Wir haben nichts zu verbergen

Für viele Schweden ist der freizügige Umgang mit ihren persönlichen Daten selbstverständlich. In Zeiten des Terrors fällt es der Regierung deshalb leicht, immer mehr Überwachung durchzusetzen. von bernd parusel, stockholm

Lehrer an schwedischen Gymnasien könnten künftig nicht mehr nur als Pädagogen fungieren, sondern auch als Spitzel für die Geheimpolizei Säkerhetspolisen (Säpo). So will es jedenfalls Jan Björklund von der liberalen Volkspartei, die zusammen mit den anderen bürgerlichen Parteien Schwedens die Wahl im kommenden Jahr gewinnen will. Wenige Tage nach den Terrorattentaten am 7. Juli in London mahnte Björklund, der schulpolitische Sprecher seiner Partei, Lehrer sollten künftig genauer auf die religiösen Überzeugungen ihrer Schüler achten und extreme Einstellungen der Säpo melden. Die Attentäter von London seien »junge Männer knapp über dem Alter von Gymnasiasten« gewesen, argumentierte er.

Die Tageszeitung Dagens Nyheter fand nach den Anschlägen Anzeichen dafür, dass auch unter muslimischen Schülern an Gymnasien in Stockholmer Vororten, wo viele Migranten wohnen, eine »Radikalisierung der Islaminterpretation« stattfinde. Unter anderem aufgrund der Marginalisierung, Benachteiligung und »Ghettoisierung« von Zuwanderern gebe es in Schweden heute einen »Nährboden für islamischen Extremismus«, ähnlich wie in London oder Madrid.

Tatsächlich deutet darauf einiges hin. Als im vergangenen Jahr zwei Gymnasiastinnen vollständig verschleiert in eine Göteborger Schule kamen, führte dies zu intensiven Diskussionen über Religionsfreiheit. Im April befürchtete man Konflikte zwischen Christen und Muslimen, nachdem der Laienprediger Runar Sögaard den Propheten Mohammed einen »verwirrten Pädophilen« genannt hatte. Religiöse Eiferer drohten, Sögaard zu töten (Jungle World 19/05). Es blieb jedoch ruhig.

Ob der Vorschlag, Lehrer zu Säpo-Informanten zu machen, ein geeignetes Mittel wäre, extreme Einstellungen zu entlarven und einzudämmen, ist in Schweden unterdessen umstritten. Von anderen Parteien wurde die Idee bisher nicht aufgegriffen. Wenn man Schülern mit Misstrauen und einer Überwachungsmentalität begegne, sei es nicht mehr möglich, religiöse und moralische Fragen im Klassenzimmer offen zu diskutieren, hieß es in mehreren ablehnenden Reaktionen von Lehrern und Schulleitern.

Auch wenn Björklunds Vorschlag kaum Aussichten haben dürfte, sagt die Diskussion darüber dennoch einiges aus über eine Gesellschaft, die sich eigentlich als offen und frei versteht. Anfang dieses Jahres bereits hat die Tsunami-Katastrophe etwas in Schweden möglich gemacht, was bis dahin Tabu war. Das so genannte PKU-Register, eine Biodatenbank, in der seit 1975 Blutproben aller Neugeborenen gesammelt werden, wurde für Polizei und Gerichtsmediziner geöffnet. Die Daten aus dem Register, das von der Universitätsklinik in Huddinge bei Stockholm verwaltet wird, sollten helfen, schwedische Flutopfer in Thailand zu identifizieren. Als der Reichstag die Öffnung in einer Sondersitzung im Januar absegnete, war die Zustimmung unter den Abgeordneten von links bis rechts so groß, dass es keiner Zählung der Stimmen bedurfte. Auch außerparlamentarische Proteste gegen den Beschluss wurden kaum laut, obwohl das PKU-Register ursprünglich aus ganz anderen Gründen eingerichtet worden war, nämlich zu Forschungs- und statistischen Zwecken und um Erbkrankheiten bei Kindern zu entdecken.

