Die Spur der Falken

Militante Gruppen aus dem Umfeld der PKK bedienen sich verstärkt terroristischer Methoden. Sind sie auch für die Anschläge von Kusadasi und Istanbul verantwortlich? von udo wolter

Der Fahrer des Kleinbusses berichtete von einem Mann, der sich verdächtig verhalten habe und fünf Minuten vor der Explosion ausgestiegen sei, und die Tageszeitung Hürriyet gibt an, einen Bekenneranruf im Namen der Freiheitsfalken Kurdistans (Tak), einer aus dem Umfeld der PKK entstandenen Splittergruppe, erhalten zu haben. Ein verifiziertes Bekennerschreiben liegt jedoch nicht vor, so dass es weiterhin unklar ist, wer für den Bombenanschlag auf einen Touristenbus in Kusadasi am 16. Juli verantwortlich ist, der fünf Todesopfer und mehrere Schwerverletzte forderte. Das gilt auch für den Anschlag in einem Café an der Galata-Brücke in Istanbul, bei dem am Samstag zwei Menschen verletzt wurden.

Im Namen der PKK verurteilten sowohl der Chefkommandeur ihrer Guerilla HPG (Volksverteidigungskräfte), Murat Karayilan, als auch Zübeyir Aydar, der Vorsitzende der PKK-Frontorganisation Kongra-Gel den Anschlag in Kusadasi. Sie bestreitet auch jede Verbindung zur Tak, die sich bereits eine Woche zuvor zu dem glücklicherweise ohne Todesopfer verlaufenen Anschlag in Cesme bekannt und weitere Anschläge gegen touristische Ziele angekündigt hatte.

Seit die PKK ihren im Jahr 1999 nach der Festnahme Abdullah Öcalans verkündeten Waffenstillstand für beendet erklärt hat, gab es terroristische Aktionen, die auf die Ermordung unbeteiligter Zivilisten zielten. So gab die Tak im vorigen Jahr mit einem Anschlag auf zwei Istanbuler Hotels ihren Einstand, bei dem zwei Menschen ums Leben kamen. Das ist eine neue Qualität, die an die Vorgehensweise islamistischer Terrorgruppen erinnert.

Die PKK und ihr Chef Abdullah Öcalan haben zwar bereits in der Vergangenheit auch durch Propagierung des Selbstopfers für die nationale Sache ihren antiemanzipatorischen Charakter bewiesen. Jedoch richteten sich Selbstmordanschläge aus den Reihen der PKK früher in aller Regel nicht gegen zivile Ziele, und meistens handelte es sich um Selbstverbrennungen von AnhängerInnen der Bewegung.

Bei den Anschlägen in Touristenzentren in den neunziger Jahren wurden Verletzte und potenziell auch Todesopfer zwar billigend in Kauf genommen, es war jedoch nicht beabsichtigt, möglichst viele Zivilisten zu ermorden. Noch bei der in einem Papierkorb detonierten Bombe von Cesme behauptete die Tak, eine telefonische Vorwarnung gegeben zu haben. Das entspräche in etwa dem Muster, das von der baskischen Eta und anderen separatistischen Gruppen wie der IRA bekannt ist.

Die nicht zuletzt im Hinblick auf die angestrebte EU-Mitgliedschaft der Türkei eingeleiteten Zugeständnisse gegenüber der kurdischen Minderheit haben möglicherweise eine ähnliche Entwicklung wie in Spanien oder Großbritannien eingeleitet. Die Wirtschaftssituation in den kurdischen Gebieten ist nach wie vor desolat, und der Demokratisierungsprozess verläuft schleppend. Es gibt jedoch größere Spielräume für eine legale politische Artikulation kurdischer Interessen, von denen allerdings die PKK und ihre Neugründungen Kadek/Kongra-Gel strikt ausgeschlossen bleiben. Auch eine Amnestie für die Führungsebene und die militanten Guerillakader bleibt ihr versagt.

Während die kurdische Bevölkerung wegen der zunehmenden Normalisierung vor allem in den größeren Städten der kurdischen Gebiete aufatmete, entwickelten sich unter der in ihrem irakischen Rückzugsgebiet bedrängten Guerilla heftige Flügelkämpfe. Als der um Karayilan gruppierte Öcalan-treue Teil der PKK-Führung – vermutlich mit dessen Billigung aus dem Gefängnis – schließlich die Wiederaufnahme bewaffneter »Verteidigungsaktionen« beschloss, setzte sich fast die Hälfte des Zentralkomitees unter Führung von Abdullah Öcalans Bruder Osman von der PKK ab (Jungle World, 31/04).

