Working Down Under

Die konservative australische Regierung will ein neues Arbeitsrecht einführen und die Gewerkschaften entmachten. Hunderttausende demonstrieren dagegen, streiken aber bislang nicht. von martin kröger

Die Situation in den sozialen Diensten und der Gesundheitsversorgung ist jetzt schon absolut katastrophal.« Leah Gun, die bei einem der ältesten australischen Pflegeunternehmen in der Schwerstbehindertenbetreuung arbeitet, ist außer sich: »Die Regierung hat doch im Pflegebereich den Service bereits reduziert, mit dem jetzigen Vorhaben wird dies noch viel schlimmer werden.«

Die Befürchtung, dass die geplanten Reformen der konservativen Koalitionsregierung unter Premierminister John Howard die Arbeitsbedingungen auf dem fünften Kontinent radikal verschlechtern werden, trieb neben Gun am 30. Juni weit über 200 000 Menschen auf die Straße. In über 200 Orten fanden Protestmärsche statt, allein zur zentralen Kundgebung in Melbourne kamen 100 000 Demonstranten.

»Diese Demonstrationen kosten die australische Wirtschaft Dutzende von Millionen Dollars«, nörgelte Arbeitsminister Kevin Andrews. Er diffamierte die Demonstranten als »politische Stuntmen«. Ihre Proteste seien nicht durch das australische Streikrecht gedeckt, da das Entfernen vom Arbeitsplatz nur erlaubt sei, wenn es um die konkreten Arbeitsbedingungen und Löhne gehe. »Diese Demonstrationen erfüllen diese Kriterien nicht«, behauptete Andrews gegenüber der australischen Nachrichtenagentur AAP.

Viele Unternehmen teilen diese Sichtweise und forderten ihre Mitarbeiter auf, nicht an den Protesten teilzunehmen. Dennoch kamen einen Tag nach der Demonstration in Melbourne erneut Zehntausende nach Sydney. Und dies war möglicherweise nur der Auftakt zu einem heißen Protestwinter. »Zu demonstrieren reicht nicht«, rief Gewerkschaftssekretär John Robertson den Protestierenden in Sydney zu. Es gelte, den Widerstand in die Gemeinden zu tragen: »Diese Veränderungen sind verdammt furchterregend, und die Menschen haben ein Recht, die Wahrheit zu erfahren.«

Der seit 1996 amtierende Premierminister John Howard versuchte bereits mehrmals, das Arbeitsrecht zu reformieren. Doch sieben Gesetzentwürfe scheiterten im Senat, der föderalen Vertretung der Regionen. Seit dem 1. Juli verfügt die konservative Regierung jedoch auch dort über eine Mehrheit. Bis zum Oktober soll das neue Gesetz verabschiedet werden, das die Rechte der Lohnabhängigen stark einschränken würde.

An der Basis der Arbeitsbeziehungen zwischen Unternehmern und Arbeitern sollen an die Stelle von kollektiven, durch die Gewerkschaften ausgehandelten Verträgen individuelle Vereinbarungen treten. Der Kündigungsschutz innerhalb der ersten sechs Monate würde faktisch aufgehoben, eine Entlassung kann nach der Neuregelung ohne Begründung erfolgen. Kritiker befürchten deshalb, dass Unternehmer nur noch solche für sie äußerst günstigen kurzfristigen Verträge abschließen werden. Auch wer längerfristig beschäftigt wird, kann wegen zu niedriger Arbeitsleistungen oder zu geringer Produktivität entlassen werden. Überstunden-, Wochenend- und Nachtarbeitszuschläge sollen ersatzlos gestrichen werden. Im Gegenzug plant die Regierung, den Mindestlohn minimal zu erhöhen. Zudem soll den Australiern gestattet werden, bis zu 60 Stunden pro Woche zu arbeiten.

