Black Death

Bohren und der Club of Gore ist tödlich langsam. von thomas blum

Schon immer spielen sie eine Art elegischen Suizidblues in Zeitlupe, durchsetzt von ausgedehnten Passagen der Ruhe und von erhabener Dunkelheit.

Bohren und der Club of Gore nennen sich die Musiker, und der gleichermaßen karge wie warme Sound, den sie Album für Album kultivieren und mit der Zeit verfeinert haben, ist bestimmt für Menschen, die den Winter herbeisehnen. Für Menschen, die der Blick aus dem Fenster auf die kahlen, langsam vor sich hinsterbenden Bäume und die sacht herabfallenden Schneeflocken besänftigt und beruhigt und die sich dabei noch fester in ihre schwarze Flanelldecke wickeln.

Gelegentlich erklingt lebensmüde ein Saxophon, mit dem Xylophon werden bisweilen zaghaft ein paar Töne hingetupft. Das Schlagzeug wird gespielt, als bediene es ein Verendender mit letzter Lebenskraft. Manchmal erschöpft es sich in einem Rascheln oder Schaben. Sonst passiert nicht viel, und das muss auch so sein, denn so, wie es ist, ist es von gewaltiger Schönheit und Anmut. Hätte ein Baum ein Gehör, es würden ihm langsam und mit großer Regelmäßigkeit die Blätter abfallen beim Klang dieser erlaucht einherwummsenden Musik.

Und dennoch wärmt einem diese wohllautende, von allem überflüssigen Tonballast befreite Klangmalerei die Seele, falls es so etwas gibt.

Wie sagte einer von Bohren und dem Club of Gore so schön mit tonloser Stimme, als die Band unlängst bei einem Konzert in der Berliner Volksbühne im Publikum mit ihrer Musik dauerhaftes andächtiges Schweigen und eine Art lebensverneinende Allerheiligenstimmung auslöste? »Auch wir lieben den Frühling.« Woraufhin zunächst vereinzelt ungläubiges Gelächter einsetzte. Doch der begonnene Satz war noch nicht zu Ende gesprochen: »Auch wir legen dann frische Blumen aufs Grab.«

Auf der Bühne sind die Musiker kaum zu erkennen, denn nicht nur im Zuschauerraum, sondern auch dort herrscht beinahe vollständige Dunkelheit. Außer einem zuweilen sacht aufleuchtenden Skelett einer Hand im Vordergrund der Bühne ist alles in Finsternis getaucht. Nur hie und da lässt sich ein angeleuchteter Gitarrenhals oder ein Saxophon sehen. Der Gitarre und dem Bass wird in regelmäßigen Abständen ein letztgültiges Brummen oder Wummern entlockt.

Die Stimmung, die sich unvermeidlich bereits nach kurzer Zeit einstellt, ist eine friedvolle Melange aus Melancholie, Andacht und Niedergedrücktheit.

»Wir sind Bohren und der Club of Gore«, sagt eine der kaum wahrnehmbaren Gestalten, die sich in der Finsternis auf der Bühne abzeichnen, nach dem ersten Stück. »Wir spielen noch sechs Stücke, die sehr ereignisarm sind.« Es ist das Letzte, was der Mann für lange Zeit sagen wird. Das Publikum ist’s zufrieden und versinkt in Starre und Schwermut.

Eine wie auch immer geartete Show oder irgendwelche sonstige Effekthascherei werden nicht geboten, nur das besagte Gitarrenwummern, dann wieder die Stille, dann ein zartes Piano oder Xylophon.

Das neue Album mit einem zwanzigminütigen Instrumentalkoloss, der den Hörer mit einer Mixtur aus schleppenden, mehr raunenden als klingenden Tönen und zentnerschwerer Stille erschlägt, zu eröffnen, traut sich nicht jede Band, aber Bohren und der Club of Gore darf das tun. Man ist von diesen Leuten nichts anderes gewohnt. Seit Jahren erzeugen sie eine Musik, deren Betörendes gerade in ihrer berauschenden Reduktion liegt.

Man könnte den Leuten zu Recht vorwerfen, sie führten mit einer beängstigenden Konsequenz ihr künstlerisches Programm zu Ende, das da lautet: noch mehr Langsamkeit, noch mehr Beschränkung, noch mehr Stille, doch man wäre ja enttäuscht, wenn es anders wäre.

Es gibt auf dieser Platte keine Texte, keinen Hit, keinen Refrain, keine Beats per minute, keine Lebensfreude. Alles geht seinen Gang, zum Ende hin, und es gibt kein Licht am Ende des Tunnels.

Sie dürfen diese Platte langweilig finden. Sie können behaupten, sie sei öde. Doch das Verschleppte, dunkel Raunende, bleiern Lastende und nie Erlösende ist gerade das Bezaubernde.

Insbesondere mit der Zeit hat es hier eine besondere Bewandtnis. Jeder Ton hat das Recht zu verklingen. Und verklingt. Bis nichts mehr von ihm zu hören ist. Woraufhin die Stille folgt. Und auch sie verklingt. Was sich zugegebenermaßen nicht wenig seltsam anhört: verklingende Stille. Doch, es stimmt. Der Ton und die Stille, sie sind Geschwister, neidlose uneigennützige Freunde. Das Vergehen der Zeit zelebrieren sie gemeinsam, eine Stunde lang, solange die neue Platte dauert. Gleichberechtigt, spielend, uneitel, einander dienend, verrichten sie, was sie am besten können und am liebsten tun: Der Ton tönt und die Stille schweigt. Sie folgt ihm, nachdem er geendet hat, und er wartet nach ihrem Eintreten, bis sie es ihm gewährt, wieder zu erklingen.

Das Leben ist eine bedrückende Angelegenheit. Stellen Sie Ihr Telefon ab, verdunkeln Sie den Raum, legen Sie sich mit angezogenen Beinen in die Zimmerecke, begeben Sie sich direkt dorthin, umschließen Sie mit Ihren Armen Ihre Knie und hören Sie genau zu.

Machen Sie eine neue musikalische Erfahrung. Lernen Sie neue Freunde kennen, die Sie nie verlassen werden. Zumindest solange Strom aus der Steckdose kommt. Den Ton und die Stille. Und vergessen Sie nie: Auch dieser Sommer geht bald vorbei. Und es ist später, als Sie denken. Auch Ihr Leben endet.

Und dann kehrt Stille ein.

Bohren und der Club of Gore: Geisterfaust. (Wonder / Indigo)