Letztlich kämpft die PKK nurmehr für sich selbst und ihren inhaftierten Führer. Sie versucht mit immer rücksichtsloseren Mitteln, Aufmerksamkeit zu erzwingen. Durch die vorhersehbare Repressionswelle des türkischen Staates gegen die kurdische Bevölkerung kann sie auch neuen Zulauf gewinnen. In mancher Hinsicht ist die Entwicklung mit dem ebenfalls immer desperateren Umsichschlagen der Eta vergleichbar. Der neue PKK-Guerillakampf verfolgt jedoch kein klar erkennbares nationalistisches Ziel wie Unabhängigkeit oder Autonomie mehr, schließlich gilt offiziell immer noch Öcalans Kurs der »Friedensangebote« gegenüber dem türkischen Staat. Die Tak könnte sich demnach – ähnlich der irischen Real IRA – aus von der PKK abgespaltenen radikaleren Kadern rekrutieren, denen Öcalans Linie als Verrat gilt.

Da die Tak jedoch zumindest bis zum Anschlag von Cesme der PKK nahe stehende Medien für ihre Verlautbarungen nutzen konnte, wird die Distanzierung der PKK von dieser obskuren Truppe von vielen Kennern der Szene als wenig glaubwürdig eingestuft. Dass sie auch den gleichen Sprengstoff wie die PKK verwendet, scheint als Beleg für eine Zusammenarbeit etwas dünn, da sie sich auch unabhängig von der PKK aus den gleichen irakischen Quellen versorgen könnte.

Die Korrespondentin Susanne Güsten spricht von »Subunternehmertum«, einer stillschweigenden »Arbeitsteilung«, bei der die PKK für den militärischen Kampf gegen die Armee und die Polizei im kurdischen Südosten, die Tak für Terror gegen Touristenzentren im Westen der Türkei zuständig wäre. Das könnte auch auf die Entwicklung einer lockeren Netzwerkstruktur unabhängig operierender, aber um die PKK gruppierte Guerillazellen á la al-Qaida hindeuten. Dazu würde passen, dass die PKK-Guerilleros beim Einsickern aus ihren irakischen Rückzugsgebieten in die Türkei offenbar nicht nur große Mengen des dort verwendeten C4-Sprengstoffes mitgebracht haben, sondern auch neue Methoden wie die Verwendung ferngezündeter Bomben auf Militär- und Postzüge. Es zeigt sich einmal mehr, welch fatalen Sog der von einigen Linken immer noch als »Widerstand« verklärte Terrorismus im Irak ausübt.

Die kurdische Guerillaoffensive hat bislang nichts als eine erneute Militarisierung der sich gerade langsam entspannenden Verhältnisse im Südosten der Türkei gebracht. Schon droht das Militär mit einem Einmarsch in den Nordirak und hat so die USA offenbar zur Ausstellung von Haftbefehlen gegen die sich dort aufhaltenden PKK-Kader bewegt.

Rechte Politiker wie der ehemalige Staatspräsident Süleyman Demirel rufen bereits nach erneuter Verhängung des Ausnahmezustands über die kurdischen Gebiete in der Türkei. Schließlich beeinflusst der eskalierende Kurdenkonflikt auch die ohnehin schon wenig Erfolg versprechende EU-Bewerbung der Türkei. Deren Scheitern würde aber nach Einschätzung vieler Beobachter eine antiwestliche, vermutlich islamistische Stimmung in der Türkei stärken. Die PKK arbeitet so auch noch ungewollt der islamischen Reaktion in die Hände.

Auch wenn sie kein ideologischer Bezugspunkt für radikale Linke sein können, läge die einzige Hoffnung in einer Distanzierung zivilgesellschaftlicher kurdischer Kräfte wie der Dehap und der Demokratischen Gesellschaftsbewegung um die lange Jahre inhaftierte Leyla Zana von der PKK. Immerhin haben diese Kräfte zusammen mit zahlreichen türkischen Intellektuellen, unter ihnen der Schriftsteller Orhan Pamuk, in einem Aufruf die PKK zur bedingungslosen Einstellung ihrer bewaffneten Aktionen aufgefordert und vom türkischen Staat weitere Demokratisierungsschritte verlangt.