Rückfall in Traumwelten

Die soziale Krise fördert die Sehnsucht nach alten Werten, politischem Konservatismus und der scheinbar heilen Welt der Königshäuser. Ein Interview mit brigit gebhardt vom Trendbüro

Das Hamburger Trendbüro versteht sich als »Beratungsunternehmen für gesellschaftlichen Wandel«. Es analysiert gesellschaftliche Entwicklungen, um mit den Ergebnissen Unternehmen zu beraten. In der vergangenen Woche hat das Trendbüro eine Studie mit dem Titel »Wie wohnen wir morgen?« veröffentlicht. Darin wurden Trends bezüglich Einrichtung, Design und Lifestyle untersucht. Wichtigstes Ergebnis der Studie ist, dass es einen starken Trend zur Realitätsflucht gibt. »Eskapismus« und »Romantik« sind die wichtigsten Stichworte. »Ablenken lautet die neue Wohndevise«, erklärte das Trendbüro.

In Ihrer Studie »Wie wohnen wir morgen?« haben Sie eine neue Lust am Barock, am Märchenhaften, an Üppigkeit und Prunk festgestellt und sprechen von einem »Rückfall in Wunschtraumwelten«. Wie erklären Sie diesen Trend im Hinblick auf die derzeitige gesellschaftliche Situation?

Wir haben insgesamt vier Trends ausgemacht. Alle vier werden in gewisser Weise von einem Rückfall in Wunschtraumwelten bestimmt. Wir haben festgestellt, dass die Konsumenten vom Angebot überfordert sind und sich lieber für bekannte Motive entscheiden. Sie suchen etwas Vertrautes, weil sie orientierungslos sind. Ein neues Design gibt es nicht unbedingt. Selbst der Trend, den wir »Modern Dream« genannt haben, ist im Grunde nur eine Vision der Avantgarde von gestern. Der Trend »Neo-Barock« bezeichnet ganz klar die Sehnsucht nach altem Reichtum und alten Werten. Neues gilt als unbequem und anstrengend. Begleitet wird das von dem Gefühl, dass etwas Altes und Vertrautes verloren geht.

Spielt neben den Werten auch die soziale Krise eine Rolle?

Unbedingt. Es herrscht ein großer finanzieller Druck durch die Diskussionen um die Arbeitsmarkt-, Gesundheits- und Rentenreform. Auch Studieren soll Geld kosten. Neben einem gefühlten Werteverfall gibt es also die Tendenz, die wir »arme Mitte« genannt haben. Das typische Mittelsegment spaltet sich auf. Familien stehen finanziell zum Beispiel viel schlechter da als Singles. Jede siebte Familie muss mit einem Einkommen unterhalb der EU-Armutsgrenze auskommen. Die Mittelschicht teilt sich unter Konsumkriterien in zwei Trend-Lager: Beim »Cheap Chic« sollen die Artikel gut aussehen, aber dennoch günstig sein. Auf der anderen Seite ist man eher dem Luxus zugeneigt. Man spart zwar, gönnt sich aber Luxusartikel, um sich zu verwöhnen. Das nennen wir »True Luxury«. Der Trend »Neo-Barock« muss nicht immer superteuer sein, soll aber auf jeden Fall so aussehen. Es geht um Selbstdarstellung und Prestige. Und man wünscht sich die Feierlichkeit von damals als Rückzugsmöglichkeit. Denn heute ist das Geld knapp. Von Multifunktionalität haben die Leute genug. Heute wollen sie nach Hause kommen und abschalten, hinein in den Wohlfühl-Komfort, in eine eskapistische Traumwelt.

Das heißt, Sie machen für die sozial schwachen ebenso wie für die reicheren Schichten dieselben sozialen Umstände für diese Rückbesinnung verantwortlich?

Zukunftsangst spielt sowohl beim »Neo-Barock« also auch beim »Biedermeier-Glam« eine wichtige Rolle. Wir haben ja beide Trends mit historischen Vorbildern aus der Designgeschichte verglichen. Biedermeier kam ja auf, als das politische Interesse gegen Null ging, und es eine Repressionsstaat-Politik gab, die napoleonischen Kriege waren gerade vorbei, das Bürgertum zog sich nach Zuhause zurück, es gab diese Salon-Abende, und man fing an, sich in seiner Kultur zu feiern, zu zelebrieren, aber eher auf eine kleinbürgerliche Art. Im Barock hingegen hat der Adel seine Architektur ganz stark an der Sakralbauarchitektur orientiert und sie in Qualität und Quantität auch erreicht. Auch das war ein Sich-selbst-feiern. Und das vergleichen wir. Man will abschalten, denkt, wir haben doch auch etwas geleistet, und will das genießen. Die wirtschaftliche Rezession nervt die Menschen, gerade in Deutschland ist man besonders pessimistisch. 80 von 100 Deutschen blicken sorgenvoll in die Zukunft. Und da versuchen sie, zumindest beim Wohnen sich eine heile Welt aufzubauen.

Sind Königshäuser, Geschichten vom Adel, von Monarchien ebenso eine Projektionsfläche für einen Rückzug in eine scheinbar heile Welt?

Ja, dieser Glamour-Faktor ist dabei ganz wichtig. Wir nennen den Trend ja nicht einfach »Biedermeier«, sondern »Biedermeier-Glam«, denn es geht nicht um Bescheidenheit. Man vermutet, oder hofft, dass wenigstens im Adel noch die alten Werte verkörpert werden. Deswegen hat dieses Monarchische auch einen neuen Reiz. Von Peter Hahne ist gerade ein Buch erschienen mit dem Titel »Schluss mit lustig!« Nach dem Ende der Spaßgesellschaft will man jetzt wieder die alten Werte haben, und die sind teilweise nicht nur traditionell, sondern richtig reaktionär. Dazu passt auch monarchistisches Denken. Die Gesellschaft kommt aus diesen Retro-Spiralen kaum noch heraus, denn es fehlen die positiven Visionen, Perspektiven für die Zukunft. Wir sehnen uns nach dem, was wir schon kennen.

Gab es diese Orientierung an der Monarchie nicht schon immer?

Es gab immer schon Designer, die diesen Neo-Barock gepflegt haben. Aber wir haben festgestellt, dass auf einmal Firmen, die früher modernes Industrie-Design gemacht haben, plötzlich anfangen, in solche alten Kisten zu greifen, alte Motive zu wählen. Und wenn junge Designer wie Tom Dixon anfangen, plötzlich dicke Kronenlüster zu machen, dann können wir schon von einem Trend sprechen. Das ist, neben einer Konzession an den neuen Markt in Osteuropa, vor allem eine Reaktion auf unsere Sehnsüchte. »Old Europe« wächst zusammen, man will der Globalisierung nicht zum Opfer fallen, man befürchtet einen Werteverlust. In diesem Neo-Barock werden auch Handwerkskünste wieder sehr geschätzt.

Hat diese Rückwärtsgewandtheit im Design auch eine Entsprechung in der Politik?

Ja, das geht miteinander einher. Wir haben etwa diesen Neokonservatismus in den USA, und auch hier erleben wir eine wertkonservative Welle, wie Peter Hahne mit seinem Buch beispielhaft zeigt. Das ist alles schwer populär und dabei auch populistisch. Peter Sloterdijk sieht ja sogar schon die Demokratie in Gefahr. Zukunftsangst bedeutet eben auch, dass die Leute nicht glauben, dass die Politiker die Probleme lösen können. Es ist den Leuten auch alles zu kompliziert. Das ist natürlich die Grundlage für eine konservative Rückbesinnung.

interview: markus ströhlein