Auch aus den Lohnverhandlungen will Howard die Gewerkschaften heraushalten. Die »Fair-Pay-Commission«, die aus einigen Regierungs- und einem Unternehmervertreter zusammengesetzt wird, soll eine Art Schiedsgericht bilden, wenn es Lohnstreitigkeiten gibt. Ihre Entscheidungen werden sich an der Produktivität und der wirtschaftlichen Situation der Betriebe orientieren. Sollte in einem Betrieb ein Streik in Erwägung gezogen werden, muss es zuerst eine durch die Regierung vorgenommene und kontrollierte Abstimmung unter allen Beschäftigten geben.

Dass das neue Gesetz nur für Unternehmen gelten soll, die bis zu 100 Beschäftigte haben, beruhigt in Australien indes kaum jemanden. Kritiker gehen davon aus, dass Großunternehmen sich einfach in kleinere Einheiten aufteilen werden, um die Vorzüge der völligen Liberalisierung in Anspruch nehmen zu können. Bereits von dem jetzigen Vorhaben sind knapp zwei Drittel der Beschäftigten, also fünf Millionen Personen betroffen.

Dennoch zögert der Australische Gewerkschaftsbund (Actu), den Protest auszuweiten. »Ich weiß, dass unter euch einige sind, die einen Generalstreik ausrufen möchten«, sagte Gewerkschaftssekretär John Robertson zu den Zehntausenden in Sydney. »Alles was ich euch sagen kann, ist, dass es bis jetzt nur eine politische Kampagne ist.« Viele Gewerkschafter hoffen, dass bei Neuwahlen die oppositionelle Labor Party an die Macht zurückkehren wird und das Gesetzespaket rückgängig macht. Die Gewerkschaftsführung scheint zudem zu glauben, durch Kompromissbereitschaft ihre Einflussmöglichkeiten doch noch behalten zu können.

Die Labor Party hat den Straßenprotest mitgetragen, innerhalb der Partei wird jedoch seit der desaströsen Wahlniederlage im Oktober vergangenen Jahres heftig über den richtigen Kurs gestritten. Der Oppositionsführer, Kim Beazley, stellte für den Fall der Regierungsübernahme in Aussicht, das Gesetzespaket zurückzunehmen. Allerdings ist er nur Schattenminister für Kultur, und Stephen Smith, der potenzielle Arbeitsminister einer Labor-Regierung, weigert sich standhaft, diese Ankündigung zu bestätigen. Beazley wiederum ergänzt seine sozialdemokratische Rhetorik mit rechtspopulistischen Aussagen im Stile Lafontaines. »Diese Regierung steht für die Anwerbung ausländischer Arbeiter, um australische zu ersetzen«, sagte er vor den Demonstranten in Melbourne.

Die politische Konstellation auf der anderen Seite der Erde ähnelt in mancherlei Hinsicht der, die ab September in Deutschland droht. Eine konservativ-liberale Regierung hat die Mehrheit im nationalen Parlament und in der föderalen Körperschaft. Ihr stehen sozialdemokratische Kräfte gegenüber, deren konsequenter Einsatz für die Rechte der Lohnabhängigen fraglich ist, die sich jedoch nicht scheuen, Migranten für die Angriffe des Kapitals verantwortlich zu machen. Und auf der Straße hat sich jenseits der sporadischen Mobilisierungen einer nicht für kompromisslose Streikbereitschaft bekannten Gewerkschaftsführung keine unabhängige soziale Bewegung gebildet.

Angesichts dieser für ihn günstigen Konstellation hält Howard es nicht für notwendig, Kompromisse einzugehen: »Wir haben das nicht mit der Absicht gemacht, uns die Hälfte wieder abhandeln zu lassen, um die Zustimmung der Actu zu gewinnen.« Allerdings zeigt sich auch in Australien, dass Sozialabbau eine Regierung nicht populärer macht. Einer in der vergangenen Woche veröffentlichten Umfrage zufolge sank die Unterstützung für Howard um zehn auf 49 Prozent.