400 Schuss pro Minute

US-amerikanische Bands wie Orthrelm, Fantômas, Agoraphobic Nosebleed sind laut, kaputt, katastrophisch und spielen Krieg. von markus ströhlein

Wie klingt Rock-Musik in Zeiten des Terrors? Wenn der Krieg praktisch vor der eigenen Haustür tobt, Flugzeuge in Wolkenkratzer rasen, Busse und Züge explodieren und Menschen sterben? Professionelle Heulbojen wie R. Kelly und Mariah Carey dominieren in diesen Zeiten die US-amerikanischen Albumcharts. Der Schrecken ist in der musikalischen Kuschelecke präsent. Der Akt, sich vom Geschehen in der Welt abzuwenden, bedauert im Herzschmerz-Pop gleichzeitig schon sein eigenes Scheitern.

Am Rand der Popmusik geht es dagegen unbarmherzig nüchtern zu. Hätte man die Möglichkeit, eine repräsentative Gruppe zu fragen, ob sie die Musik der Band Orthrelm als musikalischen Terror bezeichnen würde, lautete die Antwort der Befragten mit Sicherheit »ja«. Orthrelm brechen über den Hörer herein. Da gibt es kein Ausweichen, keine Atempause. Dass nur zwei Musiker diesen Wahnsinn entfesseln, ist eigentlich unglaublich. Auf ihren ersten Platten lassen Gitarrist Mick Barr und Schlagzeuger Josh Blair halbstündige Stakkati aus Zweiunddreißigstel-Noten los, in denen es keine Melodien und Wiederholungen gibt, keine Struktur, keine Orientierung. Der CD-Player zeigt zwar Songs an. Doch man muss sich der scheinbaren Unordnung überlassen, den verzerrten Gitarrenläufen im Hochfrequenzbereich und dem komplexen rhythmischen Donnern des Schlagzeugs. Dass die beiden Musiker nicht etwa improvisieren, sondern ihre Stücke bis ins kleinste Detail durchkomponiert haben und virtuos ausführen, verstärkt den Eindruck, Orthrelm vollkommen ausgeliefert zu sein.

Die verbale Kommunikation verweigern Orthrelm vollständig. Gesungen wird nicht. Die Songs sind entweder einfach durchnummeriert oder haben bizarre Namen wie »eriosainqueilltor« oder »cyryx-aqfolr«. Orthrelm tun weh, ohne zu sagen, was sie wollen.

Ihre neue Platte heißt schlicht »OV«. Auch sie ist instrumental. Doch das musikalische Konzept hat sich geändert. Orthrelm hat die Wiederholung und die Monotonie als Stilmittel entdeckt. Die Zweiunddreißigstel-Noten prasseln zwar immer noch aus den Boxen. Doch manche Figuren werden minutenlang wiederholt, dann von anderen abgelöst, um später wieder aufzutauchen. In den ersten 17 Minuten des aus einem 45minütigen Track bestehenden Albums formt sich eine symmetrische Struktur, die aus drei an einer musikalischen Achse gespiegelten Parts besteht. An anderen Stellen verzahnen sich Figuren ineinander oder bauen aufeinander auf. Auf den ersten Alben stand noch jede Note für sich. Die Versprengtheit weicht auf »OV«, und es gibt Bezüge. Orthrelm betreiben musikalische Ordnungspolitik. Friedlich klingt das freilich nicht.

Veröffentlicht hat die Band ihre Platte auf dem Label Ipecac. Der Betreiber Mike Patton, ehemaliger Sänger von Faith No More, bringt dort auch die Platten seiner Band Fantômas heraus. Kürzlich ist ihr Album »Suspended Animation« erschienen. Bei einer Umfrage zum Thema »musikalischer Terror« würde sie sicher ein ähnliches Ergebnis wie Orthrelm erzielen, auch wenn sie mit anderen Stilmitteln arbeitet. Plärrende Cartoon-Samples folgen auf Metal-Gehacke, atmosphärische Soundtrackschnipsel auf Pattons verfremdetes Geschrei, purer Krach auf Kinderstimmen. Traditionelle Songstrukturen gibt es nicht, Texte auch nicht. Es sprechen lediglich gesamplete Zeichentrick- und Computerfiguren.

