Reform enorm

Kofi Annan präsentiert die angestrebte Reform der Vereinten Nationen als großen Wurf. Doch mehr als Kosmetik ist nicht zu erwarten. von martin schwarz, wien

Das gab es in der Geschichte der Vereinten Nationen noch nie. In der vergangenen Woche musste das Büro von UN-Generalsekretär Kofi Annan in New York nachdrücklich Gerüchte dementieren, wonach Annan amtsmüde, niedergeschlagen und zum Rücktritt bereit sei. Auch er selbst wies mit recht drastischen Worten alle Spekulationen über ein vorzeitiges Ende seiner Amtszeit zurück. Journalisten, die ihn nach den Gerüchten fragten, antwortete er: »Zur Hölle, nein!«

Doch die demonstrative Stärke scheint nicht viel mehr als Fassade zu sein. Im New Yorker UN-Hauptquartier ist den politischen Beratern von Annan klar, dass der Generalsekretär zumindest persönlich geschwächt ist. Der Bericht des ehemaligen US-amerikanischen Notenbankpräsidenten Paul Volcker über die Korruption rund um das UN-Programm »Oil for Food« hat Annan zwar von jeder persönlichen Schuld und vom Vorwurf der Bereicherung freigesprochen. Dennoch bleibt ein desaströses Bild, das die mangelnde Kontrolle der Vereinten Nationen über ihre eigene Bürokratie zeigt.

In dem Skandal rund um das von den Vereinten Nation für den Irak im Jahre 1996 erdachte Programm geht es um die Aufträge der Uno für das Schweizer Unternehmen Cotecna, für das Kofi Annans Sohn Kojo bis Ende 1998 als Berater tätig war. Dass Kojo Annan trotz seines Ausscheidens aus dem Unternehmen bis zum Jahr 2004 monatliche Zahlungen von Cotecna erhielt, wurde als Hinweis darauf gedeutet, dass er wohl deshalb so viel Zuneigung von seinen ehemaligen Vorgesetzten erhält, weil er seinen Vater stark beeinflusst haben könnte, als es um die Auftragsvergabe für Cotecna ging.

Doch darauf fand die Untersuchungskommission keinerlei Hinweise. »Nach so vielen Besorgnis erregenden und unwahren Behauptungen bedeutet diese Entlastung durch eine unabhängige Untersuchung natürlich eine große Erleichterung für mich«, sagte Annan in seiner ersten Reaktion. Doch die Erleichterung dürfte so groß nicht gewesen sein. Schließlich hat sich der UN-Generalsekretär während der Krise dilettantisch verhalten: So wirft ihm der Volcker-Bericht vor, nicht einmal den aus dem Job seines Sohnes entstehenden Interessenkonflikt erkannt zu haben. Zudem habe er einiges unternommen, um die Ermittler erst richtig misstrauisch zu machen. Viele Dokumente, die für die vollständige Aufklärung des Skandals nützlich hätten sein können, seien noch kurz nach dem Beginn der Arbeit der Untersuchungskommission von Mitarbeitern Annans vernichtet worden, was zum Misstrauen der Kommissionsmitglieder beitrug.

Dass Kofi Annan nun persönlich entlastet ist, dürfte ihm politisch wenig nützen. Denn er möchte bis zum UN-Gipfel im kommenden September eine der umfangreichsten Reformen der Vereinten Nationen durchführen, die es jemals gab. Im Wissen um seine schwache Position halten sich besonders die Vereinigten Staaten, die derzeit schärfsten Kritiker des UN-Systems, mit Unterstützungserklärungen eher zurück. Lediglich der stellvertretende Sprecher der US-Außenministerin Condoleezza Rice, Adam Ereli, ließ eine schwache Beistandserklärung für Annan verlauten: »Wir haben deutlich gemacht, dass wir die UN und den Generalsekretär in seiner Arbeit unterstützen.«

Die US-Regierung erwartet außerdem, dass der Generalsekretär seine Reformbemühungen fortsetzt und die Schwächen innerhalb des UN-Systems zu beseitigen hilft. Dass die US-Regierung in einer etwas kühlen Weise ihre Unterstützung für den angeschlagenen Generalsekretär bekundet, hat mit politischem Kalkül zu tun. Denn es ist eben diese Schwäche Annans, die es für ihn umso nötiger macht, Washington bei der angestrebten Reform entgegenzukommen.

