Wer’s glaubt

Katholische Soziallehre von stefan ripplinger

Gerade hat Franz Müntefering mit seinem Disputierclub zur »Kritik des Kapitalismus« den Lacher der Woche gelandet, da pflichtet ihm ein schwarzer Renegat bei. Horst Seehofer will nicht den Kapitalismus aus den Angeln heben, aber a bissl »Soziallehre« kinnt scho sei. Mit dem Regensburger Bischof Gerhard Müller hat er soeben die »Woche für das Leben« eröffnet. Wenn wir alle auf die Gummis verzichten und uns hernach solidarisch bei der Hand nehmen, sollte auch die christliche Familie wieder gedeihen. Seehofer und sein Bischof geißelten bei der Gelegenheit erneut den Neoliberalismus, der die »Schande unserer Zeit« sei.

Der neue Papst hat schon Recht mit seiner Einschätzung, der politische Protestantismus strebe dem Nationalen zu, während die Katholiken das Soziale im Schilde führten. Denn was Münteferings traditionell protestantische Sozialdemokraten in ihrem Club fordern werden, lässt sich jetzt schon leicht voraussagen: Kampf der Globalisierung, der Standortverlagerung, dem Spekulationskapital, kurz: eine noch schärfere Nationalisierung der Politik. Aber muss man deshalb schon den Schwarzen zuwinken?

Besser ziemt es, ein Ultramontaner denn ein Deutschnationaler zu sein, aber besonnener Nihilismus führt immer noch am sichersten durch alle geistigen Engpässe. Um heute an den Sozialismus zu glauben, muss einer religiös umnebelt sein. Da ist es doch erhebender, an gar nichts zu glauben. Und so gerüstet, fällt es auch nicht schwer, in der katholischen Soziallehre einen besonders muffigen Antimodernismus zu erkennen. Ausgedacht haben sich diese Lehre die am meisten rückschrittlichen Kreise des katholischen 19. Jahrhunderts. Die Exzesse des Kapitalismus waren ihnen Exzesse der Moderne, die, am besten samt Elektrifizierung, christlich überwunden gehörte.

In der Enzyklika »Rerum novarum« (1891) fordert Leo XIII. das behutsam korrigierende Eingreifen des Staates in die Wirtschaft und die Bildung von »Arbeitervereinen«. Doch selbstverständlich sind damit keine revolutionären Betriebsgruppen oder auch nur Gewerkschaften gemeint, sondern fromme, paternalistisch geführte Handwerkerzünfte. Zunft und Zucht, die Lösung der sozialen Frage liegt für den Katholizismus im Mittelalter. Wendet er sich gegen Ausbeutung und Armut, kommt am Ende doch eine Kolpingjugend oder eben ein Seehofer heraus.

Dessen etwas größere Vorsicht bei Einschnitten in das Sozialnetz zielt auf erhebliche Einschnitte in unsern heidnisch-polygamen Lebensstil ab. Seehofers »Politik mit Seele« will nämlich zurück zur Familie und zum »christlichen Sittengesetz«. Da fragt es sich, ob eine einkommensunabhängige Gesundheitsprämie zu zahlen nicht leichter fiele. Doch darüber muss sich ohnehin niemand den Kopf zerbrechen. Der Renegat ist abserviert, über Münteferings Vorstoß hat Wolfgang Clement schon alles gesagt. Zu welchen Schlüssen der Disputierclub auch immer kommt, die rotgrüne Regierung wird ihre unternehmerfreundliche Politik unbeirrt fortsetzen.

Auch wenn es Müntefering und Seehofer ernsthaft wollen, haben weder der nationale Sozialismus noch das christliche Sittengesetz in Europa die geringste Chance. Allerdings macht es das Leben im Kapitalismus auch nicht leichter, dass er solche Gegner hat.