Gerade die Samples sind doppelbödig. Bugs Bunny hat auf »Suspended Animation« das letzte Wort. »Was hast du von einer Oper erwartet? Ein glückliches Ende?« sagt er. Die Frage ist rhetorisch. Jeder weiß, dass die Zeit des großen Happy End vorbei ist. Das Infantile und Absurde taugt nicht als eskapistisches Angebot.

»Willkommen auf unserem Flug!« und »Schnallen Sie sich an!« sagt eine rasselnde Roboterstimme aus einem Computerspiel zu Beginn der Platte. Das klingt zunächst lustig. Doch wer heutzutage fliegt, bei dem fliegt die Erinnerung an den 11. September mit. Die Todespiloten haben den Umgang mit den Jets an PC-Flugsimulatoren geübt. Fantômas’ Lachen ist das hysterische Lachen darüber, dass das Harmlose nicht mehr harmlos ist.

Wer die Band als Nischenbeschäftigung des exzentrischen Millionärs Mike Patton abtun möchte, liegt falsch. Wenn sie auftritt, tut sie das in großen Clubs, die meist ausverkauft sind, und das in den USA, Europa und Japan.

Ähnlich erfolgreich sind The Locust aus San Diego. Von ihren Platten verkaufen sie 20 000 bis 30 000 Stück. Das ist nicht nur für die Größe der Labels, auf denen sie veröffentlicht haben, immens, sondern auch für die Art ihrer Musik. Eine Gitarre, ein Bass, ein Keyboard, ein Schlagzeug und drei Sänger entfalten aus Grindcore, Noise-Rock, No-Wave und Elektronik ein überdrehtes Inferno. Rezensenten bezeichnen ihre Songs gern mal als »Sprengkörper«, das Geschrei als »Terror«, ihre Platten als »brutale Salven«.

Den verbalen Bezug zum Terror schafft Jay Randall, der Sänger der Band Agoraphobic Nosebleed, selbst. »Wir machen Blastbeat-Kram, der klingt wie eine automatische Waffe mit 400 Schuss pro Minute.« Ein Song heißt »Free Shoko Asahara«. Er verwandelt die altbekannten linken Freilassungsparolen in ein zynisches Plädoyer für den Anführer der japanischen Sekte Aum Shinrikyo, die mit einem Giftgasanschlag in der U-Bahn Tokyos 1995 zahlreiche Menschen getötet hat. Agoraphobic Nosebleed bestehen wie Orthrelm nur aus zwei Musikern und schaffen es ebenfalls mit minimalem Personal, ein maximales Bedrohungsszenario aufzubauen. Jay Randall kreischt, grölt, kotzt, Scott Hull programmiert den Drum-Computer und spielt Gitarre. Die ist maßlos verzerrt und überschlägt sich. Das Schlagzeug aus der Konserve klingt tatsächlich wie ein Maschinengewehr, ist aber noch schneller. Die Songs dauern manchmal nur einige Sekunden. Sie überfallen einen ebenso wie die eingefügten Krachcollagen.

Von den genannten Bands ist Agoraphobic Nosebleed sicher die plakativste. Die Band ist gewollt »kaputt« und gewalttätig. Demnächst erscheint der erste Teil ihrer Diskografie »Bestial Machinery«. Bei Songtiteln wie »Letter Bomb« oder »10 000 Bullets« traut man Randall und Hull durchaus zu, in Zukunft vielleicht Ussama bin Laden ein Stück zu widmen. Gut wegkommen dürfte er aber nicht. Denn mit ihrem Wahlspruch »Die and get the fuck out of the way!« meint die Band sicher auch den Kopf von al-Qaida.

Orthrelm: OV (Ipecac Records)

Fantômas: Suspended Animation (Ipecac Records)

Agoraphobic Nosebleed: Bestial Machinery (Discography Volume 1) (Relapse Records)