Ewige Morgensonne

In Frankreich baut ein internationales Konsortium für fünf Milliarden Euro eine Kernfusionsanlage. von ferdinand muggenthaler

Es lebe die wissenschaftliche Internationale. Die USA finanzieren zusammen mit China ein Großprojekt in Frankreich. In welchem anderen Bereich wäre so eine Kooperation denkbar? Auch in der Kernfusionsforschung kein einfaches Unterfangen. Aber nach fast 20 Jahren Planung war es am 28. Juni so weit. Die Vertreter Chinas, der EU, Japans, Russlands, Südkoreas und der USA gaben bekannt, dass ein Experimentalreaktor im französischen Cadarache gebaut wird.

Als Geburtsstunde des Projekts gilt ein Treffen von Michael Gorbatschow und Ronald Reagan im November 1985. Gemeinsam bekannten sich die Führer der Supermächte zur »internationalen Kooperation zum Nutzen der ganzen Menschheit bei der Erschließung dieser praktisch unerschöpflichen Energiequelle«. 1987 begann ein Forscherteam tatsächlich mit der Planung. Freilich ist die Forschung weit von der praktischen Erschließung der unerschöpflichen Energiequelle entfernt. Dieser Umstand erleichterte es den konkurrierenden Mächten, zum Wohle der Menschheit eine Großforschungsanlage zu planen. Der strategische Vorteil in der Energiewirtschaft entging niemandem. Denn der 6,7 Milliarden teure »International Thermonuclear Experimental Reactor« mit der sinnfälligen Abkürzung Iter (lateinisch für Weg) soll erst die Grundlagen für den ersten Strom liefernden Fusionsreaktor schaffen.

Zehn Jahre später schien das Ende der internationalen Zusammenarbeit gekommen. Die USA verabschiedeten sich von dem teuren Großprojekt. Den beteiligten Wissenschaftlern blieb nichts übrig, als ein billigeres Konzept zu entwickeln. Nunmehr sollte der Bau des Reaktors 4,6 Milliarden Euro kosten. Als sich schließlich im Jahr 2003 China für das überarbeitete Projekt interessierte, stiegen auch die USA wieder ein. Zwei weitere Jahre vergingen, ehe sich die Partner auf einen Standort einigen konnten. Erst als die EU den Japanern einen überdurchschnittlichen Anteil am Auftragsvolumen und den Posten des Generaldirektors zusagte, stimmten diese dem französischen Standort zu.

Kernfusion ist der Prozess, der die Sonne scheinen lässt. Im Wesentlichen werden dabei je zwei Wasserstoffkerne miteinander verschmolzen. Da der resultierende Heliumkern leichter ist als die beiden einzelnen Ausgangskerne, wird nach Einsteins Formel (E=mc2) Energie frei. Und zwar in ungeheuren Mengen. Ein Gramm Brennstoff könnte so viel Energie produzieren wie elf Tonnen Kohle.

Auf der Kernfusion beruht auch die Sprengkraft der Wasserstoffbombe. Schon als 1952 die erste solche Bombe gezündet wurde, sagten Forscher voraus, in wenigen Jahrzehnten sei diese Kraft auch zur friedlichen Energiegewinnung nutzbar. Der Vorteil: Wasserstoff ist im Gegensatz zu Kohle, Öl oder Uran im Überfluss vorhanden. Er lässt sich aus dem Wasser der Weltmeere gewinnen. Außerdem hinterlässt die Fusion praktisch keine klimaschädlichen Gase.

Doch die technische Beherrschung des Sonnenfeuers auf Erden erwies sich als ungeahnt kompliziert. Denn um die Fusion zu zünden, muss der Wasserstoff auf unvorstellbare 100 Millionen Grad Celsius aufgeheizt werden. Das ist zehnmal heißer als im Inneren der Sonne. Ein Material, das solchen Temperaturen standhalten würde, gibt es nicht. Deshalb muss das Plasma – in das sich das Gas beim Aufheizen verwandelt – in einem starken Magnetfeld festgehalten werden. Es schwebt in einer ringförmigen Wolke in einer Vakuumkammer.

