Umkämpfte Gesten

Der tschechische Ministerpräsident Jiri Paroubek will eine »Versöhnungsgeste« für antifaschistische Sudetendeutsche. Doch der Plan ist in Tschechien höchst umstritten. von jörg kronauer

Gegenüber bestimmten Sudetendeutschen, schrieb der tschechische Ministerpräsident Jiri Paroubek in der Tageszeitung Právo, befürworte er durchaus eine »Versöhnungsgeste«. Das war Anfang Juni, und vielleicht schon im August, spätestens im September soll sich das tschechische Kabinett mit der Initiative des sozialdemokratischen Ministerpräsidenten befassen. Das Außenministerium in Prag hat den Auftrag, die Kabinettsvorlage auszuarbeiten, und die internationale Absprache läuft bereits. Doch die geplante Geste ist höchst umstritten.

Umfassen soll sie diejenigen unter den deutschsprachigen Bürgerinnen und Bürgern, die sich am Widerstand gegen Nazideutschland beteiligt hatten und dennoch, entgegen der Bestimmungen der Benes-Dekrete, nach dem Kriegsende umgesiedelt wurden. Allzu viele waren es freilich nicht, auch der tschechische Premier gehe lediglich von etwa 200 Menschen aus, die es zu beachten gelte, meldete Radio Prag kürzlich.

Wirklich neu ist die Idee nicht. Immer wieder wurde in Tschechien daran gedacht, den wenigen sudetendeutschen Antifaschistinnen und Antifaschisten für Widrigkeiten, die sie nach dem Krieg erlitten haben, eine besondere Zuwendung zu erteilen. Dabei spielte auch die Hoffnung eine Rolle, den revisionistischen Forderungen der deutschen und österreichischen »Vertriebenen«-Verbände etwas entgegensetzen zu können. Zuletzt hatte die Regierung des im Juni 2004 zurückgetretenen Vladimir Spidla einen solchen Schritt erwogen, musste das Vorhaben jedoch wegen großer Widerstände aufgeben.

Paroubek zog aus dem damaligen Scheitern Konsequenzen. Sein Plan lautete deshalb, die Unterstützung ausländischer Regierungschefs zu gewinnen. Wenn die Zustimmung aus dem Ausland groß genug ausfalle, könne sich auch in der Tschechischen Republik niemand verweigern. Eine Indiskretion zerstörte am 11. Juli jedoch die Geheimpolitik, so dass die Nachrichtenagentur CTK Paroubeks Initiative öffentlich machte. Heftige Reaktionen waren die Folge, ungeachtet dessen, dass immer noch unklar ist, woraus die »Versöhnungsgeste« genau bestehen soll.

»Das bedeutet, die Büchse der Pandora zu öffnen«, meinte Staatspräsident Vaclav Klaus, der das Ganze für »äußerst unglücklich und gefährlich« hält. Völlig unbegründet sind diese Befürchtungen nicht, wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung bereits tags darauf beweisen sollte. Mit einer »Versöhnungsgeste« erkenne die tschechische Regierung indirekt an, dass »den ›Antifaschisten‹ Unrecht widerfahren sei«, schrieb das Blatt, um zu folgern: »Waren aber nicht auch die Kinder, die Alten und überhaupt alle, die sich persönlich keiner Verbrechen schuldig gemacht hatten, unschuldig?«

Die Anzahl derer, die ebenfalls eine »Versöhnungsgeste« verlangen könnten, dürfte rasch unüberschaubar werden. Auch Forderungen der Umgesiedelten nach einer materiellen Entschädigung wären nicht auszuschließen, da die »Geste« juristisch womöglich als indirektes Schuldeingeständnis gedeutet werden könnte.

Seitdem eskaliert die Debatte. Der Staatspräsident habe seine Initiative »nicht verstanden«, schimpfte Paroubek. »Ich habe das Gefühl, er hat den Verstand verloren«, konterte Klaus, während Jan Zahradil, der außenpolitische Sprecher der konservativen Oppositionspartei ODS, eindringlich warnte: »Damit reißt man den bisherigen Konsens in der tschechischen Politik nieder, Angelegenheiten um den Zweiten Weltkrieg nicht aufzuschnüren.« Paroubek wiederum antwortete, er verstehe nicht, wie Zahradil in derart »primitiver antideutscher Art auftreten« könne.

Primitiv antideutsch? Zahradil hat lediglich auf einen wohlbegründeten Konsens hingewiesen, der zudem durch die deutsch-tschechische Erklärung vom Januar 1997 gedeckt ist. Beide Regierungen erklärten darin, »dass sie ihre Beziehungen nicht mit aus der Vergangenheit herrührenden politischen und rechtlichen Fragen belasten werden«. Eine Verpflichtung, die von deutscher Seite bis heute unablässig gebrochen wird. Auch an der jüngsten tschechischen Initiative sind die Deutschen von Anfang an beteiligt. Denn Paroubek soll Medienberichten zufolge sein Vorhaben im Mai mit Bundeskanzler Gerhard Schröder abgesprochen haben.

Lob kommt inzwischen sogar von den deutschen »Vertriebenen«. Erika Steinbach, die Präsidentin des BdV, nannte Paroubek »sehr mutig«, der Sprecher der Sudetendeutschen Landsmannschaft, Johann Böhm, äußerte sich in der Tageszeitung Die Welt wohlwollend. Die »Vertriebenen«-Sprecher der großen österreichischen Parteien sind ebenfalls zufrieden. Von einem »guten Beginn« sprach Norbert Kapeller von der ÖVP, während Werner Kummerer (SPÖ) betonte, dass dies »nur ein Anfang« sein könne.

Paroubek treibt sein Anliegen eilig voran. Der Vorstand der regierenden sozialdemokratischen CSSD hat dem Vorhaben inzwischen offiziell zugestimmt, spätestens im September soll das Kabinett darüber beraten. Kritiker munkeln, die »Versöhnungsgeste« sei nicht zuletzt ein Wahlkampfgeschenk des tschechischen Sozialdemokraten an den deutschen Bundeskanzler. Der österreichische Kanzler, Wolfgang Schüssel, ist mit Paroubeks Initiative sehr zufrieden, auch der polnische Ministerpräsident, Marek Belka, lobt den Plan (»mutig und wertvoll«). Bislang protestierte nur der slowakische Ministerpräsident, Mikulas Dzurinda, gegen die »unsinnige Initiative«. Der ausländische Druck auf die Tschechische Republik wächst.