Ein Steuermann für die Zeitreise

Als Super-Modernisierer gestartet, als Super-Konservativer gelandet. Im »Kompetenzteam« steht Paul Kirchhof für die alten Werte. von jan langehein

Die Mutter macht in ihrer Familie Karriere, die nicht Macht, sondern Freundschaft verheißt, nicht Geld, sondern Glück bringt.« Mag sein, dass ein Teil der konservativen Eliten immer noch ein derartiges Verständnis von der Rolle der Frau im Kopf hat; im frühen 21. Jahrhundert haben die meisten jedoch gelernt, solche Vorstellungen besser für sich zu behalten. Zu weit ist die gesellschaftliche Realität mit ihren Patchworkfamilien und Singlehaushalten mittlerweile von diesen bürgerlich-patriarchalen Wunschträumen entfernt. Mit solchen Äußerungen wirkt man weltfremd und anachronistisch.

Derjenige, der sie kürzlich trotzdem ausgesprochen hat, ist beileibe kein Unbekannter: Der ehemalige Verfassungsrichter und Steuerrechtsexperte Paul Kirchhof, der in Angela Merkels »Kompetenzteam« für Finanzen zuständig ist, will sein politisches Programm offenbar keineswegs auf Vorschläge zu einer Reform der Einkommenssteuer beschränken. Auch die Rettung der auf der Familie aufbauenden »Gemeinschaft« bzw. des »Gemeinwesens« – von Gesellschaft spricht Kirchhof ungern – ist ihm eine echte Herzensangelegenheit.

Seine Karriere ist die eines westdeutschen Musterjuristen. Geboren 1943 in Osnabrück, aufgewachsen im streng katholischen Milieu der ostniedersächsischen Provinz, studierte er Rechtswissenschaften in Freiburg und München. Bereits 1968, mit 25 Jahren, promovierte er und schob 1974 seine Habilitation nach. Er wurde Direktor des Instituts für Steuerrecht an der Universität Münster. 1987 folgte schließlich seine Berufung ans Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe, ein Amt, in dem er bis 1999 tätig war. Seitdem arbeitet er wieder als Professor und veröffentlicht nebenbei Bücher zu steuer- und familienpolitischen Themen. Er ist verheiratet und hat vier Kinder.

Seine Berufung ins »Kompetenzteam« von Merkel hat Kirchhof wohl der Wahlkampflogik zu verdanken, dass nur der in der Öffentlichkeit erfolgreich ist, der das Spektakel bedienen kann. Seinem Vorschlag einer »Flat Tax«, eines einheitlichen Steuersatzes für alle Einkommen, war die allgemeine Aufmerksamkeit sicher. Otto Normalverbraucher konnte sich über die Aussicht echauffieren, demnächst genauso viel Steuern zahlen zu dürfen wie der Chef, und der Chef sollte die Möglichkeit verlieren, das Essen mit Freunden von der Steuer absetzen zu können. Obwohl solche Pläne zur Steuervereinfachung bereits einmal durch die »Bierdeckelreform« von Friedrich Merz blamiert wurden, hat Merkel mit Kirchhof ein weiteres Mal versucht, steuerpolitisch Aufsehen zu erregen, und zwar mit Erfolg. Viele Politiker, die Länderfinanzminister der CDU eingeschlossen, kritisieren zwar das Konzept, attestieren ihm gleichzeitig aber »Radikalität«. Und so ist es dann sogar ein Vorteil, dass Kirchhofs Vorschläge denen der Union teilweise widersprechen: Nicht ihr sachlicher Gehalt ist für Merkel das Entscheidende, sondern die Rhetorik der Tabula rasa. Und diejenigen, die sich allzu sehr aufregen, kann die Kanzlerkandidatin auf ihr Wahlprogramm verweisen und feststellen, dass sie das so ja gar nicht verwirklichen wolle. Kirchhof selbst glaubt dagegen fest an sein Konzept. Vier Jahre habe er daran gerechnet. Sein Zweck sei im Übrigen lediglich die Vereinfachung des Steuerrechts. Die Reform würde weder zu mehr Geld in den Staatskassen führen noch den Durchschnittsbürger besonders be- oder entlasten. Klaus Zimmermann, der Präsident des Forschungsinstitutes DIW, hingegen sieht »enorme Ausfälle von über 26 Milliarden Euro« auf den Staatshaushalt zukommen, sollte Kirchhofs Modell verwirklicht werden.

