Keine Sau schaut hin

Was passiert in der aktuellen »Big-Brother«-Staffel der Lebenslänglichen? von elke wittich

Gina hat ein Problem: Dieser Typ, von dem sie eigentlich dachte, dass sie mit ihm zusammen ist, will trotz erfolgtem Sex eigentlich doch eher keine Beziehung. Gut, Norman spricht das nicht so deutlich aus, aber wer Fragen nach den weiteren Zielen im gemeinsamen Leben mit Bemerkungen wie »Ach, ist doch alles schön, so wie es jetzt gerade ist«, »Genießen wir doch einfach die Zeit« und »Warten wir ab, wie es weiter läuft« beantwortet, ist erfahrungsgemäß nicht wirklich bereit für exzessive Zweisamkeit.

Gina hat noch ein weiteres Problem. Ihre Diskussionen mit Norman, der »herumzickende« Frauen auch gern mal fragt, ob sie »ihre Tage haben, oder was ist los?«, interessieren außerhalb ihrer Bezugsgruppe keine Sau. Das wäre auch nicht weiter schlimm, wenn sie nicht ausgerechnet eine der Teilnehmerinnen bei »Big Brother VI«, vulgo »BB lebenslang« wäre. Und sich, so ist zu vermuten, in der Hoffnung auf Ruhm, einen Plattenvertrag und/oder einen Platz auf der Bestsellerliste bei der neverending reality soap verdingt hat.

Daraus wird wohl nichts: Die Einschaltquoten der Sendung sind extrem schlecht, selbst die montägliche Livesendung, in der entweder live gevotet oder rausgeworfen wird, wollen in der Regel nicht einmal eine Million Menschen sehen. Entsprechend mies dürfte es um den Wiedererkennungswert und die Karrierechancen von Gina, Norman und Co. bestellt sein, was außer den beteiligten Kandidaten selbst wohl niemand so richtig überraschen dürfte.

Die fünfte Staffel von »BB« lief schließlich noch, als die lebenslang zu Überwachenden der sechsten Staffel schon zusammengecastet worden waren und, wie üblich, irgendwo in Südeuropa ausbruchssicher verwahrt wurden. Einen Tag, nachdem der »schöne Sascha«, ein leidlich hübscher Blonderich mit so etwas wie einer vorangegangenen Model-Karriere, als Sieger von »Big Brother V« feststand, bezogen die Dauereinwohner ihr Dorf. Und so bekamen sie nicht mehr mit, dass ihre Vorgänger sich ein Jahr vergeblich abgequält hatten. Sascha nahm zwar einen Song auf, der bei RTL und den assoziierten Sendern immer mal wieder gespielt wurde, für den ganz großen Durchbruch in den Charts reichte es jedoch nicht. Weiteres Indiz für den absoluten Misserfolg der Staffel: Keiner der Beteiligten erhielt bislang eine Moderatorenstelle bei Neun live, der traditionellen Verklappungsstation für ehemalige Bewohner, die immerhin verhindert, dass die vormaligen »BB«-Stars Jürgen und Alida zu Hartz IV-Empfängern werden. Und, naja, gut, ein ehemaliger »Big Brother«-Insasse namens Franco scheint im Mai eine Single mit dem verwirrenden Titel »Um jeden Preis« herauszubringen. Ähhh, Franco? Franco wer?

Egal. Viel wichtiger ist doch die Frage, warum »BB« nicht mehr funktioniert. Und die Lifetime-Version schon mal gar nicht.

Das Volume 1 zu lieben, war noch Pflicht gewesen, damals, als man sich an Freitagabenden noch mit Freunden in jedweder Kneipe über die Frage zerstreiten konnte, ob Zlatko nun einfach nur doof oder nicht vielleicht doch immens cool sei. Oder darüber, ob Kerstin und Manuela, die gleichermaßen herben wie notorisch quietschenden andersschönen »BB«-Ureinwohnerinnen, nicht vielleicht doch verborgene Qualitäten hätten.

In der zweiten Staffel dann konnte man sich darüber streiten, ob Nominator Christian wirklich frauenfeindlich oder, in Anbetracht seiner absolut moralinsauren Mitbewohnerin, der Ärztin Stefanie, nicht doch vielleicht einfach bloß ein absoluter Notwehrer war.

Spätestens ab Folge drei verschwimmt dagegen irgendwie alles; der tätowierte Waden-Besitzer John, ein stolzer Deutscher, die blonde ostdeutsche Hotel-Führerin ohne Namen, der seltsame Polterer, sie alle haben mitgespielt und teilweise sogar gewonnen, aber wer war wann wo?

Egal, nun wird lebenslang gebigbrothert, und wenn die Produktionsfirma Endemol darauf gehofft hatte, dass aufgrund irgendwelcher Menschenrechtsverletzungen ein Aufschrei durch Deutschland gehen würde, dann war sie sicherlich nach dem Start der neuen Staffel bitter enttäuscht.

Das Einsperren und Abfilmen von Menschen, die sich freiwillig dazu bereit erklärt haben, rangiert auf der Liste möglicher Verbrechen gegen die Menschenrechte bei den meisten Fernsehzuschauern schließlich im absolut unteren Bereich. Dass die Unterbringung eher erbärmlich ist, scheint ebenfalls niemanden mehr ernsthaft aufzuregen.

