Träumen vom Meer unterm Eis

Mit großem nationalistischem Tamtam wurde der Grundstein für eine türkisch-griechische Erdgaspipeline gelegt. von harry ladis, thessaloniki

Nach dem Debakel bei den Verhandlungen in Brüssel über den EU-Beitritt der Türkei bedurfte es einer medienwirksamen Inszenierung zur Darstellung der guten griechisch-türkischen Beziehungen. Eine schöne Möglichkeit bot sich Anfang Juli mit der Grundsteinlegung für eine 285 Kilometer lange Pipeline, die in zwei Jahren die Erdgasnetze der beiden Staaten miteinander verbinden soll. Im Anschluss daran ist geplant, Erdgas vom Kaspischen Meer durch die Türkei und Griechenland zum Hafen Stavrolimin am Ionischen Meer zu leiten. Ab 2010 soll der Rohstoff dann durch eine Unterwasserleitung nach Italien weitergeschleust werden. Die Türkei und Griechenland erhoffen sich dadurch eine wesentliche Aufwertung ihrer geostrategischen Rolle.

Die Festlichkeiten zur Grundsteinlegung waren gekennzeichnet von Patriotismus, Kitsch war überall präsent. Zwei Kinder überreichten einander die Nationalfahnen ihres jeweiligen Landes, die beiden Ministerpräsidenten, Kostas Karamanlis und Tagip Erdogan, genossen den Blick auf die Ägäis, tauschten allerlei Nettigkeiten aus und machten anschließend einen Spaziergang über die Grenze. Und natürlich liefen sie nicht Gefahr, von den dort versteckten Minen zerfetzt zu werden, wie unzählige Flüchtlinge, die versuchen, illegal die Grenze nach Griechenland zu überqueren.

Die Grenze wurde kurzzeitig zu einem internationalen Treffpunkt umfunktioniert, die Grenzbrücke Kipi wurde in »Brücke des Friedens und des Wohlstands« umbenannt – ein rührendes Symbol für die einfache Tatsache, dass die Energiekonzerne endlich neue Gewinne erwirtschaften können.

Doch haben weder die so genannten Luftraumverletzungen auf beiden Seiten abgenommen, die immer auch von rhetorischen Gefechten begleitet sind, noch überlegen die Regierenden, die gigantischen Rüstungsausgaben zu reduzieren. Beide Länder haben in den vergangenen 15 Jahren mehrere Milliarden Euro Steuergelder in die Koordination des Erdgasgeschäftes investiert, da musste die Party ein Erfolg werden.

Die Kritik, die in Griechenland daran geäußert wurde, hatte allerdings ausschließlich eine nationalistische Stoßrichtung. Die Kommunistische Partei bemängelte, dass sich italienisches Kapital in Griechenland breit mache, denn die italienische Firma Italgas hat zum Nachteil einheimischer Unternehmer auch die Verteilung von Erdgas in Nordgriechenland übernommen. Die ultrarechte Partei Laos, die seit den vergangenen Wahlen auch einen Sitz im Europaparlament innehat, bemängelte die wirtschaftlichen Erleichterungen, die Griechenland ohne Gegenleistungen der Türkei anbiete. Seine bedingungslose Unterstützung der Türkei bei ihren Bemühungen, Mitglied der EU zu werden, wollen die Nationalisten dem rechtskonservativen Ministerpräsidenten Karamanlis nicht verzeihen.

Die Zusammenarbeit der beiden Länder beschränkt sich nicht nur auf den Energiebereich. Vor zwei Wochen musste der kurdische Flüchtling Zulkuf Murat Bora (Bahoz) seinen 48 Tage andauernden Hungerstreik abbrechen, da ihm trotz großer Unterstützung in Griechenland der Status eines politischen Flüchtlings verweigert wurde. Ein anderer kurdischer Asylbewerber, Yusuf Temiz, soll ebenfalls in die Türkei abgeschoben werden, obwohl er zehn Jahre in türkischen Knästen gesessen hat, wo er schwer gefoltert wurde. In Griechenland wurden im vergangenen Jahr nur vier Bewerbungen um Asyl positiv entschieden, eine der Betroffenen soll eine ehemalige griechische Geheimagentin gewesen sein.

Die Worte des türkischen Komponisten Zulfi Livaneli, der in einem seiner Lieder alle grüßt, »die weiter vom Meer unter dem Eis träumen«, besitzen weiterhin Gültigkeit. Das Eis wird nicht durch gemeinsame Kapitalinteressen, sondern nur durch die strikte Ablehnung von Nationalismus gebrochen werden.