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Nach der Ankündigung vorgezogener Neuwahlen verabschieden sich Deutschlands Medien von Kanzler Gerhard Schröder und entdecken Angela Merkel als Traumfrau. von martin schwarz

Unter Deutschlands Medien, zumal in den Redaktionsstuben des öligen Boulevards, scheint eines schon jetzt sicher zu sein: Gerhard Schröder hat praktisch schon abgedankt, Angela Merkel heißt die neue Hausherrin im Berliner Kanzleramt. Doch bisher hatten die Journalisten ein Problem mit ihr: Sie war nicht viel mehr als ein politischer Kartoffelkopf ohne persönliche Eigenschaften, der eben der CDU vorstand. Ein bisschen wie ein verirrter Welpe wirkte sie, wenn sie etwas verunsichert auf Veranstaltungen zugegen war, niemals ganz gewiss, ob der nächste Schritt in den Raum auch der richtige sei. Das Kontrastprogramm dazu war der Smalltalk-Künstler Schröder, ein Naturtalent in der Kunst der schnellen Anpassung an seine Umwelt. Charmant, altklug bis an die Grenze der Erträglichkeit, aber in jedem Fall eine Bereicherung für jede Veranstaltung. Über den Lebemann Schröder konnte man 1998 noch schreiben, und das Reservoir der Anekdoten war unerschöpflich. Doch wie befasst man sich mit Angela Merkel?

Nun haben aber die Medien gelernt, aus einer CDU-Vorsitzenden ohne nennenswerten Spleen und ohne Eigenschaften eine eindrucksvolle Persönlichkeit zu machen. Angela Merkel geistert seit vergangener Woche durch die Medien als Mensch, der äußerlich still, aber innerlich ein wahres Kraftpaket ist und sowohl privat als auch beruflich ausgezeichnete Eigenschaften zu bieten hat. Der Stern porträtierte sie in seiner letzten Coverstory als Politikerin, die gelernt hat, dass neuartige Steuermodelle, Kritik an Hartz IV, Gesundheitsreform und andere politische Innovationen den gemeinen Wähler weniger verzücken als die Erlaubnis, ein wenig hinter die zugegebenermaßen nicht allzu durchgestylte Fassade zu blicken. »Sie ist irgendwie anders gewesen an diesem Tag im vergangenen November. Sie hat im grellen Lichtkegel auf der Parteitagsbühne gestanden und von ihrer Großmutter gesprochen. Mit weicher Stimme in die dunkle CSU-Masse hinein. Hat erzählt, dass sie zum Tag der Deutschen Einheit den Tränenpalast an der Berliner Friedrichstraße besucht hat, diesen Palast der Tränen, der früher das graue Bollwerk der DDR-Grenzer war. Hat gesagt, dass ihre Eltern und sie immer die Großmutter dorthin brachten, wenn die wie jeden Sommer gekommen war und dann wieder nach Hamburg fuhr. Dass es für sie als Kind schwer war, unglaublich schwer, wenn sie sah, wie die Großmutter älter wurde und wie ihre Mutter Angst hatte, ob man sich je wiedersah«, steigt der Stern in eine Story ein, die in vielerlei Hinsicht öliger und greller geschrieben ist, als Rosamunde Pilcher es jemals gekonnt hätte. Angela Merkel, die Antwort der deutschen Politik auf Barbara Wussow. Ein Gähnen wird die Stern-Leser gepackt haben, als sie ebenfalls lasen, dass die Kanzlerkanditatin der CDU eben doch anders ist, als wir alle dachten, weil »es so schwer ist, sich vorzustellen, dass die mächtige Frau Merkel als kleines Kind viel zu lang und faul im Laufstall hocken blieb«. Angela, Angela: Es steckt also doch ein kleiner Revoluzzer in dir.

Auch die Bild-Zeitung, deren Redakteure den Zentralen der Macht offenbar ebenso nah sind wie den Brüsten von Starlets und den Ehedramen abgehalfterter Schlagersänger, stimmt die Republik ein auf eine Merkel, die im Kreise ihrer künftigen europäischen Amtskollegen jeden Trick anwenden wird, um für Deutschland das Beste herauszuholen. So nimmt Bild den geschätzten Leser mit auf eine Zeitreise in die erste Legislaturperiode Angela Merkels und entwirft das Szenario, die Kanzlerin müsste »nachts in Brüssel mit dem französischen Staatspräsidenten Jacques Chirac und dem britischen Premierminister Tony Blair in schwierigen Gesprächen deutsche Interessen durchsetzen. Kann sie das? Sie kann. Es gibt gestandene CDU-Granden, die haben Tränen in den Augen, wenn sie davon berichten, wie die ›Eiserne Angie‹ sie in ihrem Lieblingslokal ›Chez Maurice‹ im Osten Berlins bis 3 Uhr morgens bei Rotwein ausgesessen hat.« Angie, die Sache mit der Kanzlerin ist gebongt. Wenn es derart sichere Quellen für dein Verhandlungsgeschick gibt, dann steht einer Wahl nichts mehr im Wege.