Wenn für Kirchhof die Beschäftigung mit den Steuern die Pflicht ist, dann ist die Familienpolitik die Kür. Es gibt kaum ein Thema in diesem Bereich, zu dem er sich nicht geäußert hat. Die so genannte Homoehe sei eine »Pervertierung des Verfassungsauftrags«, die Ehe zu schützen, stellte er fest. Die Familie hat ihm zufolge aus einem Mann, einer Frau und möglichst vielen Kindern zu bestehen, weshalb auch die Vorstellung von der Frau als Kinder erziehendem Heimchen am Herd mit dem Wunsch zur Rückverwandlung des Herren der Schöpfung in den großbürgerlichen pater familias korrespondiert. Papas Lebenszweck erfülle sich dann, »wenn er die ökonomischen Grundlagen der Familie beschafft und die Kinder in ihrer Zugehörigkeit zu Familie, Staat, Marktwirtschaft und Ordnung, Kultur und Kirche erzieht«. Die Frau finde ihr Glück in der Reproduktion, in der Versorgung ihrer Lieben.

So wird die Familie die Keimzelle eines intakten Gemeinwesens und kann ihrer Hauptaufgabe, der Produktion von Nachwuchs für eine funktionierende Gemeinschaft, gerecht werden. Denn, so sagt Kirchhof, das Land brauche »nicht mehr Autos, sondern mehr Kinder«. Kinder aber gebe es immer weniger, weil zu viele Frauen aus egoistischen Gründen lieber Karriere machten, statt sich um eine Familie zu sorgen.

Um die Kinderreichen zu fördern und sie gegenüber den Kinderlosen zu privilegieren, solle Eltern bei Wahlen ein Zusatzstimmrecht für jedes minderjährige Kind eingeräumt werden. Sie würden mehr für die Gemeinschaft leisten, deshalb gebühre ihnen auch ein größeres Mitspracherecht. Der Kern dieser konservativen Ideologie ist der antimoderne und letztlich anti-bürgerliche Reflex des Bürgers, der im Fortschritt immer zuerst die Bedrohung für das althergebrachte Wahre, Schöne, Gute sieht.

Ob Kirchhof nach der Wahl tatsächlich ins Kabinett einer Regierung Merkel einziehen wird, ist allerdings noch längst nicht ausgemacht, auch wenn Edmund Stoiber inzwischen erklärt hat, zugunsten Kirchhofs auf das Amt des Finanz- und Wirtschaftsministers verzichten zu wollen. Aber selbst wenn Kirchhof das Amt übernehmen sollte, dürften seine Ansichten nur eine begrenzte Rolle spielen. Die künftige Bundeskanzlerin wird keine Steuerreform zulassen, die die eigene Klientel zu sehr verschreckt. Schon deshalb werden die Pläne für eine »Flat Tax« vermutlich ein unbestimmtes Leitbild für die ferne Zukunft bleiben, das in der vorgeschlagenen Form nie verwirklicht wird.

Mit Familienpolitik wird sich der Steuerexperte auch nicht befassen dürfen. Obwohl die Union seine Vorstellung von der Familie als Keimzelle der Gesellschaft teilt, fällt ihr Wahlprogramm nicht ganz so altbacken aus. Ein wichtiger Punkt darin ist immerhin die Forderung nach der Vereinbarkeit von Kindern und Berufstätigkeit. Konservative Familienpolitik durchzusetzen, wird eher die Aufgabe der derzeitigen niedersächsischen Sozialministerin Ursula von der Leyen (CDU) sein, die zwar berufstätig ist, ansonsten aber ganz Kirchhofs Ideal einer Mutter im Dienste der Nation entspricht: Sie selbst leitet ihre familienpolitische Kompetenz aus der Tatsache ab, dass sie sieben Kinder in die Welt gesetzt hat.