Aufstand in der Dreistadt

Der Tod des sudanesischen Vizepräsidenten und ehemaligen Guerillaführers Garang war nach offiziellen Angaben ein Unfall. Doch viele Südsudanesen glauben an einen Anschlag. von thomas schmidinger

Das schlechte Wetter soll schuld daran gewesen sein, dass John Garang, der langjährige Führer der südsudanesischen SPLA (Sudanese People’s Liberation Army) am vorletzten Samstag bei einem Hubschrauberabsturz ums Leben kam. So lautet die offizielle Erklärung des sudanesischen Militärregimes für den Tod des Vizepräsidenten, der erst drei Wochen zuvor vereidigt worden war.

Das Militärregime und die SPLA haben im Rahmen des Friedensprozesses eine gemeinsame Regierung gebildet, nun ist der wichtigste Repräsentant der SPLA unter ungeklärten Umständen gestorben. Zwar schloss sich auch die Führung der SPLA der offiziellen Version an, die Basis der ehemaligen Guerillabewegung dürfte darüber jedoch anders denken. Hier herrschten von Anfang an Zweifel an der Unfallthese. Sie wurden in der vergangenen Woche durch Andeutungen des ugandischen Präsidenten, Yoweri Museveni, gestärkt, der »externe Faktoren« nicht ausschließen wollte. Der abgestürzte Hubschrauber diente zuvor Museveni selbst für seine Reisen.

Im Sudan selbst brachen unmittelbar nach der Bekanntgabe von Garangs Tod Unruhen aus, die insbesondere die Hauptstadt Khartoum erschütterten. Im Laufe des jahrzehntelangen Bürgerkriegs haben sich in der aus Khartoum, Umdurman und Bahri (Khartoum-Nord) bestehenden »Dreistadt« mehrere Millionen Flüchtlinge aus dem Südsudan angesiedelt, die ihr Dasein fast alle unter äußerst prekären Lebensbedingungen fristen. Die meisten von ihnen leben in Elendsvierteln und verdingen sich als Tagelöhner, Teefrauen, illegale Prostituierte oder Schnapsbrennerinnen.

Insbesondere gegen Prostituierte und Schnapsbrennerinnen ging das seit dem Militärputsch vom Juni 1989 regierende islamistische Regime immer wieder mit besonders brutalen Methoden vor. Allerdings gibt es neben der Repression durch das Regime auch immer wieder einen gewissen Alltagsrassismus bzw. Standesdünkel »arabischer« SudanesInnen, von denen viele auf die vermeintlich »unterentwickelten« SüdsudanesInnen herabblicken.

Vom Friedensprozess hat dieses urbane Subproletariat bisher am wenigsten profitiert. Eine bessere Zukunft scheint zweifelhaft, doch es sind vor allem die Älteren, die auf eine Rückkehr in einen friedlichen Südsudan hoffen. Die Abkommen sahen im Wesentlichen die Aufteilung von Einflusssphären und Ressourcen zwischen Regierung und SPLA vor, wobei die Hauptstadt zu einem weiterhin islamistisch dominierten Nordsudan gehören sollte.

Diese Schichten prekär lebender SüdsudanesInnen in und um Khartoum wurden nun seit der Bekanntgabe des Todes John Garangs zu Hauptträgern einer spontanen Rebellion. Während in der sonst an Verschwörungstheorien wahrlich nicht armen arabischen Welt niemand an der Unfallversion zweifelte, verdächtigten insbesondere die südsudanesischen Jugendlichen der Dreistadt das Regime – oder gar »die Araber« –, schuld am Tod ihrer Symbolfigur zu sein.

So kam es während der gesamten vergangenen Woche in der Hauptstadt zu Protesten, Plünderungen und Straßenschlachten zwischen Jugendlichen und der Polizei. Schwerpunkt der Kämpfe, bei denen mindestens 130 Menschen starben, war der Norden, doch auch in einigen südsudanesischen Städten wie Juba und Malakal kam es zu Ausschreitungen. Was die aktuellen Konflikte von den Protesten vergangener Jahre unterscheidet, ist ihr ethnischer Charakter. In Khartoum kam es ebenso zu Auseinandersetzungen entlang »ethnischer« und religiöser Linien wie in einigen südsudanesischen Städten. Aus einigen Gegenden des Südsudan werden sogar Fluchtbewegungen von islamischen oder arabischen BewohnerInnen gemeldet.

