Die omnipotente Zelle

Das spanische Gesundheitsministerium erlaubt Forschung mit embryonalen Stammzellen. Kritikern gilt sie als Frevel an menschlichem Leben. von guido sprügel

Spanien ist das erste katholische Land, das es Wissenschaftlern erlaubt, an embryonalen Stammzellen zu forschen. Die weitreichende Gesetzesvorlage der spanischen Regierung, die nur noch vom Parlament gebilligt werden muss, sieht eine generelle Lockerung der Regelungen zur Stammzellforschung vor. Danach können Eltern von Kindern mit unheilbaren Erkrankungen neue Embryonen zeugen und einen gesunden aussuchen, der dann als Spender für das kranke Kind fungiert.

Künftig sollen spanische Wissenschaftler mehrere Tage alten Embryonen Stammzellen für die Forschung entnehmen dürfen. »Wir haben für viele Menschen die Tür der Hoffnung geöffnet«, kommentierte die stellvertretende Ministerpräsidentin Maria Teresa Fernando de la Veggie den Gesetzesentwurf.

Embryonale Stammzellen werden von Medizinern momentan als Allheilmittel der Zukunft gepriesen. Sie gelten als Hoffnungsträger im Kampf gegen Erkrankungen wie Parkinson, Alzheimer oder Lähmungen. Es handelt sich um befruchtete Eizellen, die wenige Tage alt sind. Sie haben sich gerade drei- oder viermal geteilt, bestehen nur aus einer Handvoll Zellen und sind in diesem Stadium noch undifferenziert. Erst später entwickeln sie sich zu speziellen Zelltypen wie Muskel- und Nervenzellen. Mediziner hoffen, aus diesen Stammzellen eines Tages neues Gewebe züchten zu können. Sie sollen beispielsweise dabei helfen, bei Alzheimer-Patienten neues Gehirngewebe entstehen zu lassen.

In der Realität gibt es jedoch noch keine Hinweise darauf, dass die Forschung an Stammzellen zu hilfreichen Therapien führt. »Da wird viel übertrieben und es werden falsche Hoffnungen geweckt«, schreibt Davor Solter, der Direktor des Max-Planck-Instituts für Immunbiologie, in seinem Buch »Embryo Research in Pluralistic Europe«. Doch die Forschung steckt in einem Dilemma. Das ethische Problem ist so groß, dass es kaum seriöse Forschung mit Stammzellen gibt. Daher gibt es auch kaum nennenswerte Fortschritte. Für Kritiker sind embryonale Stammzellen frühes menschliches Leben. Und das gilt es zu schützen – vor allem vor der Forschung.

Wegen dieser Bedenken ist die Forschung an embryonalen Stammzellen auch in der EU umstritten. Es fehlt eine EU-weite Regelung für die Forschung an den begehrten Zellen, daher hat jeder Mitgliedsstaat seine eigenen nationalen Regelungen getroffen. Neben Spanien sind Forschungsprojekte mit Stammzellen nur in Großbritannien, Schweden und Belgien völlig legal.

Wie die FAZ berichtete, fühlt sich Bundeskanzler Gerhard Schröder wegen der Erfolgsmeldungen der vergangenen Woche aus Südkorea in seinem Vorhaben bestärkt, den Embryonenschutz in Deutschland zu lockern und die Stammzellforschung unumschränkt zuzulassen. Südkoreanischen Wissenschaftlern soll es erstmalig gelungen sein, Hautzellen schwer kranker Menschen mit entkernten Eizellen zu verschmelzen. Daraus konnten sie offenbar embryonale Stammzellen gewinnen. Die neuen Zellen werden angeblich vom Körper des Kranken nicht abgestoßen und sollen die gleichen Fähigkeiten besitzen wie normale embryonale Stammzellen. Das würde bedeuten, man bräuchte in Zukunft nur noch Zellen einer erkrankten Person und die Eizelle einer Spenderin, um die Stammzellen zu gewinnen. Die Frage, wer die Eizellen spenden soll, ist allerdings nicht geklärt.

