Das Leben ist ein Auswärtsspiel

Der »Einwanderer-Fußballclub« Assyriska ist in die erste schwedische Liga aufgestiegen. Schon nach dem dritten Spieltag ist nicht mehr ganz Schweden von den Underdogs begeistert. von bernd parusel, stockholm

Und es gibt sie doch, die wunderschönen Fußballgeschichten, die Storys von den Underdogs, die einmal ganz groß rauskommen. Jedenfalls scheint das in Schweden so zu sein. Vor etwas mehr als 30 Jahren spielten einige assyrische Flüchtlinge und Einwanderer, die in der Stockholmer Arbeitervorstadt Södertälje beim Lkw-Hersteller Scania jobbten, in den Pausen zwischen ihren Schichten Fußball. 1974 gründeten sie einen Verein. Heutzutage kickt Assyriska Föreningen, wie der Club offiziell heißt, in der ersten schwedischen Liga. Zu Heimspielen auf dem Fußballplatz Bårsta kommen 6 000 Fans, Scania ist neben dem Arzneimittelhersteller AstraZeneca Hauptsponsor geworden, und die Erfolge des Vereins werden überall in Schweden, und natürlich auch von Assyrern im Ausland, genau verfolgt. Auch wenn schon lange nicht mehr nur Assyrer im Club spielen, sondern inzwischen auch ein paar Schwedischstämmige und Einwanderer der zweiten Generation mit Wurzeln in den unterschiedlichsten Ländern mitkicken.

Ihr erstes Spiel in der ersten schwedischen Liga »Allsvenskan« am 12. April gegen Hammarby verloren die Spieler von Assyriska zwar noch, weil, wie manche meinen, Trainer José Morais, ein aus Angola stammender Portugiese, eine zu defensive Spielweise angeordnet hatte. »Aber wir sind Angreifer. Das ist in unserem Blut, und das ist unsere Kraft«, erklärt Mittelfeldspieler Stefan Batan, der von sich sagt, er sei »mit Assyriska aufgewachsen«.

Die zweite Begegnung lief dann wesentlich besser. Auf fremdem Rasen, zu Gast bei dem von den meisten Sportkommentatoren favorisierten IFK Göteborg, gewann der Club bravourös mit 3:0. Das dritte Spiel, dieses Mal gegen Halmstads BK, endete unentschieden 0:0. Während der andere Aufsteiger dieser Fußballsaison, Gefle IF, bisher noch keinen Punkt in der ersten Liga erzielen konnte, hat Assyriska nun schon vier – und den Beweis, dass der Aufstieg verdient war.

Assyriska Föreningen ist ein Verein mit vielen Namen. In der schwedischen Presse ist meist vom »Einwandererverein« oder vom »Södertäljeclub« die Rede. Die Fans sprechen manchmal auch von der »Nationalmannschaft für ein Volk im Exil«. Mit dieser Bezeichnung erinnern sie an die Herkunft der aus dem Nahen Osten stammenden Assyrer, die heute über die ganze Welt verteilt leben. Historisch sind sie Nachfahren christlicher Bevölkerungsgruppen, die in einem Gebiet ansässig waren, das heute zum Iran, dem Irak, Syrien, dem Libanon sowie zur Türkei gehört. Ähnlich wie die christlichen Armenier wurden die Assyrer zur Zeit des Ersten Weltkriegs Opfer von Verfolgung und Vertreibung bis hin zum Massenmord. In einigen Staaten des Nahen Ostens ging die Unterdrückung auch danach weiter. Unter Saddam Hussein etwa zerstörte die irakische Armee systematisch assyrische Dörfer. Viele flohen nach Westeuropa oder in die USA. In Deutschland leben heute um die 35 000 Assyrer, in Schweden rund 40 000. Etwa ein Viertel von ihnen wohnt in Södertälje, einer 80 000-Einwohnerstadt im Süden Stockholms mit einem Ausländeranteil von mehr als 33 Prozent. Dort verlangte der Lkw- und Bushersteller Scania in der siebziger Jahren nach ausländischen Arbeitskräften. Viele Assyrer betreiben dort heute Kioske, Friseursalons oder Restaurants – wie auch der Vorsitzende von Assyriska, Ferit Varli, dem ein Lokal im Zentrum Stockholms gehört.

Oder sie spielen Fußball. 1975 kickte Assyriska Föreningen erstmals in einer schwedischen Regionalliga. Danach ging es ständig bergauf, bis der Club 1992 erstmals in der zweiten schwedischen Division ankam. Als dann vor Beginn der diesjährigen Allsvenskan-Saison, die wetterbedingt von April bis Oktober ausgetragen wird, der Fußballclub Örebro wegen finanzieller Schwierigkeiten zwangsweise absteigen musste, wurde in der ersten Liga unerwartet ein Platz für die Södertäljer Assyrer frei.

Der Aufstieg löste einen regelrechten Medienrummel aus, und überall in Schweden fragt man sich nun verwundert, wie es die Einwanderermannschaft mit dem Underdog- und Arbeiterimage so weit bringen konnte. Das Geld war es definitiv nicht, schließlich macht der Club permanent Verluste, die von engagierten Mitgliedern ausgeglichen werden müssen. Auch verdienen die Kicker unter allen Spielern der ersten schwedischen Liga mit Abstand am wenigsten. Manche haben noch einen Job neben dem Fußball und erscheinen im Blaumann zum Training.

