Papiere, bitte schön!

Mit einem Hungerstreik und Besetzungen von Uno- und Gewerkschaftsgebäuden versuchten Sans Papiers in Paris, ihre Legalisierung zu erreichen. Nur wenige hatten Erfolg. von marc bellinghausen, paris

Gegen acht Uhr morgens kamen Feuerwehrleute, um die zwölf Hungerstreikenden in mehrere Krankenhäuser zu bringen. »Räumung aus gesundheitlichen Gründen« nannte die Präfektur von Paris den Einsatz am 3. Mai im Gewerkschaftshaus. Die Hungerstreikenden, vor die Alternative gestellt, dass ansonsten alle Anwesenden festgenommen würden, gingen schließlich freiwillig mit. »Ich brauche keine Überprüfung meines Gesundheitszustands, ich bin hier um zu kämpfen. Wir fordern nicht den Mond, sondern nur das Recht zu leben«, sagte Malik Ouali, einer der Hungerstreikenden. Am Abend des gleichen Tages kehrten die Streikenden zurück, um ihren Kampf fortzusetzen.

Zwei Monate zuvor hatte der 9. Collectif der Sans Papiers das Büro des Kinderhilfswerks der Uno (Unicef) in Paris besetzt, um seiner Forderung nach Legalisierung von 88 Menschen ohne Papiere Nachdruck zu verleihen. Unter diesen Sans Papiers sind zahlreiche Familien mit Kindern, weshalb das Büro einer Organisation, die sich »weltweit für die Rechte der Kinder« einsetzt, als geeigneter Ort des Protests erschien. Zwölf der Besetzer begannen Mitte März einen Hungerstreik. Doch anstatt »mit den Streikenden zu diskutieren und die Gründe für die Besetzung zu erfahren«, wie der 9. Collectif einforderte, ließ die Organisation am 19. April die Räumung mit Polizei und Tränengas durchsetzen.

Die Menschen besetzten daraufhin das zentrale Gewerkschaftshaus. Dort konnten sie aber auch nicht bleiben, die Gewerkschaft bot ihnen stattdessen einen Saal im kleineren Gewerkschaftshaus im dritten Arrondissement an. Die Hungernden setzten dort ihren Streik fort.

Obwohl die Gruppe mittlerweile von Organisationen, Parteien und Gewerkschaften unterstützt wurde, war von Seiten des Innenministeriums und der Präfektur, die für die so genannte regularisation (Regulierung) von illegalisierten Migrantinnen und Migranten zuständig ist, nur zu hören, dass über die eingereichten 88 Dossiers erst nach Beendigung aller Aktionen entschieden werde. Als nach Aussage unabhängiger Ärzte die Hungerstreikenden den »roten Bereich« erreicht hatten, in dem mit schwerwiegenden Komplikationen zu rechnen sei, wurde Anfang Mai ihre Einweisung in Krankenhäuser angeordnet.

Noch im Sommer vergangenen Jahres konnten 460 Sans Papiers in Lille mit einem Hungerstreik Abschiebungen abwenden und die Wiederaufnahme von Verhandlungen über ihren Aufenthalt erreichen. In Poitiers wurde am 8. Mai die Besetzung des städtischen Theaters durch 373 Sans Papiers unterbrochen. Sie wiesen auf Transparenten auch auf die Beteiligung ihrer Vorfahren an der Befreiung Frankreichs hin: »1945: eure Papiere, 2005: ohne Papiere«. Sie fordern ebenfalls ihre kollektive »Regulierung«, und erklärten: »Wir haben nichts zu verlieren. Wir werden in den Hungerstreik treten.«

Schon seit Jahrzehnten macht der französische Staat von der Möglichkeit Gebrauch, den Aufenthalt Illegalisierter zu legalisieren. Die letzten großen Regulierungswellen gab es Anfang der achtziger Jahre, damals erhielten etwa 130 000 Menschen einen legalen Aufenthaltsstatus, und 1992, nach einem Streik von Asylbewerberinnen und Asylbewerbern. Damals wurden 20 000 Menschen legalisiert, sechs Jahre später 81 000 Migranten, allerdings hatten 143 500 Personen einen Antrag gestellt. Die Legalisierungskampagnen der Regierung waren immer verbunden mit einem verschärften Vorgehen gegen diejenigen, denen die Anerkennung verweigert wurde.