Aber nicht nur die SüdsudanesInnen reagierten nervös. Auch die Sicherheitskräfte der Regierung schlugen mit einer für die Hauptstadt ungewöhnlichen Härte zu. Insgesamt wurden in der vergangenen Woche über 1 500 Personen im Zusammenhang mit den Unruhen verhaftet. Bis Donnerstag wurden nach offiziellen Angaben bereits über 500 Personen in Schnellverfahren zu Haftstrafen oder zu öffentlichen Auspeitschungen verurteilt.

Ob sich die Situation wieder beruhigen wird, hängt nicht zuletzt davon ab, ob die SPLA nach dem Verlust ihres seit ihrer Gründung autoritär herrschenden Vorsitzenden ihre Einheit bewahren und der eigenen Basis den von Garangs Nachfolgern ausgegebenen Aufruf, Ruhe zu bewahren, schmackhaft machen kann. In der SPLA kam es in der Vergangenheit immer wieder zu Spaltungen und Richtungskämpfen. Rivalisierende Guerillaführer stellten die autokratische Führung Garangs in Frage, gestritten wurde aber auch über die Repräsentanz ethnischer und regionaler Gruppen. Sollte die SPLA zerfallen, könnte im schlimmsten Falle auch der Krieg im Süden des Landes erneut beginnen.

Die sudanesische Regierung reagierte auf den Tod Garangs mit einer raschen Besetzung des frei gewordenen Amtes. Sein designierter Nachfolger Salva Kiir soll bereits in dieser Woche vereidigt werden. Er zählte als Stabschef der SPLA zu den engsten Vertrauten Garangs und ist wie dieser Angehöriger der Dinka, der größten Bevölkerungsgruppe des Südsudan. Im Gegensatz zu Garang hat er sich immer wieder für eine vollständige Trennung des Südsudan von Khartoum ausgesprochen. Der Nachfolger Garangs könnte stärker als sein Vorgänger für eine separatistische Lösung statt einer Umgestaltung des Gesamtsudan eintreten.

Innerhalb des Südsudan könnte Kiir jedoch eine integrative Rolle spielen. Sein Führungsstil gilt als weniger autoritär als der seines Vorgängers. Die Beilegung der Auseinandersetzungen zwischen den Dinka und den Nuer Ende der neunziger Jahre gilt teilweise als sein Verdienst. Auch sonst gilt Kiir eher als Vermittler zwischen zerstrittenen tribalen Gruppierungen denn als Dinka-Nationalist. Seine rasche Ernennung zum Nachfolger Garangs durch die Führung der SPLA deutet auf eine größere Geschlossenheit hin, als viele Beobachter erwartet haben.

So wurde denn die Beisetzung Garangs am Samstag auch zu einer Demonstration der Einheit. Nicht nur tausende Anhänger Garangs sowie die Kader der SPLA wohnten der Begräbniszeremonie in der Kathedrale der südsudanesischen Hauptstadt Juba bei, sondern auch der langjährige Kriegsgegner, der sudanesische Präsident Umar al-Bashir, der in einer symbolischen Geste die Hand Salva Kiirs ergriff und die Fortsetzung des Friedensprozesses versprach.

In anderen Teilen des Landes dagegen, in Darfur, Kordofan und im Ostsudan, wird weiter gekämpft. In Darfur, wo seit dem Beginn der Kämpfe rund 100 000 Menschen ums Leben kamen und zwei Millionen aus ihren Dörfer vertrieben wurden, brachten mehrere Verhandlungsrunden keine Fortschritte. Im Osten des Landes wehren sich marginalisierte Gruppen der lokalen Beja-Bevölkerung sowie arabische Nomaden bewaffnet gegen die Zentralregierung. Selbst wenn der Friedensvertrag zwischen SPLA und Zentralregierung halten sollte, ist es noch ein weiter Weg zum Frieden.