Auch Sponsoring und Unterstützung durch die Gemeinde Södertälje können nicht den Ausschlag gegeben haben. »Verglichen mit anderen schwedischen Gemeinden, hat man hier andere Sportarten vorgezogen«, heißt es diplomatisch auf der Internetseite des Vereins. Eishockey und Tennis sind damit gemeint, Sportarten, die in Schweden zwar äußerst beliebt sind, aber bei weitem nicht so vielen Jugendlichen eine Freizeitbeschäftigung geben wie der Fußball. Assyriska wurde von Lokalpolitikern noch nicht einmal als besonders förderungswürdig angesehen, als ein anderer Södertäljer Fußballclub 1992 Pleite ging und von der Bildfläche verschwand. Auch heute denken viele sportinteressierte Schweden nicht an Assyriska, wenn sie den Namen Södertälje hören, sondern an den Tennisprofi Björn Borg, der dort geboren und aufgewachsen ist.

Bei Assyriska förderte man von Anfang an stark den Nachwuchs. Rund 350 Kinder und Jugendliche sowohl schwedischer als auch aus dem Ausland stammender Eltern sind in den insgesamt 30 Sportmannschaften des Vereins, darunter drei Mädchenteams, aktiv. Darüber hinaus organisiert Assyriska jedes Jahr eine »Fußballschule« für kleinere Kinder und ein Hallenfußballturnier für rund 70 Jugendmannschaften aus dem Stockholmer Raum. Der Vereinsvorstand will mit dieser umfassenden Nachwuchsförderung sowohl das »Wohlergehen der Einwohner Södertäljes« fördern als auch der vor allem unter Jugendlichen mit Einwandererhintergrund »verbreiteten Identitätskrise« entgegenwirken, die oft, so heißt es auf der Webseite des Vereins, in Kriminalität münde.

Migranten in Schweden stehen schließlich auch heute noch oft am Rande der Gesellschaft. Viele leben in benachteiligten, einkommensschwachen Vierteln oder Vororten und finden häufig auch nach jahrelangen Sprach- und Integrationskursen keine Arbeit. Die insgesamt vergleichsweise geringe Arbeitslosigkeit in Schweden – zwischen fünf und sechs Prozent der Gesamtbevölkerung sind ohne Job – ist unter aus dem Ausland Stammenden mehr als dreimal so hoch. Dass Migranten von Unternehmern nicht ebenso bereitwillig eingestellt werden wie Schweden, liegt jedoch häufig nicht an mangelnder Qualifikation.

Die Zeitung Dagens Nyheter demonstrierte erst kürzlich mit einem Aufsehen erregenden Experiment, dass oft Vorurteile im Spiel sind, wenn Personalchefs Bewerber ablehnen, weil sie Migranten sind. Manchmal reicht schon ein fremd klingender Name. Die Zeitung ließ zwei Studenten bei Arbeitgebern anrufen und sich um offene Stellen bewerben. Einer davon präsentierte sich mit dem arabisch klingenden Namen Rebin, der andere mit Fredrik. Beide verwiesen auf exakt die gleiche Ausbildung und Berufserfahrung. Doch während Fredrik zu mehreren Vorstellungsgesprächen eingeladen wurde, hieß es bei Rebin jedes Mal: »Nein, danke.« Für diese Problematik, die Randstellung vieler Einwanderer in Schweden, gibt es heute sogar einen speziellen Ausdruck: »Utanförskap«, was ungefähr so viel heißt wie »Ausschluss«.

Assyriska Föreningen will der migrantischen Bevölkerung in Schweden Mut machen. Manchen Schweden jedoch scheinen das Selbstbewusstsein und das offensichtliche Anderssein der Mannschaft schon nach dem dritten Erstligaspiel zu weit zu gehen. Während des Heimspiels gegen Halmstad am Sonntag vor einer Woche trugen die Spieler schwarze Armbinden, und vor dem Anpfiff rief der Stadionsprecher das Publikum zu einer Schweigeminute auf, um an den Genozid an assyrischen Christen und Armeniern vor 90 Jahren in der Türkei zu erinnern. In der schwedischen Sportpresse kam das Gedenken im Stadion alles andere als gut an. »Hört auf mit politischen Demonstrationen«, schrieb etwa der Reporter der Boulevardzeitung Aftonbladet. »Die Sache mag zwar tragisch gewesen sein«, politische Botschaften hätten im Fußballstadion aber nichts zu suchen. Auch in Dagens Nyheter hieß es, ein Fußballspiel sei noch nie so offen für politische Botschaften missbraucht worden, und bisher sei man ganz gut ohne solche ausgekommen.

Beifall für die Gedenkminute erhielt Assyriska allein vom sozialdemokratischen schwedischen Schulminister, Ibrahim Baylan. »Ich habe dafür Verständnis, dass man bei seinem ersten Heimspiel die Gelegenheit wahrnimmt, auf einen Teil seiner Geschichte aufmerksam zu machen«, sagte er. Baylan ist selbst assyrischer Abstammung.

Wenn sich die Aufregung über die Schweigeminute auf dem Fußballplatz wieder legt, dürfte der Blick wieder frei werden auf die heute wohl viel wichtigere Botschaft des Einwandererclubs Assyriska Föreningen. Nämlich der, dass sich ein Einwandererteam mit begrenzten Ressourcen, aber viel persönlichem Engagement auch gegen die Vorbehalte in der schwedischen Gesellschaft bis in die erste Liga hochspielen und vielleicht sogar dort etablieren kann.