Für Einzelanträge wird nach den Bestimmungen von 1998 der Nachweis über einen zehnjährigen Aufenthalt in Frankreich verlangt, bei Studenten sind es 15 Jahre. Bis vor zwei Jahren gelang es häufiger, durch Besetzungen oder Hungerstreiks mehrere Menschen kollektiv zu legalisieren, doch spätestens seit dem »Gesetz Sarkozy« vom November 2003 wurde die staatliche Blockadehaltung härter. Der Präfekt von Paris, Pierre Mutz, verkündete am 4. Mai, man werde die Dossiers des 9. Collectifs »Fall für Fall« durchgehen, »aber auf keinen Fall wird es eine Regulierung en bloc geben«.

Nach der kurzzeitigen Evakuierung der Hungerstreikenden kam es am nächsten Tag zu den ersten Gesprächen mit der Präfektur seit Beginn der Besetzungen. Dabei wurde die »Regulierung« von fünf Hungerstreikenden und sieben weiteren Angehörigen des Collectifs zugesagt. Doch die Gruppe war damit nicht zufrieden. Der Zahl der zugesagten »Regulierungen« entspricht prozentual in etwa dem gewöhnlichen Prozentsatz von Anerkennungen. »Wir wollen aber eine politische Lösung, keine technische«, erklärte Kamal Mokrane aus Algerien, diese Zahl sei ein »Versuch, den 9. Collectif zu spalten«.

Die Stimmung auf den Versammlungen im besetzten Gewerkschaftshaus war angespannt. Der Verwaltungschef des Gewerkschaftshauses, Edgar Fisson, zeigte sich unzufrieden mit der Anwesenheit des 9. Collectifs, da dieser die gewerkschaftliche Nutzung verhindere: »Diese Besetzung des Raumes schlägt eine Bresche in die gewerkschaftliche Bewegung.« Der Vorschlag, die Verhandlungen mit dem Präfekten ausschließlich von Vertretern der Gewerkschaften und Menschenrechtesorganisationen fortsetzen zu lassen, stieß auf wenig Beifall.

Am 6. Mai bestätigte die Präfektur schließlich die »Regulierung« aller Hungerstreikenden sowie der sieben anderen Angehörigen des Collectifs. Am nächsten Abend gingen die letzten Hungerstreikenden am Ende ihrer Kräfte ins Krankenhaus. Auch wenn sie erleichtert sind, dass ihr Hungerstreik nun zu Ende ist, wissen sie doch, dass sie ihr Ziel nur teilweise erreicht haben. Nicht nur die verbliebenen 69 anderen Migranten, auch hunderttausende weitere Sans Papiers warten auf ihre Legalisierung.

In der vergangenen Woche sprach Innenminister Dominique de Villepin von 200 000 bis 400 000 »irregulären Immigranten«, für die jede »massive Regulierung außer Frage« stehe. Vor einem Treffen mit vier europäischen Amtskollegen am vergangenen Donnerstag kündigte er einen Ausbau der so genannten Migrationspolizei, die Verschärfung des Heiratsrechts und der Asylverfahren an. Die Zahl der Abschiebungen soll auf 20 000 gegenüber 16 000 im vergangenen Jahr erhöht werden. Gleichzeitig wird ein flexibler Markt an Arbeitskräften am Bau, für Sex- und Hausarbeit oder die Gastronomie erhalten, der über die Praxis der Regulierung je nach Bedarf steuerbar ist.

Der 9. Collectif hat mittlerweile auf den Druck der Gewerkschaften reagiert und die Räume verlassen. »La lutte continue«, der Kampf geht weiter, ist nicht nur eine Parole auf den Demonstrationen, sondern auch die Antwort auf die Frage, wie das Leben ohne Papiere weitergeht.