Sex ist Arbeit

Die erste autonome deutsche Hurenorganisation Hydra wird 25 Jahre alt. von jessica zeller

Gunstgewerblerin, Möwe, Kontrollmädchen, Bordsteinschwalbe, Nutte, barmherzige Schwester oder einfach Sexarbeiterin: Es gibt unendlich viele Namen, mit denen die Beschäftigten im ältesten Gewerbe der Welt bezeichnet werden. Etwa 80 Prozent aller Männer in Deutschland hatten mindestens einmal in ihrem Leben Kontakt zu einer Prostituierten, jeder vierte nimmt regelmäßig die Dienstleistungen von Sexarbeiterinnen in Anspruch. »Bei einer Stadt von der Größe Berlins ist es einfach unmöglich zu sagen, wie viele Prostituierte es hier gibt und welchen Anteil wir davon erreichen«, meint Katharina Cetin von Hydra.

Vor 25 Jahren wurde der Verein in Berlin als erste autonome Hurenorganisation in Deutschland gegründet. Nach wie vor hat er sich dem Ziel verschrieben, dass Sexarbeiterinnen selbstbestimmt leben und arbeiten können. »1980 haben sich viele Frauen aus dem Bereich Sexarbeit und andere sozial engagierte Frauen kennen gelernt und Hydra erstmal nur als Treffpunkt gegründet. Sie haben Kaffee getrunken und auch kleine Aktionen gemacht. Ihr Anliegen war, Sexarbeit das Image des Kriminellen zu nehmen«, beschreibt Cetin, die für die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit sowie rechtliche Beratung bei Hydra zuständig ist, die Motivation der Gründerinnen.

Das Symbol der Hydra stammt aus der griechischen Mythologie. Es stellt eine neunköpfige Schlange dar, der zwei Köpfe nachwachsen, sobald einer abgetrennt wird. Ähnlich hartnäckig sollte die Arbeit des Vereins sein. Nach wenigen Jahren wurde auch von den öffentlichen Stellen erkannt, wie wichtig das Anliegen des Vereins ist. Seit 1985 erhält Hydra Geld vom Berliner Senat, wodurch die Einrichtung einer Beratungsstelle möglich wurde. Im Büro von Hydra in einer Kreuzberger Fabriketage arbeiten heute sieben Frauen, teils mit, teils ohne eigene Erfahrung im Sexgewerbe. Ihren Verein bezeichnen sie selbst als »Quingo«, als Quasi-NGO.

Frauen aus dem Gewerbe erhalten bei Hydra rechtliche Beratung, können sich über Aids und andere Geschlechtskrankheiten informieren, im Falle einer juristischen Auseinandersetzung den Rechtshilfefonds in Anspruch nehmen und, sollten sie in eine wirtschaftliche Notlage geraten, den Sozialfonds um Hilfe ersuchen. Hydra begibt sich außerdem regelmäßig auf »Streetwork«: Bordelle werden ohne Vorankündigung und oft auch unerwünscht aufgesucht, die dort arbeitenden Frauen werden kontaktiert und informiert.

Aber auch Nicht-Prostituierte werden von Hydra angesprochen; so können sich Freier zum Thema Safer Sex schlau machen und Angehörige im auf Wunsch anonymen Gespräch das besprechen, was sie ihre Tante, Schwester oder Mutter bisher nicht zu fragen wagten. Ein wichtiger Teil der Aktivitäten des Vereins ist zudem die politische Lobbyarbeit. Ende des Jahres 2001 wurde auf diesem Gebiet mit der Verabschiedung des so genannten Prostitutionsgesetzes ein großer Fortschritt erzielt. Seitdem gilt Prostitution nicht mehr als »sittenwidriges Gewerbe«, und Sexarbeiterin zu sein bedeutet einen Beruf wie (fast) jeden anderen auch auszuüben, mit einem Chef, einer Chefin oder als Selbstständige, mit Renten-, Sozial- und Krankenversicherung und einer jährlichen Steuererklärung.

