Die Farbe Blau

Ein Film versucht zu klären, ob ein Kunstwerk die letzte Schalker Meisterschaft erst möglich machte. von rené martens

Im Jahr 1958 feiert die bekannteste Institution Gelsenkirchens, der FC Schalke 04, mal wieder einen großen Erfolg: Der Klub, gemeinhin die Königsblauen genannt, wird zum sechsten und bis heute letzten Mal Deutscher Fußballmeister, und für ein paar Tage versinkt die Stadt in Blau. Genau zu dieser Zeit entsteht in Gelsenkirchen ein avantgardistisch anmutendes Bauwerk, das ebenfalls im Zeichen der Farbe Blau steht – Ultramarinblau allerdings. 500 Quadratmeter Reliefflächen aus zu Stein gewordenen Schwämmen schuf der Pariser Künstler Yves Klein (1928 bis 1962) an den Wänden des neuen Stadttheaters.

Haben diese blauen Welten einander beeinflusst? Welche unsichtbaren Verbindungen gibt es? Diesen Fragen spürt der Regisseur Christian Bau in seiner Dokumentation »Schuss ins Blau« nach, die derzeit in hiesigen Programmkinos läuft. Im Film kommen Künstlerkollegen Kleins, unter anderem sein Schwager, der Bildhauer Günther Uecker, sowie Figuren aus der Fußballwelt zu Wort. Rudi Völler sagt, Kleins Reliefs sähen aus wie »der Himmel in Rom im Sommer«, und vier teilweise sehr rotgesichtig gewordene Veteranen der 58er-Elf – Günther Brocker, Heiner Kördell, Willi Koslowski, Manfred Kreuz – plaudern über ihre große Zeit.

Bau spannt einen Bogen von Action Paintings, die Klein einst inszeniert hat, zu Ausschnitten aus Reportagen mit der alten Schalker Meistermannschaft, vor allem aber fährt Kamerafrau Barbara Metzlaff immer wieder die Wände des Theaterfoyers entlang, um den Zuschauer intensiv in Kleins Ultramarinblau eintauchen zu lassen. Durch den Film führt der Schauspieler Peter Lohmeyer (»Das Wunder von Bern«), was ein kleines Problem ist. Seit Monaten schon tritt er bei jeder Gelegenheit breit, dass er im Nebenberuf Schalke-Fan sei – sogar Kurt Becks Parteinahme für den 1. FC Kaiserslautern wirkt da vergleichsweise unaufdringlich. Man muss Lohmeyer aber zugestehen, dass es ihm gelungen ist, diesen Film nicht zu stören.

Über eher spirituelle Fragen – die Farbe Blau habe eine »spezielle Energie«, die »die Menschen penetriert«, sagt Kleins Witwe Rotraut – nähert sich Christian Bau der grundsätzlichen Verbindung von Sport und Kunst. Yves Klein war Judoka, zeitweise sogar Judolehrer in Frankreich und Spanien, und seine sportlichen Aktivitäten trugen viel zu seiner Aura bei. Er habe eine außergewöhnlich »angenehm physische Gegenwart« gehabt, sagt der Maler Konrad Klapheck, der gut mit Klein bekannt war. Bei einer Ausstellung war Klein einmal eine Wand hoch gelaufen, hatte sogar kurz mit seinen Füßen die Decke des Raumes berührt – wobei er sich allerdings verletzte. Der Franzose wollte natürliche Grenzen überschreiten, und wenn man ihn in »Schuss ins Blau« so sieht, fühlt man sich an Fußballer erinnert, die auf nicht begreifbare Weise Gegenspieler umdribbeln. An einen wie den Schalker Stürmer Willi Koslowski, genannt »der Schwatte«. Sein ehemaliger Teamkamerad Günter Brocker sagt im Gespräch mit Lohmeyer: »Den krummen Hund, den konntest du doch gar nicht stoppen. Der konnte mit beiden Füßen fummeln, der spielte dir den Ball zwischen die Beine.«

Am anregendsten allerdings bringt hier Konrad Klapheck, der früher nebenbei boxte, die Verwandtschaft zwischen Sport und Bildender Kunst auf den Punkt. »Der Künstler«, sagt er, »ist ein Sportler, der sich seine Disziplin selbst erfindet.«

Christian Bau: Schuss ins Blau, 2005. Einzeltermine über info@diethede.de