Trend zur Verkürzung

Die ARD will die Sendezeit der politischen Magazine verringern. Dagegen regt sich Protest. Ein Gespräch mit dem SWR-Chefreporter und Vorsitzenden des »Netzwerks Recherche«, dr. thomas leif
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Die Intendanten der ARD haben in der vergangenen Woche beschlossen, die politischen Magazine »Panorama«, »Monitor«, »Report«, »Kontraste« und »Fakt« von jeweils 45 auf 30 Minuten Sendezeit zu verkürzen. Programmdirektor Günter Struve begründete die Entscheidung mit einer Vorverlegung der »Tagesthemen«, die dadurch aufgewertet würden. Gegen den Beschluss, der ab Januar 2006 verwirklicht werden soll, regt sich inzwischen Protest. Der WDR-Rundfunkrat hat die Kürzungen einhellig abgelehnt. Die Leiterin des Magazins »Monitor«, Sonia Mikich, erklärte, es gebe keinen Grund für eine Veränderung. Schließlich seien die ARD-Magazine mit bis vier Millionen Zuschauern pro Ausgabe sehr erfolgreich. Die Magazinmacher haben die Hoffnung noch nicht aufgegeben, den Status quo erhalten zu können.

Heftiger Protest gegen die Streichpläne kam auch vom »Netzwerk Recherche«, einem Zusammenschluss von Journalisten, die sich der Förderung des Recherche-Journalismus verschrieben haben. Vorsitzender des Netzwerks ist Dr. Thomas Leif. Er ist Politikwissenschaftler und Chefreporter TV des Südwestrundfunks in Mainz. 2003 erschien sein Buch »Mehr Leidenschaft Recherche«.

Die ARD will die Sendezeit der politischen Magazine aufs Jahr gerechnet um rund 20 Stunden kürzen. Wieso ist das aus Ihrer Sicht nicht hinnehmbar?

Die Magazine sind ein unverzichtbares und unverwechselbares Element in der Programmpolitik der ARD. Die Magazine greifen Themen auf, die sonst aus der Planung fallen. Auch dass man Beiträge in acht Minuten Länge bringen kann, ist ein Wert an sich, sonst hat man meistens nur 1:30 oder 2:30 Minuten.

Hängt wirklich alles an den Magazinen? Schließlich gibt es auch andere politische Sendungen wie Nachrichten, Talkshows, Dokumentationen.

Es gibt zu Recht vielfältige Kritik an den Magazinen. Auch beim »Netzwerk Recherche«. Es wird zum Beispiel oft kritisiert, dass man sich zu sehr an den Mainstream ranhängt und sich einem unnötigen Aktualitätsdruck beugt. Aber wenn man die sehr guten, die mittleren und die schlechteren Beiträge zusammennimmt und mit den anderen Fernsehprodukten vergleicht, dann ist unterm Strich das Niveau immer noch hoch. Die Magazine sind unverzichtbare Grundversorgung, sie müssen sich aber auf ihren Markenkern, also kritischen Hintergrundjournalismus, konzentrieren.

Das Argument der Intendanten war, dass man die »Tagesthemen« früher senden und damit aufwerten wolle. Da geht es doch ebenfalls um politische Informationen und Hintergrund.

Die Frage ist doch, was nutzt es am Ende? Niemand hat etwas dagegen, die »Tagesthemen« 15 Minuten früher zu senden. Aber warum sollen dafür ausgerechnet die Imageträger und Traditionsmarken der ARD, die Magazine, beschädigt werden? Das ist inakzeptabel.

Wollen die Verantwortlichen in der ARD denn eine Entpolitisierung, oder meinen sie, durch eine Aufwertung der »Tagesthemen« würde man dem Informationsanspruch besser gerecht?

Ich will niemandem eine Absicht unterstellen. Aber Fakt ist doch: Die »Tagesthemen« bleiben bei 30 Minuten, und bei den Magazinen werden 15 Minuten gestrichen. Eine Aufwertung kann ich da nicht erkennen.

