Frieden für die Paras

In Kolumbien protestieren Menschenrechtsverbände gegen ein Gesetz zur Reintegration der Paramilitärs. von knut henkel

Die Regierung bezeichnet es als »Gesetz für Gerechtigkeit und Frieden«, doch Menschenrechtsorganisationen und oppositionelle Gruppen haben nach der Verabschiedung des Gesetzes in der vergangenen Woche in Bogotá zum zivilen Ungehorsam aufgerufen. Mit diversen Aktionen vor dem kolumbianischen Parlament und öffentlichen Einrichtungen protestierten sie gegen das Projekt, das die Reintegration von Angehörigen paramilitärischer Verbände in die Zivilgesellschaft ermöglichen soll und überaus milde Strafen für die von ihnen verübten Straftaten vorsieht.

Das Gesetz sei eine Verhöhnung der Opfer, kritisieren zahlreiche Menschenrechtsorganisationen. Das Büro des UN-Menschenrechtskommissars in Bogotá hat den Familien der Opfer paramilitärischer Gewalt zugesagt, sie bei Klagen gegen das Gesetz zu unterstützen. Eine recht deutliche Positionierung der UN-Diplomaten, die ganz im Sinne der kolumbianischen Juristenkommission und anderer Anwaltsvereinigungen ist, die sich auf Menschenrechtsfälle spezialisiert haben.

Allein seit Dezember 2002 haben die paramilitärischen Verbände, die sich zu den Autodefensas Unidas de Colombia (AUC) zusammengeschlossen haben, den Recherchen der international renommierten kolumbianischen Juristenkommission zufolge 1 900 Morde begangen. Damals hatten die Paramilitärs einen einseitigen Waffenstillstand verkündet, um ihren Willen zum Frieden zu bekunden. Nicht einmal die Regierung von Álvaro Uribe behauptet, dass die Paramilitärs die Waffen tatsächlich ruhen ließen. Der Chefunterhändler der Regierung, der Friedenskommissar Luis Carlos Restrepo, gibt an, von 492 Morden durch Paramilitärs zu wissen.

Dennoch ist er stolz auf das Gesetz, das er als »Friedensinstrument« bezeichnete. Es soll den Durchbruch bringen, um auch die restlichen paramilitärischen Verbände zu entwaffnen. Deren Truppenstärke wird auf 10 000 Mann geschätzt. 5 000 Mann sind in den vergangenen Jahren hingegen bereits demobilisiert worden. Schwächer geworden ist die Streitmacht der im ganzen Land gefürchteten »Selbstverteidiger« jedoch offenbar nicht, denn beim Regierungsantritt von Álvaro Uribe im Jahr 2002 wurde die Zahl der Paramilitärs auf 8 000 bis maximal 10 000 Mann geschätzt.

Vermutet wird, dass sich im Zuge der Demobilisierung so mancher gewöhnliche Kriminelle noch schnell in die Soldlisten der AUC eingetragen hat – vor allem Drogenhändler, mit denen viele der Verbände eng zusammenarbeiten. Der Drogenhandel bildet die finanzielle Grundlage der paramilitärischen Armee. Derzeit werden die Lager geräumt, um schnell noch einige US-Dollar mit der heißen Ware zu verdienen, die teilweise in Eigenregie gewonnen wird.

Viele der AUC-Comandantes befürchteten, wegen ihrer Beteiligung am Drogenhandel in die USA ausgeliefert zu werden. Entsprechende Gesuche lagen beispielsweise für Salvatore Mancuso, den derzeitigen Verhandlungsführer der Paras, und andere Comandantes vor. Die werden mit der Unterzeichnung des Gesetzes durch Präsident Uribe hinfällig. Die paramilitärischen Mörderbanden, die laut zahlreichen Berichten von Menschenrechtsorganisationen eng mit den staatlichen Sicherheitsorganen kooperierten, gelten fortan als politische Gruppierungen und die vielen von ihnen verübten Massaker und Morde als »Aufruhr«. In solchen Fällen verbietet die Verfassung eine Auslieferung.

Und auch die Strafen, auf die man sich im Senat und der Repräsentantenkammer verständigt hat, sind eher symbolischer Natur. Fünf bis acht Jahre für gravierende Menschenrechtsverletzungen, wobei sich die Führungsriege um Mancuso wahrscheinlich auf mildernde Umstände verlassen kann, die ihr einen Freispruch bringen sollte. Das vermutet zumindest die kolumbianische Juristenkommission in einer Analyse zum Gesetz.

»Über 90 Prozent der Morde in Kolumbien werden nicht aufgeklärt«, erklärt Gustavo Gallón Giraldo, der ehemalige Direktor der Juristenkommission. Im Bereich der Menschenrechte ist die Bilanz besonders düster, rund 99 Prozent der Anzeigen führen nicht zu einer Verurteilung der Täter. Und daran wird sich mit dem »Gesetz für Gerechtigkeit und Frieden« nichts ändern. Das Team von zwanzig Staatsanwälten, welches nun die Menschenrechtsverletzungen von Paramilitärs in kürzester Zeit untersuchen soll, dürfte heillos überfordert sein mit der Fülle der Arbeit. Menschenrechtsorganisationen gehen davon aus, dass die Paramilitärs für das »Verschwinden« von mindestens 7 000 Menschen verantwortlich sind. Irgendwo in Kolumbien dürften diese Entführten ermordet und verscharrt worden sein. Ob die Angehörigen jemals erfahren, wo und wann ihre Leute ermordet wurden, ist fraglich.

Auch dass die Angehörigen Ermordeter von geständigen Paramilitärs entschädigt werden, wie es das Gesetz vorsieht, hält José Manuel Vivanco von Human Rights Watch für wenig wahrscheinlich. »Das Gesetz dient nur den Interessen der führenden Paramilitärs. Es berührt weder die mafiösen Strukturen noch die Ressourcen, mit denen die Verbände finanziert wurden«, sagte er in einer Pressemeldung seiner Organisation.

Einen bequemen Übergang in die Zivilgesellschaft erlaube das Gesetz Mancuso und anderen Führern der Paras, die längst ihren Fuß in staatlichen wie nichtstaatlichen Institutionen haben. In den letzten Jahren wurden Stiftungen, Nichtregierungsorganisationen und Genossenschaften gegründet. Für diesen Übergang in die Gesellschaft dienten die exzellenten Kontakte zum Militär, es folgte die Eroberung kommunaler Machtzentren, von dort dehnte sich die Organisation immer weiter aus. Auch an den Universitäten geben die Paras immer öfter den Ton an, und vor den Toren Bogotás, in Soacha, werden immer mehr Jugendliche umgebracht, die sich nicht zu ihnen bekennen. Die Opposition wird systematisch verdrängt oder, wenn nötig, ermordet. Die Kontrolle über Gemeinden und ganze Departamentos wird zielstrebig übernommen und konsolidiert.

Dieses Netzwerk bildet längst die eigentliche Machtbasis der Paramilitärs. Es bleibt von dem neuen Gesetz unberührt, und Führer der Paras wie Mancuso könnten nach ihrer Reintegration legale Politiker werden. Die Proteste werden eine Rücknahme des »Gesetzes für Gerechtigkeit und Frieden« wahrscheinlich nicht erzwingen können. Die US-Regierung, die Kolumbien großzügige Militärhilfe zahlt, ließ es passieren. Der US-Senator Patrick J. Leahy bezeichnete es jedoch im Gespräch mit der Tageszeitung El Tiempo als »Belohnung für Terroristen und Drogenhändler«.