Michael Glos (CSU), als Verteidigungsminister von den Berliner Medien praktisch schon beim Großen Zapfenstreich gesehen, analysiert das Verhalten von Merkel bei Verhandlungen mit männlichen Gesprächspartnern in Bild genau: »Eins der Geheimnisse des Erfolgs von Angela Merkel ist ihr geschickter Umgang mit eitlen Männern. Sie weiß: Auerhähne schießt man am besten beim Balzen. Angela Merkel ist die geduldige Jägerin der balzenden Auerhähne.« Und noch eine Facette kommt hinzu: Nicht nur trink- und sitzfest ist sie also, nicht nur gefangen in den Erinnerungen an Oma und Mama und die Familie und den Osten, sondern auch eine Waidfrau erster Güte. Schießt einfach balzende Auerhähne! Geduldig noch dazu!

Es bewegt die Medien Berlins wohl auch, wie der nach fester Überzeugung hochkluger politischer Beobachter ohnehin schon entschiedene Wahlkampf zwischen dem Mann Gerhard Schröder und der Frau Angela Merkel aussehen wird. Denn so etwas gab es noch nie in der Bundesrepublik und das macht ratlos. Oder auch nicht. Franz Josef Wagner, der sympathische Querdenker aus der Bild-Redaktion, hat sich dazu schon Gedanken gemacht und Gerhard Schröder einen offenen Brief geschrieben. Darin erzählt Wagner, wie sein eigenes Verhältnis zu Mädchen war, bevor er ins Mannesalter kam: »Mädchen gegenüber war ich Schulhof-Rabauke äußerst reserviert und schüchtern. Ich glaube, ich dämpfte sogar meine Stimme, weil Mädchen weinen. Nie hätte ich einem Mädchen eins auf die Nase geben können.« Aber: »Aber Sie, Kanzler, müssen nun Angela Merkel eins auf die Nase geben. Sie sind der erste Mann, der um die Macht mit einer Frau kämpft. Ich habe keine Erfahrung, wie man gegen Frauen kämpft. Man kann Honigsirup trinken. Dann ist man ein charmanter Mann. Nach meiner Ansicht hat keine Frau einen Anspruch auf uneingeschränkte Anerkennung. Ich denke, dass Kanzler Schröder gegen Frau Merkel kämpfen muss, als wäre sie ein Mann. Das ist meine Meinung.« Meine auch, werden sich die Leser gedacht haben.

Ein anderes Phänomen an den Medien, die diesen wohl auch für die Journalisten recht plötzlich gekommenen Wahlkampf verfolgen, ist das Arrangement mit einer künftigen Regierung Merkel, deren Amtsantritt lediglich durch eine Formsache wie Wahlen verzögert wird. Hans-Ulrich Jörges, Berliner Korrespondent des Stern und nebenberuflich sprechendes Sitzmöbel in beinahe sämtlichen Diskussionsrunden des Senders Phoenix, hat als einer der Ersten den Abschied von der Regierung Schröder formuliert. »Danke, Gerhard Schröder«, titelt er, der im Selbstverständnis nicht wesentlich unwichtiger für die Zeitläufte ist als Papst Johannes Paul II., John F. Kennedy oder auch Schnappi, das Krokodil. »Mit der Neuwahl im Herbst beendet der Kanzler die rot-grüne Agonie – und erspart dem Land ein Jahr bis zum unausweichlichen Neubeginn«, schreibt er. Freilich sehen die Umfragen verheerend aus für die SPD und auch nicht besser für die Grünen, aber noch ist keineswegs entschieden, dass Schwarz-Gelb im Herbst antreten kann. Immerhin könnte der Kanzler auch auf Guido Westerwelle (FDP) hoffen: Der ins Amt des Parteivorsitzenden hineingenäselte politische Gebrauchtwagenhändler könnte seine Partei derart gegen die Wand faseln, dass eben an ihm die Koalition scheitert. Auch die Financial Times Deutschland hat mit einem eigenen Analysemodell errechnet, dass es Schröder bei einem Wiedererstarken seiner persönlichen Popularität durchaus gelingen könnte, zumindest eine schwarz-gelbe Koalition zu verhindern.

Die Neuwahl übrigens scheint allein die taz nicht überrascht zu haben. Am Tag nach der Ankündigung vorgezogener Wahlen veröffentlichte sie im Internet einen Kommentar, der wohl schon vor Sonntag für die Wahlniederlage in Nordrhein-Westfalen geschrieben worden war, und einen, der danach verfasst worden war, und beide stammten von derselben Autorin. Im ersten Kommentar hieß es noch: »Seit langem wird fast jede Landtagswahl zur Schicksalsfrage für den Bund ≠ hochgejazzt. Das ist meist eine populistische oder feuilletonistische Albernheit.« Und nach der Neuwahlankündigung: »Dabei sind Neuwahlen aus Sicht der rot-grünen Koalition eigentlich keine schlechte Idee. Oder zumindest ist der Plan, nüchtern betrachtet, immer noch die beste von mehreren schlechten Alternativen.«