Psyche und Pogrom

Zwei antisemitsche Skandale erschüttern die französische Kulturwelt. von bernhard schmid

Ein Schriftsteller, der jüngst für einen Skandal sorgte, erklärt: »Ich schäme mich nicht für meine eigenen Faschismen. Sie sind da, in mir drinnen. Sie drücken einen Teil meiner Natur aus, ich betrachte sie nicht als unnatürlich, sie sind fester Bestandteil meiner Psyche.« Und ein Theatermacher, der vor zehn Jahren noch als Bannerträger des Antirassismus galt und den Kampf gegen den rechtsextremen Front National zu seiner persönlichen Angelegenheit erhob, erkennt heute in dem neofaschistischen Funktionär Bruno Gollnisch seinen Leidensgenossen. So lassen sich zwei der jüngsten Affären resümieren, die die französische Kulturwelt erschütterten. Der französische Premierminister Jean-Pierre Raffarin nannte sie jüngst in einem Atemzug, als er Mitte Februar vor der Gefahr antisemitischer Tendenzen warnte.

Am 3. Januar erschien in dem renommierten Pariser Verlag Flammarion das 248 Seiten umfassende Buch des jungen Autors Eric Bénier-Burckel, das den bezeichnenden Titel »Pogrom« trägt. Der 33jährige Philosophielehrer hat eine fiktive Geschichte erzählt, die vor Hass nur so trieft, angefangen bei Frauenverachtung und einer plakativen Abneigung gegen Großbürger.

Die Hauptfigur seines Romans, Oberstufenlehrer wie der Verfasser selbst, lernt eine reiche Erbin im wohlhabenden 6. Pariser Bezirk kennen. Sie ist alles andere als attraktiv, doch der Protagonist zieht in ihre Wohnung ein und macht sich finanziell von ihr abhängig. Denn die Liaison erlaubt ihm, endlich von Geldzwängen unabhängig zu werden und sein großes Lebensprojekt zu verfolgen – nämlich einen Roman zu schreiben. Über den Text, den er verfasst, erfährt man nichts, abgesehen davon, dass er von maßlosem Hass geprägt ist. Eigentlich ist es also Bénier-Burckels Buch selbst, das auf diese Weise gespiegelt wird. Über endlose Seiten hinweg beschimpfen »l’inqualifiable« (der Unbeschreibliche) und »l’hôtesse« (die Gastgeberin) sich ausgiebig, beweisen sich ihre abgrundtiefe Verachtung füreinander.

Das ist auch schon fast alles: Die Romanhandlung ist furchtbar einfach gestrickt und miserabel aufgeschrieben, mit einer Vielzahl von schrägen Metaphern und einer ermüdenden Anhäufung von Adjektiven. Wahrscheinlich macht aber genau das den Roman für einige Kritiker so attraktiv; sie meinten, darin ein neues Genre von literarischem Trash zu erblicken. Zu einem solchen Konzept bekennt sich auch Bénier-Burckel, der sich in Anspielung auf Bret Easton Ellis als »zur Generation ›American Psycho‹ gehörend« bezeichnet.

Als es erschien, blieb das Buch zunächst fast unbemerkt. Dann aber lenkten die beiden linken Schriftsteller Bernard Comment und Olivier Rolin durch einen Gastbeitrag in Le Monde das Augenmerk auf Passagen, die neben der allgemeinen hasserfüllten Atmosphäre des Romans auch spezifisch antisemitische Tiraden enthalten.

Zunächst tritt der Freund des »Unbeschreiblichen« auf, ein gewisser Mourad, »ein Araber«. Diesem werden eindeutig antisemitische Passagen in den Mund gelegt: »Das ist ihnen noch nicht aus dem Kopf gegangen, der Genozid. Sie wiederkäuen ihn nach jeder Melodie, mit jeder Sauce, und schön laut, damit man sie beklagt. (…) Mit der Shoah haben die Anhänger der überlegenen Rasse 10 000 Jahre Straflosigkeit gewonnen. Und sie wundern sich, dass man ihnen die Hose herunterziehen und sie in den Arsch ficken will, von Paris bis Wladiwostok mit Umweg über Berlin, Rom, Moskau und sogar Kuba.« Im Anschluss schlägt Mourad, der den Protagonisten anpumpen will, ihm käuflichen Sex mit einer Jüdin namens »Rachel« vor. Auf mehreren Seiten wird ausführlich beschrieben, wie erst einer der Hunde von Mourad, dann dieser selbst und am Ende der »Unbeschreibliche« die Frau von hinten besteigen. Die drei Hunde heißen Pétain, Drumont und Brasillach. Philippe Pétain war ab 1940 der Chef des Vichy-Regimes. Edouard Drumont verfasste um 1880 das Grundlagenwerk des modernen Antisemitismus in Frankreich, »La France juive«. Robert Brasillach war ein antisemitischer Schriftsteller und Nazikollaborateur, der im Februar 1945 erschossen wurde. Man kann es als besondere Infamie bezeichnen, dass Bénier-Burckel sein Buch »den Schwarzen und den Arabern« widmete. Denn diesen Gruppierungen legt er nur seine eigenen Hassbotschaften in den Mund. Dabei ist die Gesellschaft der Einwanderer aus mehrheitlich moslemischen Ländern in Frankreich sehr heterogen und komplex, und lässt sich keinesfalls auf die Anhänger antijüdischer Hassgefühle, die es gibt, reduzieren.

