»Punk-Nostalgie macht mich krank«

Jello Biafra

1986 lösten sich die Dead Kennedys auf, die dem US-amerikanischen Punk eine explizit politische Note gegeben hatten. Nach ihrem Ende betrieb der Sänger Eric Boucher, besser bekannt unter seinem Künstlernamen Jello Biafra, das Label »Alternative Tentacles«, betätigte sich als Solo-Künstler und engagierte sich in der Grünen Partei der USA. Mit der Band Melvins hat er vergangenes Jahr die Platte »Never breathe what you can’t see« aufgenommen, die er kürzlich auch in Deutschland live präsentierte. Nach dem Auftritt in Berlin, bei dem er dazu aufrief, Kanzler Gerhard Schröder zu unterstützen, und auch andere bizarre Statements abgab, sprach Markus Ströhlein mit ihm.

Das Live-Programm bestand sowohl aus Songs der neuen Platte als auch aus Stücken der Dead Kennedys. Ist das Publikum überhaupt an den neuen Sachen interessiert, oder sind deine Auftritte Treffen für Nostalgiker?

Punk-Nostalgie macht mich krank. Ich ha-be nichts gegen Bands, die irgendwann ihre Lust an der Musik wieder entdecken. Aber ich mag es nicht, wenn Leute sagen, früher sei alles besser gewesen, und sich nur noch alte Bands anschauen. Oder wenn neue Bands einfach genauso klingen wie die alten. Punk hat sich von Beginn an gegen die Nostalgie gerichtet. Die Siebziger waren so langweilig, dass sich die Leute sogar in die Fünfziger zurücksehnten. Die Fernsehserie »Happy Days« war damals die erfolgreichste in Amerika.

Die meisten glaubten, dass Punk sich nie in diese Richtung entwickeln würde. Aber was muss man jetzt ertragen? Punk-Trottel, die glauben, sie lehnen sich gegen die Gesellschaft auf, wenn sie einen Exploited-Aufnäher an der Jacke tragen. Für diese Leute möchte ich nicht spielen. Sie können gerne kommen. Aber ich bestimme die Bedingungen. Eigentlich wollte ich nur neue Songs spielen. Die Melvins bestanden aber darauf, ein paar Klassiker ins Programm aufzunehmen. Leute, die nur kommen, um sich zu besaufen und von der Bühne zu springen, haben keinen großen Spaß an dem, was die Vorband Fantomas und die Melvins ihnen vorsetzen.

Du hast das Publikum dazu aufgefordert, alles für eine Wiederwahl Gerhard Schröders zu tun. Wieso das?

Das war keine Zustimmung für Schröder. Eher war es eine Warnung vor Angela Merkel. Es ist ähnlich wie in den USA. Die Demokraten haben sicher nicht das Programm, hinter dem ich stehe. Aber auf der anderen Seite bekommt man George Bush, den schlechtesten Präsidenten in der Geschichte der USA, eine der vielleicht größten Gefahren für den Weltfrieden der letzten 50 Jahre.

Am Ende der Ansage hast du gesagt, es läge vor allem an den Deutschen, die Welt vor den USA zu schützen. Ausgerechnet Deutschland in einer welthistorischen Mission? Das gab es schon einmal.

So habe ich das nicht gemeint. Aber genauso wenig, wie ich die Ermordung von sechs Millionen Juden gutheiße, möchte ich sechs Millionen tote Atheisten in den Vereinigten Staaten wegen George Bush. Oder Millionen ermordeter Moslems. Wir haben einen Staatschef in den USA, der die Macht hat, viele Menschen zu töten. Sein Nachfolger könnte noch schlimmer sein. Es gibt Bemühungen Arnold Schwarzeneggers. Ich glaube, Schwarzenegger ist noch viel gefährlicher als Bush. Nehmt euch vor Österreichern in Acht, die die Welt regieren wollen. Ich habe mich schon oft gefragt, ob ich einen Dritten Weltkrieg zwischen den USA und Europa erleben werde, bei dem Europa auf der richtigen und die USA auf der falschen Seite stehen werden.

Ihr habt bei eurem Auftritt in Berlin auch den Song »Dawn of the Locusts« gespielt. Im Text heißt es: »Konzernlogos sind die neuen Hakenkreuze.« Willst du ernsthaft Großkonzerne mit den Nationalsozialisten vergleichen?

