Falsche Propheten

In London konkurrieren im Wahlkampf eine schwarze, jüdische Labourabgeordnete und der Vorsitzende der Antikriegspartei um die Stimmen der Muslime. Antisemitische Töne blieben nicht aus. von udo wolter

Der Wahlkreis Bethnal Green and Bow im Londoner East End ist das, was man hierzulande gerne einen »sozialen Brennpunkt« nennt. Es ist ein historischer Bezirk der Arbeiterklasse mit einer der höchsten Arbeitslosenquoten in Großbritannien und ein traditionelles Immigrantenviertel mit verslumten Sozialwohnungsblocks und Multi-Kulti-Szenevierteln. Zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts siedelten sich Juden an, heute leben dort vor allem Muslime.

Um deren Stimmen tobte während des Wahlkampfs zur Parlamentswahl am Donnerstag eine erbitterte Schlacht. Auf der einen Seite stand die Labourabgeordnete Oona King, Tochter einer jüdischen Mutter und eines afroamerikanischen Vaters, die bisher den Bezirk im Parlament vertrat. Auf der anderen Seite platzierte sich der schillernde Frontmann der Antikriegspartei Respect, George Galloway, ein Freund der Ba’ath-Partei, der auch mit der Muslim Association of Britain paktiert, die den Muslimbrüdern nahe steht (vgl. Jungle World 33/04). Galloway versuchte, die Enttäuschung muslimischer Wähler über die Irak-Kriegspolitik von Labour auszunutzen, um King ihr Mandat streitig zu machen. In den vergangenen Wochen eskalierte der von beiden ohnehin sehr persönlich und diffamierend geführte Wahlkampf durch Übergriffe radikaler Islamisten und Respect-Anhänger.

Anfang April fand bei einem Wohnkomplex in Bethnal Green eine Gedenkfeier zum 60. Jahrestag der Befreiung vom Nationalsozialismus statt. An dem Ort war am 27. März 1945 die letzte deutsche V2-Rakete eingeschlagen, 120 der 134 Getöteten waren Juden gewesen. Die Anwesenden wurden von muslimischen Jugendlichen mit Eiern und Gemüse beworfen. An der Trauerfeier nahm auch Oona King teil, die davon ausging, dass die Angriffe vor allem ihr galten. Der Kolumnist des Guardian, Jonathan Freedland, der die Trauerfeier besuchte, weil eine Großmutter und eine Tante von ihm unter den Getöteten waren, sprach dagegen von Judenhass. Ein junger muslimischer Anwohner, der offenbar über die Geschichte des V 2-Angriffs durchaus informiert war, bekannte ihm gegenüber, »wir haben Hass auf die Juden. Sie haben es verdient, weil sie in eine Muslim-Community gekommen sind.«

Kings Vermutung, die Angriffe hätten sich vor allem gegen ihre Person gerichtet, stützte sich darauf, dass sie bereits bei mehreren Wahlkampfveranstaltungen von jungen Muslimen mit Eiern beworfen und ihr Auto beschädigt worden war. Unter diesen Randalierern wollte sie auch Respect-Anhänger erkannt haben. Sie warf der Partei vor, ihre jüdische Herkunft zum Wahlkampfthema gemacht zu haben. Respect und muslimische Gruppen wiesen den Vorworf des Antisemitismus empört zurück. Vor allem das Muslim Public Affairs Committee griff King jedoch nicht nur wegen ihrer Kriegsunterstützung, sondern auch als »Zionistin« an. Das ist insofern bemerkenswert, da sie 2003 nach einem Besuch im Gaza-Streifen einen Artikel im Guardian veröffentlichte, der immer noch auf ihrer Website nachzulesen ist, in dem sie die dortigen Zustände mit denen im Warschauer Ghetto gleichsetzte und zum Boykott israelischer Waren aufrief.

Doch auch Galloway bewahrte seine Anbiederung bei islamistischen Verbänden nicht vor Übergriffen radikaler Jihadisten. So stürmte ein Mob von 40 Personen eine seiner Wahlveranstaltungen, bezeichnete ihn als »falschen Propheten«, bedrängte ihn und drohte ihm mit dem Galgen (»Gallow«). Seinen muslimischen Wählern drohten sie mit der »Todesstrafe«, da Wählen »unislamisch« sei. Galloway musste von der Polizei aus dem Lokal eskortiert werden. Mit der gleichen Begründung störte offenbar dieselbe Gruppe eine Pressekonferenz des islamischen Dachverbandes Muslim Council of Britain zur Parlamentswahl, die in einer Moschee stattfand.