Einer, den sich Bénier-Burckel unterdessen tatsächlich zum Vorbild nehmen könnte, ist der schwarze französische Schauspieler und Fernsehkomiker Dieudonné M’bala M’bala. Der Mann steigert sich seit anderthalb Jahren in einen immer schriller werdenden Hassdiskurs gegen die französischen Juden hinein. Sie beschuldigt er, daran Schuld zu tragen, dass er einen Film über die Geschichte der Sklaverei aus finanziellen Gründen nicht realisieren konnte; »zionistische Autoritäten« in der französischen Kinowelt hätten ihn daran gehindert. Dieudonné wirft den Juden Frankreichs vor, sie hätten an der Sklaverei verdient und damit Finanzimperien errichtet, obwohl die Autoren des Code noir, des französischen Sklavereigesetzes, auch direkt antijüdische Verordnungen zu verantworten hatten.

Den Hintergrund dafür bietet eine Art von »Opferkonkurrenz«, wie sie auch schon vor längerem unter den Minderheiten in den USA beobachtet wurde, angeheizt vom antisemitischen Prediger Louis Farrakhan: Manche Schwarze beschuldigen die Juden, durch ihren »Opferstatus« aufgrund der Shoah das Leiden der Menschheit »zu monopolisieren« und dadurch am Schweigen über die Unterdrückung der Schwarzen wesentlich schuldig zu sein.

Nunmehr ermittelt die französische Justiz gegen Dieudonné: Er hat sein neuestes Theaterstück »Mes excuses« (»Meine Entschuldigung«), in dem er sich aber keinesfalls entschuldigt, sondern seine Anklagen zuspitzt, Mitte Februar zum ersten Mal außerhalb Frankreichs aufgeführt, und zwar in Algier. Aus diesem Anlass bezeichnete er auf einer Pressekonferenz den aktuellen politischen Diskurs über die Shoah als »Erinnerungspornografie« und sprach von einer »Überdosis« der Erinnerung. Ein weiteres Mal ließ er durchblicken, in seinen Augen seien die von ihm attackierten jüdischen Lobbys für die Ausbreitung von Aids in Afrika verantwortlich.

Dieudonné ist mittlerweile politisch isoliert. Anfänglich hatte er sich um einige Palästina-Solidaritätsgruppen bemüht, wo er jedoch nach seinen ersten judenfeindlichen Äußerungen von Ende 2003 keinen Anklang fand, denn in den meisten Gruppen arbeiten linke französische Juden an führender Stelle mit. Die vor den Europaparlamentswahlen im Juni 2004 gegründete, kommunitaristisch ausgerichtete Kleinpartei Euro-Palestine gab Dieudonné dann aber zunächst eine Bühne, wo er als vermeintlicher Fürsprecher der Palästinenser auftreten konnte. Euro-Palestine wurde aber von den meisten Gruppen des Solidaritätsspektrums gemieden oder verurteilt, da der Neugründung vorgeworfen wurde, ein unklares Verhältnis zum Antisemitismus zu haben und diesen als »Mediengespinst« abzutun. Wenig umstrittene Persönlichkeiten wie Maurice Rajfus – ein linker jüdischer Schriftsteller und Historiker der Shoah sowie des Kolonialismus, den die Liste zunächst gewonnen hatte – sprangen schnell ab und kritisierten die Liste Euro-Palestine öffentlich. Dieudonné jedoch konnte auf einem der vorderen Plätze kandidieren. Nach einem gemeinsamen Fernsehauftritt mit dem antisemitischen und sexistischen Skandalautor Alain Soral wurde es jedoch selbst den Leuten von Euro-Palestine zu viel: Sie schlossen Dieudonné Ende Oktober aus.

In dieser Situation entdeckte Dieudonné einen Leidensgenossen. Der rechtsextreme Parteifunktionär Bruno Gollnisch, der wegen Holocaustleugnung für fünf Jahre vom Hochschuldienst suspendiert worden ist, werde »in unglaublicher Weise« drangsaliert, bemerkte Dieudonné vor Journalisten und versicherte eilig, er teile dessen politische Ideen ansonsten natürlich nicht. Gollnisch seinerseits bemerkte anerkennend, »von Barre bis Dieudonné« hätten sich Persönlichkeiten für seine Meinungsfreiheit eingesetzt. Raymond Barre ist der wirtschaftsliberale frühere Oberbürgermeister von Lyon, der seinen Universitätskollegen Gollnisch als Ehrenmann bezeichnete.

Dieudonné dürfte sich damit endgültig ins politische Abseits manövriert haben, auch die schwarze Community ging in großer Mehrheit auf Distanz zu ihm. Aber die gefährliche Mischung aus politischer Konfusion, Kommunitarismus und antisemitischer Verschwörungsideologie, die er verkörpert, droht weiterhin Wirkung zu entfalten.

Eric Bénier-Burckel: Pogrom. Flammarion, Paris 2005, 248 S., 18 Euro