Allein der Titel des 63 Seiten starken Reformpapiers dürfte US-Präsident George W. Bush gefallen: »Für größere Freiheit (Auf dem Weg zu Entwicklung, Sicherheit und Menschenrechten)« heißt es da. Einen ähnlichen Titel hätte auch die Inaugurationsrede von Bush zu Beginn seiner zweiten Amtszeit im Januar verdient, denn auch sie stand ganz im Zeichen des weltweiten Exports des Freiheitsgedankens. Auch beim Inhalt des Reformwerkes ist man darauf bedacht, die Stellung der USA und der übrigen Vetomächte innerhalb des UN-Systems nicht zu gefährden. Am besten demonstriert dies wohl die angestrebte Erweiterung des UN-Sicherheitsrates, denn sie hat nicht viel mehr als symbolischen Charakter, ohne im Geringsten das Vetorecht der fünf ständigen Mitglieder USA, Russland, Großbritannien, Frankreich und China anzutasten.

Zwei Varianten schlägt Annan in seinem Papier für diese Erweiterung vor: In der ersten Variante sind sechs zusätzliche ständige Mitglieder vorgesehen und weitere drei nicht ständige Mitglieder. Die zweite Variante tritt noch kürzer: Ihr zufolge sollen acht »ständige Mitglieder« hinzukommen, deren Sitz im Sicherheitsrat allerdings schon nach vier Jahren wieder enden soll. Dazu soll nach diesem Modell ein weiteres nicht ständiges Mitglied kommen.

Beide Varianten sehen also eine Vergrößerung des Sicherheitsrates von derzeit 15 auf 24 Mitglieder vor. Doch mehr als eine quantitative Veränderung ist das nicht. Selbst die erste Variante, die auch von der so genannten Viererbande Deutschland, Japan, Indien und Brasilien favorisiert wird, bietet den neuen ständigen Mitgliedern nicht viel größere Einflussmöglichkeiten auf die harten politischen Entscheidungen, als sie jenen Staaten zusteht, die für jeweils zwei Jahre dem Sicherheitsrat angehören.

Weil das Vetorecht der fünf bisherigen Mitglieder des Sicherheitsrats erhalten bleibt und nicht auf die neuen ständigen Mitglieder ausgedehnt wird, bedeutet der Vorschlag nicht viel mehr als eine fortgesetzte Privilegierung der jetzigen Vetomächte. Die spätestens seit dem Irak-Krieg arg ramponierte Handlungsfähigkeit des Sicherheitsrats wird kaum erhöht, dies wäre nur mit einer vollständigen Aufhebung des Vetorechts möglich. Das spiegelt übrigens auch die Ansicht der Bevölkerungen wider: Einer Mitte März veröffentlichten Umfrage der britischen BBC zufolge befürwortet eine Mehrheit in 22 von 23 untersuchten Ländern eine Vergrößerung des Sicherheitsrats, die einzige Ausnahme ist Russland. 58 Prozent aller Befragten finden es »ungerecht«, dass ein Mitglied mit seinem Veto sämtliche Entscheidungen blockieren kann.

Der größte Dissens zwischen Annan und den USA besteht derzeit beim Thema Massenvernichtungswaffen. So ist geplant, dass künftig unter der Kontrolle der Internationalen Atombehörde bestimmten Staaten Brennstäbe für Kernkraftwerke geliefert werden, um die Entwicklung militärisch nutzbarer nuklearer Technologien unter dem Deckmantel der Förderung von Atomenergie zu verhindern. Das ist jenes Modell, das derzeit die Europäische Union mit dem Iran versucht – mit offenem Ausgang.

In die Auseinandersetzung um den neuen Sicherheitsrat haben sich inzwischen auch die afrikanischen Staaten eingeschaltet. Die Afrikanische Union fordert fünf Sitze im Sicherheitsrat, die mit einem Vetorecht ausgestattet sollen sein. Gut sind die Aussichten dafür sicher nicht.