Inwiefern sind die ARD-Magazine Teil des gesetzlichen Grundversorgungsauftrages der öffentlich-rechtlichen Medien?

Sie sind auf jeden Fall Teil der Grundversorgung. Und immer dann, wenn die ARD sich für eine Gebührenerhöhung eingesetzt hat, dann hat sie – neben den Nachrichten, Features und Dokumentationen – mit den Magazinen als Werttreiber des Programms argumentiert. Die sind identitätsstiftendes Kernelement des Portfolios der ARD. Wenn man bedenkt, wie viele wichtige News produziert wurden von den Magazinen, wie viele Themen gesetzt wurden!

Man hört, dass die Magazinmacher die Reform nicht einfach hinnehmen wollen. Ist sie noch zu verhindern?

Das Fatale ist, dass es leider sehr wenig Unterstützung aus der so genannten Zivilgesellschaft für die Magazine gibt, und da müssen sich die Magazine selbstkritisch fragen, warum das so ist. Das lange Schweigen der Gremien war auffällig. Auch die betroffenen Magazinmacher hatten keine eigene Stimme. Ich glaube, dass im Lichte neuer Zahlen, wenn absehbar ist, wie sich die Änderung tatsächlich ausgewirkt haben werden, dass es dann noch einmal Korrekturen geben kann. Vorher ist das nicht realistisch. Allerdings: Die Entscheidung der Intendanten scheint ja sehr porös zu sein. Der Tagesspiegel berichtete, dass die Intendanten der beiden größten Anstalten, also WDR und SWR, gegen dieses und für ein anderes Modell gestimmt haben. Das spricht doch Bände.

Entsprechen die Kürzungen in der ARD einem allgemeinen Trend? Ist der investigative, kritische Journalismus allgemein in einer Krise?

Ich glaube, dass es zu wenig rechercheorientierten Fernsehjournalismus gibt und das vorhandene Potenzial nicht genutzt wird. Und da, wo es ihn gibt, oft auf späten Sendeplätzen. Es gibt allgemein den Trend zur Verkürzung von Stoffen, zu mehr Unterhaltung, zu leichterer Ware. Das so genannte Schwere, die Strukturthemen, kommt in den elektronischen Medien leider zu kurz, weil man fälschlich glaubt, das Publikum würde das nicht goutieren. Dabei gibt es genügend Beispiele, dass große Dokumentationen, sogar spät in der Nacht, eine große Resonanz haben und eben auch ein besonders wichtiges Publikum ansprechen, nämlich eines, das den Wert des öffentlichen-rechtlichen Rundfunks kennt und ihn unterstützt.

Gute Recherche ist nicht billig. Auch die Fernsehmagazine kosten viel Geld. Können sich Medien angesichts der Konkurrenz und in Zeiten des ökonomischen Drucks die Qualität immer weniger leisten, oder fehlt es einfach an der Nachfrage?

Es wird auch viel Geld ausgegeben für Sportübertragungen, für Spielfilmrechte, Shows usw. Gemessen an den Mega-Ausgaben für die Unterhaltung, sind die Ausgaben für den Recherche-Journalismus vergleichsweise gering. Die Nachfrage ist da, und das Publikum kann sehr wohl unterscheiden, was eine aufgeschäumte Brause ist und was Substanz hat, was langfristig gültig ist. Die Analysen zeigen: Wenn man höchste Qualität liefert, eine sichere Beleglage hat, neue Dokumente liefert und interessante Gesprächspartner präsentiert, dann ist das Publikum begeistert. Solche Angebote sind leider zu rar. Und deshalb ist es keine Nebensache, wenn das karge Angebot jetzt noch mal gekürzt wird. Da verschwindet nicht nur ein Farbtupfer, sondern der ganze Farbkasten wird ausgeräumt.

interview: ivo bozic