Die Iter-Entwickler rechnen damit, dass im Jahr 2050 das erste Fusionskraftwerk ans Netz gehen wird, vorausgesetzt Iter wird ein Erfolg. Anders als vergangene Verheißungen kann sich diese Hoffnung auf experimentelle Erfolge stützen. So kann der weniger als halb so große Iter-Vorgänger Jet (Joint European Torus) das Plasma ein bis zwei Sekunden in der Schwebe halten und dabei eine Fusionsenergie von 16 Megawatt produzieren. Allerdings braucht er zum Aufheizen des Wasserstoffs mehr Energie als im Fusionsprozess entsteht. Erst im Iter soll zehnmal mehr Energie produziert werden als zuvor hineingesteckt wird. In künftigen kommerziellen Kraftwerken sollen es dann 40 bis 50 Mal mehr sein.

Tatsächlich werden keine klimaschädlichen Abgase produziert, und anders als bei der Kernspaltung, die in heutigen Atomkraftwerken die Energie liefert, besteht kein Risiko einer unkontrollierten Kettenreaktion. Bei jeder Störung würde die Fusion sofort erlöschen.

Allerdings hinterlässt auch die Fusion strahlenden Müll. Zwar sind die Ausgangsmaterialien nicht radioaktiv, aber die ganze Anlage wird im Betrieb strahlend. Durch das ständige Bombardement mit schnellen Neutronen bilden sich im Stahl der Reaktorwände radioaktive Isotope. Wartungsarbeiten im Innenraum müssen deshalb von ferngesteuerten Roboterarmen erledigt werden. Ein Fusionsreaktor wäre nach seiner Stilllegung ein großer Haufen radioaktiver Müll. Anders als die Hinterlassenschaften aus der Kernspaltung, mit Halbwertszeiten von zehntausenden von Jahren, ist der Großteil der Strahlung aber nach 100 Jahren abgeklungen – glaubt man den Fusionsforschern – oder nach 200 Jahren – glaubt man Greenpeace. Jedenfalls sind die Risiken der Fusion deutlich kleiner als die der Kernspaltung. Bleibt das am lautstärksten vorgetragene Argument der Fusionsgegner: Die Fusionsforschung sei Geldverschwendung. Für den forschungspolitischen Sprecher der Grünen, Hans-Josef Fell, ist Iter »eine der größten Fehlinvestitionen unserer Zeit«. Fell, dessen Partei sich mit der Ablehnung der Fusion in der Regierungskoalition nicht durchsetzen konnte, schimpft: »Hätten doch wenigstens die Japaner den Standort erhalten, dann wären es zum großen Teil Yen gewesen, die durch das Fusionsfeuer gehen.« Und Greenpeace rechnet vor, mit zehn Milliarden Euro könnten schon jetzt Windkraftanlagen gebaut werden, »die rund siebeneinhalb Millionen europäische Haushalte mit Strom versorgen«.

Das Rechenbeispiel ist etwas irreführend, denn auf die EU entfallen nur 40 Prozent der Kosten, und die zehn Milliarden werden in den nächsten 30 Jahren ausgegeben. Fünf Milliarden für den Bau, noch einmal so viel für den Betrieb und die Entsorgung. Trotzdem wird Iter ein großes Stück des EU-Forschungsetats verschlingen. In der Bauphase etwa 200 Millionen pro Jahr, doppelt so viel wie bisher jährlich für die Erforschung erneuerbarer Energien ausgegeben wurde. Um die Klimaveränderung zu bremsen, taugt die Fusion nicht. Vorerst verbraucht sie mehr Energie als sie liefert. Wird sie jemals wirtschaftlich arbeiten? In 50 Jahren wissen wir mehr. Und so kann man dem Iter-Projekt viel vorwerfen, aber nicht, dass es kurzfristigen Profitinteressen folgt.