt. Die Vertreter von Ungarn, Slowenien, der Slowakei, Malta, Litauen, Zypern, Irland und Österreich sprachen sich für den Beginn der Beitrittsgespräche aus. Die restlichen Mitgliedsstaaten folgten der Version der Chefanklägerin des Haager Kriegsverbrechertribunals, Carla del Ponte. Sie wirft Kroatien zumindest die stillschweigende Duldung des Umstandes vor, dass sie Gotovina noch immer nicht persönlich sprechen konnte.

Sie hat mehrmals orakelt, Gotovina verfüge über ein »wohl organisiertes Netz der Unterstützung, auch innerhalb der staatlichen Strukturen«. Als Beleg für diese These veröffentlichte del Ponte kürzlich einen Bericht, in dem von einem Treffen von kroatischen Regierungsvertretern mit Gotovina im benachbarten Bosnien-Herzegowina die Rede ist. Dabei sollen die Emissäre aus Zagreb dem ehemaligen General nahe gelegt haben, sich freiwillig zu stellen.

Schon lange wirft man der kroatischen Regierung unter Führung des konservativen Premiers Sanader vor, aus innenpolitischem Kalkül von einer Verhaftung Gotovinas abzusehen. Nicht alle Europa-Politiker dagegen schenken diesem Vorwurf del Pontes Glauben. Der Fraktionschef der österreichischen Sozialdemokraten im EU-Parlament, Hannes Svoboda, hält die Fakten für dürftig: »Wir haben keinerlei Beweise gesehen. Auch sonst habe ich niemanden getroffen im Laufe der letzten Wochen, der Beweise vorweisen konnte.« Dagegen haben vor allem Großbritannien, Finnland und Dänemark immer wieder betont, dass es nicht nur um die Auslieferung Gotovinas gehe, sondern auch um sein »Unterstützernetzwerk«.

Offensichtlich nimmt man dem konservativen Premier Sanader, der der Demokratischen Bewegung Kroatiens (HDZ) angehört, die einst Franjo Tudjman gegründet hat, das Bekenntnis zu einer uneingeschränkten Zusammenarbeit mit dem Kriegsverbrechertribunal in Den Haag nicht überall wirklich ab. Würde der ehemalige General nunmehr von kroatischen Behörden festgenommen werden, müsste sich die Regierung den Vorwurf gefallen lassen, den EU-Beitritt plötzlich doch als oberste Priorität erkannt zu haben und Gotovina eben mangels Alternativen über die Klinge springen zu lassen. Die Regierung befindet sich nun in innenpolitischen und diplomatischen Schwierigkeiten.

Auf die politische Stimmung in Kroatien hat der Fall Gotovina schon jetzt enorme Auswirkungen. Obwohl sich praktisch alle wesentlichen politischen Parteien von der HDZ bis zu den Sozialdemokraten um eine Beruhigung der Lage bemühen, scheint die Bevölkerung das Gezerre um den EU-Beitritt verunsichert zu haben. 44 Prozent der Befragten sind laut einer Meinungsumfrage nach wie vor für den EU-Beitritt, bereits 38 Prozent sind allerdings dagegen. Zudem geben 32 Prozent der Befragten der Regierung die Schuld für die missglückten Beitrittsverhandlungen, 38 Prozent der Europäischen Union und natürlich Carla del Ponte.

Ante Gotovina genießt besonders in der bosnischen Herzegowina und im südlichen Teil Kroatiens unter der Bevölkerung Sympathien. Der Veteranenverband Kroatiens enthüllte in Zagreb am Mittwoch vergangener Woche ein Plakat zu seinen Ehren. Auf der fünf mal fünf Meter großen Fotografie ist der ehemalige General mit einem Militärbarett zu sehen. Noch immer wird er von vielen Kroaten wie ein Volksheld verehrt. Schließlich hat er daran mitgewirkt, das Identität stiftende Kleinod Kroatiens, die früher mehrheitlich serbisch besiedelte Krajina, durch seinen Feldzug im Jahr 1995 wieder unter die Kontrolle der Zentralregierung zu bringen. Allerdings soll er währenddessen für die Tötung von rund 150 serbischen Zivilisten und unbeschreibliche Gräueltaten bei der Vertreibung tausender Serben aus der Krajina verantwortlich gewesen sein.

Einkalkuliert werden sollte bei der Frage nach dem Aufenthaltsort Gotovinas und dem möglichen Zugriff der Behörden auch die Tatsache, dass der Mann kein Laie in seinem Geschäft ist. Er hat bereits vor seinem Eintritt in die kroatische Armee den Krieg in allen Variationen geübt, als Söldner in den südamerikanischen Krisenherden Argentinien, Kolumbien und Paraguay und als Mitglied der französischen Fremdenlegion. Einen französischen Pass besitzt er seit Jahren, seit 1979 ist er französischer Staatsbürger.

Andererseits hat er beste Kontakte zum Lager des früheren Todfeindes, nach Serbien. Mit dem Hauptverdächtigen für das Attentat auf den ehemaligen serbischen Premierminister Zoran Djindjic, Milorad Ulemek, verbindet ihn eine enge Freundschaft. Gemeinsam flohen sie aus Jugoslawien, als sie wegen Raubes gesucht wurden. Und gemeinsam bauten sie in Bosnien-Herzegowina eine Verbrecherorganisation auf. Nach dem Mord an Djindjic soll sich Ulemek, besser bekannt unter dem Tarnnamen »Legija«, zwei Jahre lang mit Unterstützung Gotovinas in Bosnien aufgehalten haben. Der schillernde Lebenslauf des Ante Gotovina könnte ein Indiz dafür sein, dass die kroatische Regierung unter Umständen tatsächlich keinen Zugriff auf den Mann hat.

Ein Signal an andere Staaten des Balkans ist das Verhalten der EU gegenüber Kroatien allemal. Schon verliert man in Serbien die Hoffnung darauf, trotz einiger offener Rechnungen mit der UN die europäische Integration vorantreiben zu können. Bisher hat sich etwa der serbische Premier, Vojislav Kostunica, vor allem darauf beschränkt, die »serbischen Helden«, als welche gesuchte mutmaßliche Kriegsverbrecher oftmals dargestellt werden, zu einer freiwilligen Aufgabe zu bewegen. Es dürfte nun auch ihm dämmern, dass dies zu wenig sein wird.

Zumindest der kroatische Staatspräsident Stipe Mesic verbreitet aber auch weiterhin Optimismus. Er gab kurz nach dem abschlägigen Bescheid aus Brüssel die Devise »nicht verzagen« aus: »Ich glaube, dass wir in kurzer Frist glaubwürdig sein werden.« Ob der Fall eintritt, liegt derzeit wahrscheinlich aber in der Verantwortung eines Mannes, dem der EU-Beitritt Kroatiens ziemlich schnuppe sein könnte: Ante Gotovina.