Volsicht:
Rinkspaltei

Um den leer gewordenen Platz links von der SPD streiten sich grüne und rote Parteien, nur keine Linken. von ivo bozic
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Parteigründung links von der SPD, Wahlalternative. Gab’s das nicht schon mal? Als sich vor ziemlich genau 25 Jahren die Grünen als Partei konstituierten, da hieß es im Satzungsentwurf: »Wir sind die grundlegende Alternative zu den herkömmlichen Parteien.« Die SPD regierte damals mit der harten Hand von Bundeskanzler Helmut Schmidt und hatte es seit dem Deutschen Herbst 1977 und spätestens nach dem Nato-Doppelbeschluss 1979 geschafft, so ziemlich das ganze linke Spektrum außerhalb der Parteien und Parlamente gegen sich aufzubringen.

Eine vergleichbare Situation also? Unabhängig davon, ob aus einer Partei-Neugründung aus der PDS und der Wahlalternative Arbeit und Soziale Gerechtigkeit (Wasg) überhaupt etwas wird, ist bemerkenswert: Die Linke, die sich 1980 zusammenschloss, und jene, die derzeit über ein taktisches Bündnis für die Bundestagswahl berät, sind nicht im geringsten vergleichbar, obwohl beide den Anspruch formulieren, eine linke Alternative zur SPD zu sein.

»Ökologisch, sozial, basisdemokratisch und gewaltfrei«, lauteten die vier Grundsätze der Grünen seinerzeit. Die Basisdemokratie wurde mit den Jahren im Rahmen der Professionalisierung schon parteiintern schrittweise abgeschafft, die Gewaltfreiheit ist nicht erst seit dem Aussenden der Bundeswehr durch eine rot-grüne Regierung eine leere Floskel, und als sozial können die Arbeitsmarkt- und Sozialreformen der Schröder-Fischer-Regierung wohl kaum gelten. Was ist den Grünen als explizit eigenes, als »linkes« Thema geblieben? Die Ökologie. Die sorgt heutzutage allerdings nicht mehr für relevante gesellschaftliche Konflikte. Ökosteuer, Dosenpfand und Bio-Eier – die Republik sagt: Danke und Tschüss. Also versuchten sich die Grünen im Wettbewerb mit der FDP als liberale Bürgerrechtspartei zu etablieren, doch das ist angesichts der zahlreichen sicherheitspolitischen Verschärfungen dieser Regierung kaum vermittelbar.

Dass die Grünen dennoch fast zehn Prozent der Gesellschaft binden können, liegt daran, dass sie ein Milieu repräsentieren, das heutzutage zum Mainstream gehört. Man lebt im Westen, liest die taz oder Die Zeit, ist tolerant gegenüber Ausländern, zahlt für ein Bio-Produkt oder für alternative Energie gerne mal ein bisschen mehr, weil man es sich leisten kann, denn schließlich verdient man als Oberstudienrätin oder Werbefuzzi ja auch nicht schlecht.

Dieses Milieu hat nichts mit jenem zu tun, das sich in der PDS tummelt, und auch nichts mit der Klientel Oskar Lafontaines und der Wasg. Denn letzteres interessiert nur zweierlei: Arbeit, Arbeit, Arbeit – und soziale Gerechtigkeit. Der Rest ist Schweigen. Bei der PDS kommt noch der Osten als Thema hinzu.

Wie weit diese Milieus kulturell und politisch auseinanderliegen, zeigt sich immer wieder im Wahlkampf, und auch im parlamentarischen Alltag. Zwar liegt es zum Teil an der Aufteilung der Einflussbereiche zwischen Ost- und Westdeutschland, dass sich PDS und Grüne im politischen Geschäft kaum über den Weg laufen. Aber auch da, wo es Berührungspunkte gibt, etwa im Bundestag oder in der Berliner Landespolitik, kam und kommt es kaum zur Bezugnahme aufeinander. Obwohl doch beide Parteien »die Linke« ansprechen, versuchen sie im Wahlkampf noch nicht einmal ernsthaft, im Milieu der anderen um Stimmen zu werben.

Nicht nur im Berliner Ostbezirk Hellersdorf, wo die PDS regelmäßig 40 Prozent der Stimmen einfährt, gibt es nur eine Konkurrenz: die SPD. Außer im zusammengelegten Berliner Ost-West-Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg, wo bei der Bundestagswahl 2002 Hans-Christian Ströbele der PDS das entscheidende dritte Direktmandat wegnahm und damit den Einzug in den Bundestag verhinderte, sind die Parteien sich so fremd, das sie noch nicht einmal eine Konkurrenz füreinander darstellen.