»Es gab viele Fortschritte unter der rot-grünen Regierung«, resümiert Cetin. »Die Förderung der Prostitution wird nicht mehr unter Strafe gestellt. Das bedeutet letztlich, dass Bordellbetreiber oder Bordellbetreiberinnen den Frauen angenehme Arbeitsbedingungen bieten können. Sie können Kondome zur Verfügung stellen, sie können Handtücher auslegen, die hygienischen Verhältnisse sind gut. Das sehen wir auf jeden Fall als Fortschritt. Denn vorher war das alles unter Strafe gestellt, weil der Gesetzgeber davon ausging, dass angenehme Arbeitsbedingungen den Ausstieg aus diesem Gewerbe erschweren.«

Mit den politischen Reformen gehe eine Veränderung der gesellschaftlichen Akzeptanz einher: »Früher durfte ein Bordellbetreiber keinen Ausschank, sondern nur die Zimmervermietung machen. Es musste immer eine zweite Person da sein, die den Gastronomiebereich gemacht hat. Felicitas Schiro, die Besitzerin des Café ›Psst …‹ hat im Jahr 2000 dagegen geklagt, und der damalige Richter hat es tatsächlich geschafft, eine Studie in Auftrag zu geben, um herauszufinden, inwieweit Prostitution mittlerweile gesellschaftlich anerkannt ist. Er hat festgestellt, dass sie eben nicht mehr der Moral entgegensteht, und dann für Felicitas Schiro entschieden.«

Trotzdem sieht Cetin auch weiterhin Verbesserungsbedarf, besonders bei den behördlichen Durchführungsbestimmungen und der Vereinheitlichung mit anderen, teilweise widersprechenden Gesetzen. Das habe dazu geführt, dass Bayern das Prostitutionsgesetz bis heute nicht umsetze. Und auch für ausländische Sexarbeiterinnen in Deutschland ist nicht alles zum Besten bestellt: »In dem neuen Zuwanderungsgesetz steht immer noch, dass gerade Frauen, die eben diese Tätigkeit ausgeübt haben, ausgewiesen werden können, was mit so genannter Gewerbeunzucht begründet wird. Wir wollen, dass Migration in die Prostitution genauso behandelt wird wie andere Arbeitsmigration auch«, sagt Cetin.

Was illegalisierte Frauen betrifft, die eine große Zahl der Prostituierten in Berlin stellen, so befindet sich Hydra in einer zwiespältigen Lage. Zum einen ist der Verein als Bezieher öffentlicher Gelder zur Aussage gegenüber Behörden verpflichtet, zum andern ist den Frauen von Hydra gerade die Beratung und Unterstützung dieser Migrantinnen enorm wichtig. »Wenn jemand zu uns kommt, dann fragen wir eben gar nicht erst nach dem Aufenthaltsstatus. So kann auch niemand diese Information von uns bekommen«, beschreibt Cetin das taktische Vorgehen des Vereins.

Wie sich Hydra im Laufe seines Bestehens in verschiedene politische Themen eingemischt hat, kann man bis zum 9. Juni in der Alten Feuerwache in Berlin-Friedrichshain erfahren. Eine kleine Ausstellung mit dem Titel »Von der Liebesdienerin zur Sexarbeiterin – 25 Jahre Hydra« lässt die bedeutendsten Ereignisse der Vereinsgeschichte und auch der internationalen Hurenbewegung noch einmal Revue passieren. Denn die Idee einer Zusammenarbeit von Prostituierten kommt nicht aus Deutschland, sondern aus Frankreich. Angeblich rief im Jahr 1787 die damalige französische Königin Marie Antoinette die »Gemeinschaft der Lilie« ins Leben. Frauen, die mit sexuellen Dienstleistungen zu Macht und Geld gekommen waren, sollten sich darin gegenseitig unterstützen und helfen. Marie Antoinette war wenige Jahre später um einen Kopf kürzer. Der Zusammenschluss aber existiert immer noch und ist heute angeblich einflussreicher als je zuvor.

Die Ausstellung »Von der Liebesdienerin zur Sexarbeiterin – 25 Jahre Hydra« ist bis zum 9. Juli in der Alten Feuerwache, Marchlewskistr. 6 in Berlin, zu besichtigen.