Die Rente ist sicher

Verstaatlichung und Klientelismus von jörn schulz

Die Bourgeoisie ist verwöhnt, selbst im vergleichsweise unruhigen Lateinamerika. Eine höhere Besteuerung der Konzerne gilt schon als radikal, eine Verstaatlichung als fast undenkbarer linksextremistischer Amoklauf. Selbst radikale soziale Bewegungen fordern derzeit selten mehr als eine »gerechtere« Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums, stellen jedoch die Grundlagen der kapitalistischen Warenproduktion nicht in Frage.

Doch auch die Verstaatlichung eines Sektors der Wirtschaft sprengt nicht den Rahmen des Kapitalismus. An den Produktionsbedingungen ändert sich nichts, die Lohnarbeit bleibt. Eine Umverteilung findet erst in der Distributionssphäre statt, vermittelt über den Staat, der nicht mehr zerschlagen werden oder absterben soll, sondern zum umkämpften Terrain wird, auf dem auch die Vertreter der sozialen Bewegungen möglichst viel Boden gewinnen wollen.

Ihre Forderung nach Teilhabe an der politischen Macht und am gesellschaftlichen Reichtum ist berechtigt. Der Gesamtwert der bolivianischen Erdgasvorräte wird auf 70 Milliarden Dollar geschätzt, das Bruttoinlandsprodukt lag 2003 bei zehn Milliarden Dollar. Die Exporteinnahmen könnten entwicklungspolitische Maßnahmen und eine Verbesserung der Lebensbedingungen finanzieren.

Doch wenn Vertreter der sozialen Bewegungen davon sprechen, dass die Ressourcen »der Bevölkerung« gehören, meinen sie damit die Einwohner in »ihrem« Nationalstaat. Selten wird ein Gedanke daran verschwendet, womit die Einwohner weniger mit Ressourcen gesegneter Staaten wie Chile oder Haiti ihren Lebensunterhalt bestreiten sollen.

Verschärft wird das Problem noch dadurch, dass ein Öl oder Erdgas fördernder Staat der »Dritten Welt« ein Interesse an hohen Energiepreisen haben muss. Dies dürfte der Hauptgrund für den venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez sein, das Bündnis mit den iranischen Ayatollahs zu suchen, die dieses Interesse teilen. Dass sich der Ölpreis in den letzten zehn Jahren etwa verfünffacht hat, ist eine enorme Belastung für das Budget jener Staaten der »Dritten Welt«, die nicht über eigene Öl- und Erdgasquellen verfügen. Der Internationalismus wird zu einer populistischen Farce, wenn allein das Wirken ominöser Multis gegeißelt wird, die bereits seit langem bestehenden Interessenkonflikte zwischen Ländern der »Dritten Welt« aber ignoriert werden.

In Venezuela zeigt sich jedoch noch ein weiteres Problem einer über staatliche Instanzen organisierten Umverteilungspolitik. Das klassische Konzept des »Rentenstaates«, dessen Oligarchie sich durch die Verfügung über die Öleinnahmen weitgehend unabhängig von gesellschaftlichen Prozessen machen kann, ist auf Lateinamerika kaum anwendbar. Doch auch dort begünstigt die Monopolisierung der Einnahmen aus Rohstoffexporten durch den Staat autoritäre Strukturen.

Auch ein Sozialreformer wie Chávez ist zunächst einmal ein Politiker, der am Erhalt und Ausbau seiner Macht interessiert sein muss. Die Verfügung über die Ölrente ist ein exzellentes Mittel der Klientelbildung; der Präsident kann Bevölkerungsgruppen und politische Fraktionen belohnen oder ihnen seine Gunst entziehen. Es ist nicht anzunehmen, dass potenzielle bolivianische Sozialreformer wie Evo Morales die Erlöse aus den Gasexporten gänzlich unparteiisch verteilen werden. Die von den sozialen Bewegungen propagierten Konzepte der lokalen Selbstverwaltung können der Bevölkerung bessere Verhandlungsbedingungen bescheren, ändern aber wenig an den Strukturen des Kapitalismus.