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Alle Welt will den Handel mit China intensivieren. Und China handelt mit allen, verstärkt auch in Lateinamerika. von knut henkel

In jedem größeren peruanischen Supermarkt gehören Produkte aus China längst zum festen Sortiment. Vor allem Spielzeug, billige Elektronik und Textilien werden über den Pazifik exportiert, nicht nur nach Lima, sondern ebenso nach Buenos Aires, Rio de Janeiro oder Santiago de Chile. Zwar sind die chinesischen Waren nicht überall gern gesehen, da sie der heimischen Industrie Konkurrenz machen. Als Kunden aber sind Chinesen schon seit Jahren gern gesehen, da sie stets mit Einkaufslisten kommen. Vor allem Rohstoffe kaufen sie in Lateinamerika. Und spätestens seit dem Besuch des chinesischen Präsidenten Hu Jintao im November eint die Hoffnung auf chinesische Investitionen den ganzen Subkontinent.

Mit einem großen Gefolge von Unternehmern und Parteifunktionären besuchte Jintao Argentinien, Brasilien und Chile. Die Zeit für einen Abstecher nach Lima fand er nicht. Allerdings laufen dort die Geschäfte ohnehin schon besonders gut. In den vergangenen zehn Jahren ist der Handel zwischen beiden Ländern um das Fünffache gewachsen. Und zwar nicht nur, weil in Peru mehr chinesische Einwanderer leben als irgendwo sonst in Lateinamerika.

Im Februar wurde das letzte große chinesisch-peruanische Geschäft abgeschlossen: In einer Absichtserklärung wurde vereinbart, dass sich der größte chinesische Ölproduzent, die China National Petroleum International (CNPC), künftig an der Erdölraffinierung in Peru beteiligen soll. Das Unternehmen ist bereits auf peruanischen Ölfeldern tätig und hält dort Anteile. Jährlich wird in Peru unter der Regie der CNPC über eine Million Tonnen Rohöl gefördert. Der Konzern ist in 20 Ländern tätig und förderte im vergangenen Jahr immerhin 30,1 Millionen Tonnen Öl und 3,55 Milliarden Kubikmeter Gas im Ausland. CNPC ist nur ein Beispiel für das wachsende Interesse Chinas an Lateinamerika.

Die Verantwortlichen in Peking gehen davon aus, dass sich China und Lateinamerika ideal ergänzen. Lateinamerika verfügt über die Rohstoffreserven, die Chinas Wirtschaft benötigt, um weiter zu wachsen. Die Rohstoffe sollen nun systematisch erschlossen werden, nicht nur in Peru, das ebenso wie Chile große Mengen Kupfer liefert, sondern auch in Argentinien, Brasilien oder Kuba.

Rund 100 Milliarden US-Dollar will China in den kommenden zehn Jahren in Lateinamerika investieren, kündigte Präsident Hu Jintao vor dem brasilianischen Kongress an. 20 Milliarden beansprucht Argentinien, wie Präsident Néstor Kirchner etwas voreilig erklärte, was von den Chinesen auch prompt zurückgewiesen wurde. Tatsächlich hat Argentinien einiges zu bieten, vor allem landwirtschaftliche Produkte wie Soja, Weizen und Rindfleisch. Bereits jetzt gehen neun Prozent der argentinischen Agrarexporte nach China. Dessen landwirtschaftlich nutzbare Fläche ist begrenzt und scheint nicht auszureichen, um die wachsenden Ansprüche von 1,3 Milliarden Menschen zu befriedigen. Deshalb ist die chinesische Führung auf der Suche nach Alternativen. Allerdings stieß der Wunsch der chinesischen Regierung, Agrarland zu erwerben, bislang auf Ablehnung. Dennoch bleibt China den lateinamerikanischen Agrarproduzenten weiter als Großkunde erhalten.

Ein noch größeres Interesse als an Nahrungsmitteln hegt man in Peking an Rohstoffen für die industrielle Weiterverarbeitung. Denn die chinesischen Vorkommen an Kupfer, Nickel, Eisenerz, Stahl, Aluminium und Erdöl genügen bei weitem nicht, um den Bedarf zu decken. Lateinamerika hat all das zu bieten. Kein Wunder, dass der Handel boomt.

So stiegen die Gesamtausfuhren Lateinamerikas zwischen 1999 und 2003 durchschnittlich um sagenhafte 50 Prozent pro Jahr. Die Importe aus China nahmen hingegen um rund 20 Prozent zu. Und der bilaterale Handel soll weiter intensiviert werden. Zwischen Brasilien und China beläuft sich das Handelsvolumen derzeit auf rund zwölf Milliarden US-Dollar, bis 2010 soll es verdreifacht werden. Große Erwartungen sind auf die Kooperation zwischen dem brasilianischen Ölkonzern Petrobrás und der chinesischen Sinopec gerichtet, die einen Umfang von acht Milliarden Dollar hat. Auch in den Bergbau, in Stahl- und Aluminiumwerke sowie in die Infrastruktur will China investieren.

Diese Investitionen hat Brasilien, ebenso wie andere lateinamerikanischen Staaten, dringend nötig. Nicht zuletzt wegen rückläufiger Direktinvestitionen ist in den vergangenen Jahren nur wenig für die Infrastruktur getan worden. Mit diesen Investitionen erwirbt China allerdings auch die Kontrolle über Rohstoffe. Dabei kann die Regierung in Peking aus dem Vollen schöpfen: Das Guthaben an Devisen belief sich im Juni des vergangenen Jahres nach Angaben der Zentralbank auf 471 Milliarden US-Dollar.

Nach China drängt seit Jahren das internationale Kapital – allein 2003 flossen 53 Milliarden US-Dollar ins Land. Noch vor wenigen Jahren hätte zumindest ein Teil dieser Devisen den Weg nach Lateinamerika gefunden. Doch China hat den emerging markets in Lateinamerika längst den Rang abgelaufen. Auf 30,5 Milliarden US-Dollar beliefen sich die lateinamerikanischen Auslandsinvestitionen im Jahr 2003, wenige Jahre zuvor waren sie noch doppelt so hoch. Auch das ist ein Grund, weshalb chinesische Investitionen willkommen sind.

Dabei ist Brasilien das einzige Land des Kontinents, das auch Industrieprodukte nach China liefert und dort investiert. Der erfolgreiche brasilianische Flugzeughersteller Embraer, der jüngst aus dem Pentagon einen Auftrag über sieben Milliarden US-Dollar für Überwachungsflugzeuge erhielt, betreibt zum Beispiel ein Joint venture mit China. Auch im Kommunikationsbereich, bei der Biotechnologie sowie in der Satelliten- und Raketentechnik wollen die beiden Länder kooperieren.

Die anderen lateinamerikanischen Staaten, deren verarbeitende Industrien nicht das brasilianische Niveau besitzen, dürften da kaum mithalten können. Sie fürchten die chinesische Konkurrenz vor allem bei Produckten wie Textilien und elektronischen Geräten. Allein Chile scheint die Flucht nach vorn zu riskieren und will ein Freihandelsabkommen mit dem wichtigen Handelspartner jenseits des Pazifiks unterzeichnen, der schon jetzt eine große Menge Kupfer importiert. Den Europäern hingegen droht wegen der chinesischen Offensive der Verlust von Marktanteilen.