»BB – das Dorf« besteht aus drei verschiedenen Häusern, denn aus unerfindlichen Gründen werden die Bewohner zu so etwas wie Zwangsarbeit rekrutiert. Im Einzelnen sind das Arbeiten in der »Autowerkstatt« (Zielgruppe: die KFZ-Liebhaber), im »Modeatelier« (Zielgruppe: Leute, die gern bekleidet herumlaufen) sowie auf dem »Bauernhof«, bei dem es zum Glück bisher nicht darum ging, Tiere zu schlachten, sondern wo eher das Füttern von Tieren auf dem Programm steht.

Die Mitarbeiter der einzelnen Sektionen wohnen in einer von »BB« euphemistisch als »Dorf« bezeichneten Kulissenansammlung, die um einen Pappmaché-Brunnen herumsteht. Pappmaché, ist sowas erlaubt? Eher nein, aber dies ist »Big Brother«, hier gelten andere Gesetze. Wobei das, was uns hier als »Dorf« präsentiert wird, einfach nur scheiße aussieht. Insgesamt wirkt das errichtete und täglich zwischen 19 und 20 Uhr präsentierte Ensemble wie der dahingerotzte Traum eines leidlich phantasiebegabten Modelleisenbahnbauers. Wir reden hier aber vom richtigen Leben – und leider auch von richtigen Menschen. Anderen Leuten beim Dasein zuzuschauen, ist furchtbar öde, und das lebenslang konzipierte »BB« macht da keinen Unterschied.

Aber ist das überhaupt ein Dasein, das die derzeitigen und hoffentlich letztmaligen Big Brothers haben? Man weiß es nicht. Man ahnt aber, dass die »BB«-Redakteure auch nicht unbedingt glücklich sind mit dem Sendekonzept plus den derzeitigen Bewohnern. Denn was soll jetzt eigentlich noch kommen, nachdem die vorhandenen Pärchen miteinander Sex und Beziehungsdiskussionen hatten und alle, die nicht miteinander liiert sind, Intrigen gesponnen und hinterrücks schlecht übereinander geredet haben?

Vielleicht die Live-Geburt des ersten »BB«-Babys – vor dem Start der Sendung hatten die Macher verkündet, dass sie durchaus mit Schwangerschaften rechneten. Mittlerweile dürften sie das selber für keine so absolut gute Idee mehr halten. Schwangere Frauen sind schließlich nicht besonders interessant, jemandem beim Dickwerden zuzugucken, ist definitiv nicht das, was der Durchschnittszuschauer unter Feierabendunterhaltung versteht.

Wobei eigentlich nichts, was derzeit bei »BB« passiert, unterhaltend ist. Selbst die Hardcore-Fans der Sendung, die bei www.ioff.de, dem inoffiziellen Fernsehforum, Tagebuch führen über das, was sie rund um die Uhr auf Premiere aus dem »BB«-Dorf sehen, sind ziemlich unengagiert bei der Sache. Wie sollte es auch anders sein, wenn das Highlight des Tages daraus besteht: »Bettina erzählt und zählt auf, was sie gestern und bis jetzt alles gegessen hat. Sie hätte sehr viele Eier gegessen.«

Anlass für emotional geführte Dauerdiskussionen bieten die Ernährungsgewohnheiten der Bewohner einfach nicht. Und auch die Beziehung zwischen Gina und Norman interessiert nicht wirklich viele der verbliebenen »BB«-Zuschauer. Menschen, die an eigentlich schon toten Beziehungen festhalten, sind schließlich schon im richtigen Leben nur schwer erträglich; sich das Elend im Fernsehen anzuschauen, geht nur, wenn man dringend Nachhilfestunden im Fach »Zusammenleben mit einem Idioten« braucht.

Normans letzter Vorschlag lautete übrigens: »Lass es uns einfach weiter austesten!« Woraufhin Gina knapp antwortete: »Ich bin zu alt zum Austesten!«

Und so hat man, der »Big-Brother«-Langeweile sei Dank, jeden Tag zwischen 19 und 20 Uhr unvermutet eine Stunde frei. Die kann man damit füllen, wirklich schöne Dinge zu tun, nach Mandeln riechende Pflegemasken aufs Gesicht aufzutragen, oder die Fußnägel zu lackieren, oder Knie- und Rumpfbeugen zu machen. Oder man kann sich aus dem Tierheim einen schwarz-weiß gestreiften Mischlingsrüden holen, beispielsweise, der sich dann jedoch bedauerlicherweise als leicht debil entpuppt, und den kann man dann täglich eine Stunde lang in den Fächern »Nicht auf den Teppich machen«, »Nicht auf dem Tisch rumliegen« und »Nein, Hassso, friss das nicht!« unterrichten. Falls eine massive Hundeallergie vorliegt, ist es auch okay, das heimeigene Meerschweinchen täglich eine Stunde im Purzelbäumeschlagen zu unterichten.

Alles, wirklich alles ist besser, als kostbare Lebenszeit mit »Big Brother« zu verschwenden.