Die Grünen bezeichnen die PDS als staatsautoritäre, nationalistische und die DDR verklärende Partei, und die PDS die Grünen als neoliberale, antisoziale Kriegstreiber – und beide haben Recht. Schnittmengen zwischen den Positionen der beiden Parteien gibt es, vom irrelevanten Parteiprogramm abgesehen, nur dort, wo es sie auch zum Rest der Gesellschaft gibt, etwa im mehr oder weniger offenen, von einigen gerne auch als »Friedenspolitik« verklärten Antiamerikanismus.

Die Behauptung, dass die Grünen eben längst nicht mehr links, sondern nach rechts gerückt seien, hilft als Erklärung nicht weiter. Auch in den achtziger Jahren gab es nur sehr begrenzte kulturelle und politische Überschneidungen jener »sozialen« Bewegungen im Westen – also Atom-Gegner, Umweltschützer, Hausbesetzer, Wehrdienstverweigerer, Feministinnen usw. – mit den braven PDS-Mitgliedern, von denen nicht wenige im Staatsapparat der DDR einen Posten innehatten, treu in der Armee dienten, keinerlei kritisches Technologieverständnis und kein Problem mit Autoritäten pflegten und pflegen. Die abgehalfterten Sozialdemokraten und Gewerkschafter, die sich jetzt mit der Wasg ins politische Geschehen zurückmelden, entsprechen diesem Teil der Linken, nicht dem von den Grünen repräsentierten – weder dem heutigen, noch dem vor 25 Jahren.

1980, und vermehrt nach dem Austritt linksradikaler Querschläger in den folgenden Jahren, etablierte sich mit den Grünen der alternative, liberale Teil der Linken neben der Sozialdemokratie. Aber nur, um später in Form des rot-grünen Projekts um so intensiver und verheerender wieder anzudocken. 2005 ist das sozialdemokratische Milieu dabei, sich aufzuspalten: SPD, PDS, Wasg – wie viele sozialdemokratische Parteien verträgt dieses Land? Das Parlament könnte sie alle problemlos aufnehmen, aber wer soll die Kundschaft sein? Möglicherweise dient die vordergründige Spaltung des Milieus auch in diesem Fall vor allem späteren Zusammenschlüssen. Willy Brandts Vision vom westöstlichen Zusammenwachsen hat schließlich gerade bei der Sozialdemokratie noch Potenzial.

Tatsache ist, dass die SPD in ihrer Regierungszeit die klassische Sozialdemokratie als politische Orientierung aufgegeben und dass die Grünen ihr linkes Image weitgehend eingebüßt haben. Also ist Platz für eine linke Partei. Nur ist weit und breit keine in Sicht. Der Antikapitalismus der Wasg und der PDS bewegt sich auf dem Niveau der Heuschrecken-Debatte und ist somit bis ganz nach rechts anschlussfähig, ihr Verständnis von der Arbeitsgesellschaft ist im besten Fall veraltet, im Grunde reaktionär. Und von anderen Themen wie Militarismus, Innere Sicherheit, Rassismus, Ökologie, Bürgerrechte will die Wasg nichts wissen. Auch die PDS wird ihren Wahlkampf auf soziale Themen konzentrieren. Man verwendet keinen Wurm als Köder, wenn man weiß, dass die Fische auf Larven abfahren.

Wenn der PDS-Wahlkampfleiter Bodo Ramelow sagt: »Das Ziel ist, dass es eine Liste gibt, die das linke Spektrum in Deutschland abdeckt«, dann ist daran nicht viel Wahres. Es geht schlicht um eine Liste, die den sozialen Protest auffängt. Das ist zwar die originäre Aufgabe einer Linken, aber das ist noch lange nicht links. Das ist vor allem eins: das Aufsaugen der No-Globo- und Anti-Hartz-Proteste in eine politische Partei, das Einfahren der Ernte. Und dies wird nicht nur zur Kanalisierung sozialer Proteste führen – dies hat sich dank Attac längst erledigt – sondern, und das ist das Problem, auch dazu, dass der regressive Antikapitalismus eine stärkere Stimme im Bundestag bekommen wird. Für die PDS bedeutet die Fixierung auf das Soziale und eine Annäherung an Lafontaine einen weiteren Rechtsruck. Anders gesagt: Nie war bei einer Bundestagswahl die Chance für eine linke Partei so schlecht wie heute.