Bomben gegen den Pharao

Die Anschläge in Sharm al-Sheikh sollen das ägyptische Regime zu einer Änderung seiner Außenpolitik zwingen. von jörn schulz

Befürchtet hat die ägyptische Regierung schon lange, dass islamistische Terroristen im Sinai zuschlagen könnten. Der Straßenverkehr wurde vom Militär immer streng kontrolliert, und alle auf die Halbinsel reisenden Ägypter wurden überprüft. Von der islamistischen Terrorwelle der neunziger Jahre blieb der Sinai verschont.

Doch im Oktober 2004 gelang es einer Gruppe, in Taba nahe der Grenze zu Israel und Jordanien drei Bomben zu zünden, 34 Menschen starben. Der ägyptische Regierungssprecher Magdy Rady bezeichnete den Anschlag als »Einzelereignis«, das sich nicht wiederholen werde. Die Gamaat al-Islamiyya, die bedeutendste militante islamistische Gruppe, hatte bereits 1997 einen »Waffenstillstand« verkündet, dem sich andere Gruppen später anschlossen. Die Bedrohung schien also gebannt. Am Samstag explodierten jedoch drei Bomben in Sharm al-Sheikh, der touristischen Metropole des Sinai. Mindestens 90 Menschen starben.

Bei den Anschlägen von Taba ist unklar, ob sie von einer islamistischen palästinensischen Gruppe oder vom al-Qaida-Netzwerk begangen wurden. Mindestens 200, nach manchen Schätzungen sogar 2 500 Menschen sind im Zusammenhang mit den Anschlägen noch inhaftiert, derzeit findet ein Prozess gegen mehrere Verdächtige statt. In Kairo kam es mehrfach zu Protesten gegen die zum Teil willkürlichen Verhaftungen und die Folterung von Gefangenen.

Die ägyptische Regierung, die einen Einbruch im Tourismusgeschäft vermeiden wollte, bevorzugte die palästinensische Spur. Tatsächlich haben die Anschläge, die allein als Angriff auf Israelis gewertet wurden, nicht zu einem nennenswerten Rückgang der Ägyptenreisen geführt.

Diesmal aber dürften die ökonomischen Folgen verheerend sein. Ägypten nimmt durch den Tourismus jährlich knapp sechs Milliarden Dollar ein, mehr als durch Exporte. Über 1,5 Millionen Ägypter sind formell im Tourismussektor beschäftigt, zudem leben unzählige Straßenhändler, Kunsthandwerker, Guides, Bettler und andere im informellen Sektor Tätige vom Geschäft mit den Reisenden. Wahrscheinlich wird das Einkommen etwa eines Fünftels der Bevölkerung in den kommenden Wochen deutlich sinken.

Nichts kann Präsident Hosni Mubarak weniger gebrauchen als eine Wirtschaftskrise vor den Wahlen im September. Das restriktive Wahlgesetz garantiert ihm zwar den Sieg, doch erstmals gibt es Gegenkandidaten, die politischen Debatten sind etwas offener und die oppositionellen Demonstrationen häufiger geworden.

Noch aber regiert Mubarak als »Pharao«, als unnahbarer Herrscher, der niemandem Rechenschaft ablegen muss. Eine zusätzliche Demütigung für sein autoritäres Regime war das Timing. Am Samstag, dem 23. Juli, sollte eigentlich der 53. Jahrestag der »Revolution«, des Militärputsches im Jahr 1952 und der Gründung der Republik, gefeiert werden. Der Terror am Nationalfeiertag war ein frontaler Angriff auf die ideologische Legitimation des Regimes.

Derzeit spricht alles dafür, dass es sich um einen der für al-Qaida typischen Terrorangriffe handelt, die mehrere Ziele verfolgen. Ussama bin Laden hat mehrfach darauf hingewiesen, dass mit geringem materiellen Aufwand gewaltige ökonomische Effekte erzielt werden können. Das Geschäft mit westlichen Touristen gilt der al-Qaida als gottlos, wer es betreibt, wird als Apostat betrachtet. Die am Old Market vor einem Straßencafé gezündete Bombe, die mindestens 17 Ägypter tötete, scheint als Strafe für solche »Kollaborateure« gedacht gewesen zu sein.