Die Gesetzesänderung konnte wohl auch deshalb so schnell und unkompliziert erfolgen, weil Schweden insgesamt einen freizügigeren Umgang mit persönlichen Daten seiner Bürger pflegt als andere Länder und weil viele Schweden an der Erfassung , Registrierung und Weitergabe solcher Informationen wenig Anstoß nehmen. Ein Symbol für die Erfassung der Bevölkerung in Datensätzen ist die schwedische »Personennummer«. Jeder Einwohner verfügt von Geburt an über eine zehnstellige Ziffernkombination, die ihn vor Behörden, Ärzten, Versicherungen, oder auch beim Einkaufen mit Kreditkarte oder im Internet identifiziert. Geburtsdatum und Geschlecht gehen direkt daraus hervor. Gesetze regeln darüber hinaus, welche weiteren Informationen die verschiedenen Interessenten jeweils abrufen dürfen.

Daneben wird es mit dem allgemein anerkannten »Öffentlichkeitsprinzip« begründet, dass ein Großteil behördlicher Vorgänge für Bürger, Medien oder auch Polizei einsehbar sind. Dazu zählen Steuerbescheide. Jeder Schwede kann mit einem Gang zum Finanzamt feststellen, wie viel sein Nachbar oder Kollege verdient. Lokalzeitungen veröffentlichen bisweilen Listen der reichsten Einwohner einer Gemeinde oder auch Informationen über Immobilientransaktionen. Wer es wissen will, kann problemlos erfahren, zu welchem Preis Herr Svensson sein Haus verkauft hat und an wen. Und die Sicherheitspolizei muss nicht erst langwierige Ermittlungen anstellen, wenn sie erfahren will, ob Neonazis irgendwo ein Grundstück erworben haben.

Für viele Schweden ist das alles selbstverständlich. Wer nach Recht und Gesetz handelt, sollte keinen Grund haben, den Einblick in seine ökonomischen Verhältnisse zu verwehren, und eine Behörde, zu der die Menschen Vertrauen haben sollen, soll nichts zu verheimlichen haben.

Um die Ermittlungsarbeit von Polizei und Säpo angesichts vermeintlich zunehmender Bedrohungen zu erleichtern, soll vom kommenden Jahr an eine weitere DNA-Datenbank, die unabhängig vom PKU-Register besteht, ausgebaut werden. Darin sind zur Zeit die genetischen Fingerabdrücke von rund 2 800 Straftätern gespeichert, die zu mindestens zwei Jahren Gefängnis verurteilt wurden. Wie der sozialdemokratische Justizminister Thomas Bodström Anfang Juli mitteilte, sollen künftig schon beim Verdacht auf eine Straftat DNA-Proben erfasst werden. Die einzige Bedingung für die Registrierung einer Person ist dann, dass das Verbrechen, das sie begangen haben soll, zu einer Gefängnisstrafe führen kann. »Das neue Gesetz setzt so niedrige Grenzen, dass im Großen und Ganzen alle, die ein irgendwie ernsthaftes Verbrechen begangen haben, in dem Register landen«, sagte Bodström der Tageszeitung Dagens Nyheter. Die sozialdemokratische Regierung hofft, so die Aufklärungsrate von Verbrechen steigern und den Bürgern ein Gefühl größerer Sicherheit geben zu können. Die bürgerliche Opposition will noch weiter gehen und mahnte nach den Londoner Attentaten, auch die Kompetenzen der Polizei auszuweiten, um Wohnräume und Telefonleitungen besser überwachen zu können.

Nicht alle sind jedoch über die zunehmende Datensammelwut erfreut. »Wir bekommen eine Gesellschaft, in der wir mehr und mehr registriert werden«, monierte etwa der prominente Rechtsanwalt Leif Silbersky im schwedischen Fernsehen. Er habe zwar Respekt davor, dass die Polizei Verbrechen verhindern und verfolgen wolle, dies dürfe aber nicht »auf Kosten der persönlichen Integrität« geschehen: »Niemand kann garantieren, dass Informationen über unsere Erbmasse nicht in finstere Kanäle gelangen.«