Ich habe das aus anderen Gründen gesagt. Die Zeile bezieht sich darauf, dass manche Leute Konzerne im Allgemeinen und einige Konzerne ganz besonders hassen. In Deutschland und in Amerika denkt man, wenn man ein Hakenkreuz sieht, nicht daran, wie es die Japaner oder einige Indianerstämme verwendet haben. Bei vielen Leuten ruft es eine schlimme emotionale Reaktion hervor. Bei anderen Menschen ist es mittlerweile so, dass es sie anekelt, wenn sie ein Logo von McDonald’s, Wal-Mart oder Shell sehen. In der Textzeile ging es mir eher um dieses Gefühl. Ich kann aber verstehen, dass das in Deutschland ein ungutes Gefühl hervorruft.

Mit »Holiday in Cambodia« hast du damals die antikapitalistische Romantik der westlichen Linken und ihre positive Haltung zu den Roten Khmer attackiert. Dein Label »Alternative Tentacles« verkauft Bücher von Noam Chomsky. Bei deinen Vorträgen zitierst du ihn des Öfteren. Es ist kein Geheimnis, dass Noam Chomsky ein vehementer Verteidiger Pol Pots war.

Er hat das später relativiert. Ich bin nicht damit einverstanden, wie er sich damals geäußert und wie er sich aus der Sache herausgewunden hat. Ich erwarte aber von niemandem, also auch nicht von Noam Chomsky, dass er mit mir in jeder einzelnen Frage übereinstimmt. Manchmal braucht man Verbündete, die nicht so sind, wie man selbst. Diese Lektion kann man den Hardcore-Anarcho-Punks nur schwer beibringen, obwohl sie sehr wichtig ist. Ich glaube nicht an radikalen Fundamentalismus. Ich glaube, man muss Brücken bauen.

Noam Chomsky hat auch das Vorwort zu Robert Faurissons Buch »Memoire en défense« verfasst. Faurisson, den Chomsky öffentlich verteidigt, leugnet in seinem Buch den Holocaust.

Davon habe ich nichts gehört. Vielleicht sind die Forschungsarbeiten dieses Holocaust-Leugners auf anderen Gebieten sehr gut.

Noam Chomsky hat sich auf die Verteidigung der Meinungsfreiheit berufen.

Ich bin auch ein Verfechter der absoluten Meinungsfreiheit. Aber neben der freien Meinung hat man auch die freie Wahl, sich seine Partner auszusuchen. Ich würde auf meinem Label sicher keine Nazi-Band veröffentlichen. Denn das hätte nichts mit freier Meinungsäußerung zu tun. Die Tatsache, jemandem die Unterstützung zu verweigern, bedeutet nicht, ihn zu zensieren. Diese Leute können alles sagen, aber ich werde sie dabei nicht unterstützen.

Ich sollte einmal ein Interview mit Boyd Rice geben. Ich kenne ihn einigermaßen. Er ist zweifelsohne ein Nazi. Deshalb habe ich das Interview abgelehnt. Dann gab es ein Angebot für eine Podiumsdiskussion mit dem Staatsanwalt, der mich damals wegen des Covers des »Frankenchrist«-Albums der Dead Kennedys strafrechtlich verfolgt hatte. Warum hätte ich ihm helfen sollen, sich in der Öffentlichkeit darzustellen?

Du bist bekannt für deine Vorliebe für Heino.

O ja, Heino. Ich verstehe, dass viele Leute in Deutschland ihn aus gutem Grund hassen.

Es gibt eine Platte von ihm, auf der er die deutsche Nationalhymne singt. Alle drei Strophen. Er repräsentiert hierzulande nicht gerade die Linke.

Ich weiß. Als ich meine Faszination für Heino entdeckte, wusste ich das nicht. Ich sah damals das Plattencover und dachte mir nur: Wer zur Hölle ist das? Dann hörte ich mir das Album an. Es war die schrecklichste Art von Musik, die ich in meinem ganzen Leben gehört hatte. Mit den Dead Kennedys zwangen wir das Publikum immer, sich vor der Show dreißig Minuten lang Heino anzuhören. Im SO36 in Berlin machte der Soundmann die Musik nach eineinhalb Minuten wieder aus. Ich stürmte zu ihm hin, um mich zu beschweren. Er deutete lächelnd auf den Boden unter sich. Er stand knöcheltief in Flaschen und Bierdosen. Die Leute hatten alles auf ihn geworfen, was sie in die Finger bekommen hatten.