Wie viel Jihad steckt im Terror?

Attentäter von London festgenommen von ivo bozic
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Welche Rolle spielt religiöser, islamistischer Fanatismus bei den Terrorbombern? Diese Frage beschäftigt derzeit die europäischen Ermittler und mehr noch die britischen Medien. Bei den inzwischen festgenommenen mutmaßlichen Attentätern der zweiten Anschlagswelle in London am 21. Juli soll es sich Berichten zufolge nur teilweise um fundamentalistische Moslems handeln. Einer von ihnen erklärte im Verhör, er habe aus Rache wegen des Irak-Kriegs gehandelt. Er sei in einem Fitness-Club angeworben worden, wo man ihm Videos aus dem Irak gezeigt habe. Zeitungen veröffentlichten Fotos eines mutmaßlichen Attentäters, die ihn auf einer Party zeigen, und zitierten Bekannte, die den Mann als keineswegs gläubigen Muslim bezeichnen.

Möglicherweise verharmlosen britische Medien einen islamistischen Hintergrund, weil es derzeit opportun erscheint, sich nicht mit der muslimischen Community anzulegen. Doch unabhängig davon, was sich im Einzelnen über Motive und Verbindungen der Festgenommenen noch herausstellen wird, könnte es sich zeigen, dass das Rekrutierungspotenzial der Terroristen über islamistische Kreise hinausreicht und antiimperialistische Einstellungen oder auch nur Ressentiments ebenfalls eine Rolle spielen.

In der vergangenen Woche wurden alle vier mutmaßlichen Attentäter vom 21. Juli festgenommen, außerdem in Sambia der britische Staatsbürger Harun Raschid Aswat, der ein Vertrauter des ehemaligen Afghanistan-Kämpfers und Jihad-Predigers Abu Hamsa al-Masri sein soll. Vor den Anschlägen hatten die späteren Attentäter nach Polizeiangaben 20 Telefonate mit Aswat geführt. Zwei der vier mutmaßlichen »Rucksackbomber« wurden bei einer groß angelegten, live im Fernsehen übertragenen Polizeiaktion im Westen Londons festgenommen, einer war bereits am Mittwoch in Birmingham verhaftet worden. Der vierte Verdächtige wurde von italienischen Behörden in Rom festgenommen. Alle vier stammen aus afrikanischen Staaten.

Der in Italien festgenommene 27jährige Hamdi Adus Issac war zuvor mit dem Zug von London über Frankreich nach Rom geflohen. Am Ende soll ihn sein Handy verraten haben. Er ist der einzige Tatverdächtige, der bisher Aussagen gemacht und seine Beteiligung gestanden hat. Sie hätten, erklärte er Presseberichten zufolge im Polizeiverhör, niemanden töten wollen, es habe sich um eine »Demonstration« gehandelt. Jede Verbindung mit dem al-Qaida-Netzwerk bestritt er. Auch zu den Attentätern vom 7. Juli will er keinen Kontakt gehabt haben. Mehrere Spuren weisen inzwischen nach Saudi-Arabien.

Insgesamt hat die britische Polizei nach den beiden Anschlagsserien 35 Menschen festgenommen, von denen 18 oder 19 noch in Haft sind und vermutlich verhört werden. Es gab mindestens 16 Razzien, rund 8 500 Dokumente und 35 000 Überwachungsvideos seien ausgewertet worden, erklärte Scotland Yard. Am Sonntag wurden in Norditalien zwei Brüder Issacs und vorübergehend auch eine bosnische Freundin von ihnen festgenommen.

Trotz der Ermittlungserfolge vom Wochenende geht die britische Polizei davon aus, dass es noch zu weiteren Festnahmen kommen wird. Über eine dritte, intakte Terrorzelle wurde spekuliert. In London sind nach wie vor tausende Scharfschützen in den Straßen und auf Dächern postiert. Fest steht, dass die Gruppe, die hinter den Anschlägen vom 7. Juli steckte, an einem Bahnhof in Luton, 50 Kilometer nordwestlich von London, ein Auto zurückließ, in dem sich noch 16 Bomben oder zumindest Teile davon befanden. Für wen diese Waffen bestimmt waren, ist unbekannt.