Der Deutsche Bundestag verabschiedete im Januar 2002 eine Stellungnahme zur Stammzellenforschung. Derzufolge bleiben das strikte Forschungsverbot und das Verbot der Herstellung menschlicher Embryonen bestehen, doch dürfen Forscher embryonale Stammzellenlinien nutzen, die vor dem 1. Januar 2002 hergestellt wurden. Damit sollte sichergestellt werden, dass keine neuen Linien angelegt werden. Schröder will Mitte Juni eine Erklärung zur Stammzellenforschung abgeben.

Bereits im Jahr 2001 beschloss das britische Parlament die liberalste Regelung der Embryonenforschung in Europa. Das Klonen von menschlichen Embryonen zu Forschungszwecken ist dort unter strengen Auflagen erlaubt. Die zuständige britische Behörde, die Human Fertilisation and Embryology Authority (Hefa), genehmigte Forschern aus Newcastle bereits einen Antrag, geklonten menschlichen Embryonen Stammzellen entnehmen zu dürfen. Vor zwei Wochen erlaubte der oberste britische Gerichtshof dem Ehepaar Hashmi sogar die Zeugung eines Embryos mit einer vorher bestimmten Blutgruppe. Wie Spiegel-online berichtete, will das Ehepaar mit den Stammzellen des Babys, das durch künstliche Befruchtung entstanden ist, seinen schwer kranken Sohn behandeln lassen. Dieser leidet an der seltenen Krankheit Beta-Thalassämie, die als unheilbar gilt. Die Hefa stimmte dem Antrag ebenfalls zu.

In Belgien ist das therapeutische Klonen seit dem Jahr 2003 erlaubt, in Schweden liegt ein entsprechender Gesetzesentwurf vor. Das französische Parlament hob im vergangenen Sommer das Forschungsverbot für fünf Jahre auf. Zwar bleibt das therapeutische Klonen verboten, aber die französischen Forscher dürfen in diesem Zeitraum Stammzelllinien aus überzähligen Embryonen gewinnen. Nach fünf Jahren soll dann erneut diskutiert werden, wie es weitergehen soll.

Die italienische Regierung hat sich noch nicht eindeutig festgelegt. Zwar sind seit zwei Jahren die Embryonenforschung und die Herstellung von Stammzellenlinien strikt verboten, doch der Import dieser Zellen ist, ähnlich wie in Deutschland, nicht ausdrücklich untersagt. Die scheinbar strikte Regelung gilt als Zugeständnis an den Vatikan. Dieser hat sich vehement gegen jegliche Embryonenforschung ausgesprochen.

Wegen des internationalen Drucks - vor allem Südkorea und China, aber eben auch Spanien und Großbritannien, drängen auf dem Gebiet voran - stellen Staaten, die eigentlich die Stammzellenforschung ablehnen, ihre Grundsätze vermehrt in Frage. In der EU wurden in den vergangenen fünf Jahren die Gelder, die für Stammzellenprojekte bereitgestellt werden, verdoppelt. Gefördert werden zu 90 Prozent Forschungen an adulten Stammzellen, sie werden von Erwachsenen entnommen, doch fünf Projekte beschäftigen sich auch mit der Forschung an embryonalen Stammzellen.

Für die kommenden Jahre erwartet der Direktor der Generaldirektion Forschung der Europäischen Kommission, Octavio Quintana Trias, ein Umdenken zugunsten der embryonalen Stammzellenforschung. »Während sich noch vor fünf Jahren die meisten Länder gegen eine Arbeit mit embryonalen Stammzellen aussprachen, ist jetzt die Forschung fast überall zugelassen«, erläuterte er im April auf einem Treffen über EU-Rahmenprogramme zu Forschung und technologischer Entwicklung.