Terroristen und Henker

Polnisch-russischer Konflikt

Ehre, wem Ehre gebührt. Für ehrwürdig befand der Warschauer Stadtrat den 1996 von der russischen Armee getöteten tschetschenischen Separatistenführer Dschochar Dudajew und benannte daher Mitte März einen Platz im Stadtteil Vlohi nach ihm. Stadträte der rechtskonservativen Partei »Recht und Gerechtigkeit« hatten die Initiative eingebracht. Der Parteivorsitzende und Bürgermeister Lech Kachinsky unterstützte das Vorhaben. Dudajew sei das Symbol für den Jahrhunderte langen Kampf der Tschetschenen um Unabhängigkeit, begründete der Stadtrat seine Entscheidung. Dudajew hat 1991 als Präsident Tschetscheniens die Unabhängigkeit des Landes von Russland erklärt.

Wenig begeistert zeigte man sich verständlicherweise in Russland. Das russische Außenministerium bezeichnete die Namensgebung in der vergangenen Woche in einem Protestschreiben als »feindseligen Akt gegen die Russische Föderation«. Der Beschluss des Warschauer Stadtrats sei eine Beleidigung des Andenkens russischer Opfer von Terroranschlägen in Moskau und anderen russischen Städten.

Der Moskauer Stadtrat kündigte prompt Vergeltung an. Man plane die Umbenennung der Klimaschkinstraße in General-Muraviow-Straße. Der russische General Mikhail Muraviow ließ 1863 einen polnischen Aufstand blutig niederschlagen und erwarb sich so den Beinamen »Henker«. Das Sahnehäubchen auf der Moskauer Gegenoffensive ist, dass sich in der Straße die polnische Botschaft befindet.

An der polnischen Haltung zum Krieg in Tschetschenien entzündete sich so zum zweiten Mal innerhalb eines Monats ein Streit zwischen Russland und Polen. Anfang März töteten die russischen Streitkräfte den tschetschenischen Separatistenführer Aslan Maskhadow. Ein Sprecher des polnischen Außenministeriums bezeichnete die Militäraktion als »Mord«, »Verbrechen« und »politische Dummheit«. Obwohl der polnische Premierminister, Marek Belka, die Aussagen als nicht repräsentativ für seine sozialdemokratische Regierung relativierte, war man in Russland empört.

Besondere Brisanz gewinnt das Scharmützel um Straßen- und Platznamen mit dem nahenden 60. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkriegs. Unter heftigem Protest der polnischen Rechten kündigte Polens Präsident, Alexander Kwasniewski, im März seine Teilnahme an den Feierlichkeiten am 9.Mai in Moskau an. Die gezielte Provokation des Warschauer Stadtrats dürfte auch ein Versuch sein, die Atmosphäre in Polen vor dem Jubiläum antirussisch aufzuladen. Denn für die polnische Rechte sind die Russen weniger Befreier als Besatzer. Besonders dienlich ist die Solidarität mit den vermeintlichen Leidensgenossen aus Tschetschenien, um Russland auch heute noch die Rolle des blutrünstigen Aggressors zuzuweisen.

Die tschetschenischen Separatisten sind jedenfalls dankbar für die symbolische Unterstützung aus Polen. Abdul-Halim Sadulajew, der Nachfolger von Maskhadow, dankte in einer Erklärung auf der Homepage der UNPO, der Organisation für die nicht in der Uno repräsentierten Nationen und Völker, dem Warschauer Stadtrat für die Ehrung Dudajews: »Auf diesem Weg haben Sie seinen Namen in die Geschichte des heroischen Kampfs des polnischen Volks eingetragen, das wie das tschetschenische Volk eine Jahrhunderte alte Erfahrung im Kampf um Freiheit und Unabhängigkeit vom russischen Reich hat.« Ob es irgendwann eine »Straße des Warschauer Stadtrats« in Grozny geben wird?

markus ströhlein