Vor allem aber soll Ägypten nach dem Muster der Anschläge von Madrid und London zu einer Änderung seiner Außenpolitik gezwungen werden. Mubarak hat im vergangenen Jahr mit Premierminister Ariel Sharon vereinbart, dass mehrere hundert ägyptische Offiziere nach dem israelischen Rückzug in den Gazastreifen einrücken werden. Faktisch wird Ägypten damit zur Garantiemacht für die Verhinderung bewaffneter Angriffe auf Israel. Zweifellos ist es im Interesse der Islamisten, dieses Arrangement zu verhindern.

Dass Ägypten seine Beziehungen zum Irak normalisieren will, nahm die von Abu Musab al-Zarqawi geführte irakische al-Qaida zum Anlass, den für den Posten des Botschafters vorgesehenen Diplomaten Ihab al-Sherif zu ermorden. Die Reaktionen waren unerfreulich für Mubarak, die meisten ägyptischen Kommentatoren machten die Regierung für den Tod al-Sherifs verantwortlich. Der ehemalige Botschafter Abdullah al-Ashaal bezeichnete al-Sherifs Mission als »das Ergebnis einer ägyptischen Politik, die sich den Wünschen Washingtons angepasst hat« und »eine Regierung unterstützt, die unter der US-Besatzung operiert«.

Mubarak kann nicht abgewählt werden, aber er kann die öffentliche Meinung auch nicht gänzlich ignorieren. Die Anschläge treffen das Regime in einer Phase, in der die jahrzehntelang aufrecht erhaltene politische Stagnation langsam aufbricht. Sympathien für die Attentäter gibt es zwar kaum, doch könnten sich auch große Teile der ägyptischen Öffentlichkeit die Ansicht zu eigen machen: »Wir lassen sie in Ruhe, dann lassen sie uns auch in Ruhe.«

Mit den Anschlägen in Sharm al-Sheikh scheinen die militanten Islamisten, die in den neunziger Jahren aktiv waren, nichts zu tun zu haben. Doch schon im vergangenen Jahr warnte der Anwalt Montasser al-Zayat vor dem »Beginn einer Serie von Operationen junger Ägypter«, die von al-Qaida beeinflusst seien. Al-Zayat, einst selbst ein militanter Islamist, saß drei Jahre lang mit Ayman al-Zawahiri in einer Gefängniszelle. Er dürfte die Ansichten und Ziele Zawahiris, des derzeit wichtigsten Strategen der al-Qaida, recht gut kennen.

Zawahiri war Mitglied der Organisation, die in den siebziger Jahren die ideologischen Grundlagen für den islamistischen Terror erarbeitete. Sie erklärte den Jihad zur individuellen Pflicht für jeden Muslim. Das Attentat auf Präsident Anwar al-Sadat, das einen Aufstand auslösen sollte, war 1981 der erste bedeutende Versuch, durch eine exemplarische Gewalttat eine gesellschaftliche Polarisierung zu erzwingen.

Mit der verheerendsten Terroroffensive seit dem 11. September 2001 hat das al-Qaida-Netzwerk nicht nur seine Handlungsfähigkeit bewiesen. Auch die politische Strategie wurde weiterentwickelt. Die Jihad-Organisation hatte 1981 noch die Illusion, die Bevölkerung werde sich mit ihr solidarisieren. Die al-Qaida dagegen sieht sich als Avantgarde, die auch die Mehrheit der Muslime bekämpfen muss. Wie in London sollten auch in Sharm al-Sheikh nicht die Köpfe und Herzen der Menschen gewonnen werden. Die Angst soll sie dazu bringen, sich den Forderungen der Terroristen zu beugen.