Das Flüstern der Börse

Der Wirtschaftskanal Bloomberg TV kommt fast ohne bewegte Bilder, Effekte und Farben aus. Wer Beruhigung benötigt, sollte unbedingt reinzappen. von martin schwarz

Als Fernsehjunkie mit dem Anspruch, möglichst viele Nachrichtensplitter auf möglichst vielen Sendern in möglichst kurzer Zeit zu sehen, hat man ja eine gewisse Erwartung an die Ausstattung von Fernsehstudios, und die Sender wissen das. Selbst die »Tagesthemen«, das Testbild der televisionären Nachrichtenkundmachung, haben mittlerweile damit begonnen, ihren Moderatoren so etwas wie Dynamik zu verordnen. Bis auf Bedarfsphilosoph Ulrich Wickert müssen alle Moderatoren stehen – ein Abschied von der Gemütlichkeit früherer Konzepte. Und wenn Wickert im August nächsten Jahres seinen Stuhl bei den »Tagesthemen« räumt, wird sein Nachfolger, der USA-Korrespondent Tom Buhrow, auch nur seinen Job, nicht aber seinen Stuhl übernehmen. Dem 46jährigen Buhrow wird man wohl zumuten können, stehend zu moderieren.

Natürlich haben Privatsender bei der Inszenierung ihrer Newshäppchen den öffentlich-rechtlichen Informationsanstalten noch immer einiges voraus – wie etwa ProSieben mit seiner Newstime um 20 Uhr. In einer atemraubenden Kamerafahrt wird der Zuschauer zu Beginn der Nachrichten in den 299. Stock des ProSieben-»Newscenters« in Berlin gejagt, schließlich sitzen die Moderatoren auf einer offensichtlich frei schwebenden Plattform an einem unglaublich futuristisch aussehenden Schreibtisch, um ihre »Hund biss Mann«-Geschichten vom Teleprompter abzulesen. Ein Spezialeffekt ist die Kamerafahrt zwar, aber einer, der wirkt. Selbst n-tv, der Nachrichtensimulationssender mit der Informationsdichte eines Kleinanzeigenmarktes, hat optisch ordentlich aufgeholt.

Von all diesen zeitgeistigen Tendenzen völlig unberührt aber bleibt seit Jahren der Wirtschaftssender Bloomberg TV, der über Satellit zu empfangen ist, aber genauso gut als Daumenkino in alle Haushalte geliefert werden könnte. Das Großartige an dem Sender nämlich ist: Er kommt beinahe gänzlich ohne Bewegung auf dem Bildschirm aus. Was daran liegen könnte, dass Bloomberg TV in seiner inhaltlichen Beschaffenheit ungefähr wie die WDR-Talksendung »Domian« strukturiert ist: Ein Mensch, manchmal auch mehrere, sitzen in dem ewig gleichen Studio und reden. Und reden. Und reden. Dabei ist der »Redefenster« genannte Ausschnitt des Bildschirms nur ein Teil des gesamten Informationsangebotes von Bloomberg TV. Rechts neben dem »Redefenster« eröffnet sich dem Zuschauer ein Universum aller Börsenindizes, die es zwischen Pjöngjang und Havanna geben mag, darunter läuft unablässig der Kursticker der wichtigsten Börsentitel und darunter wiederum ein Laufband mit Nachrichten aus der Wirtschaftswelt. So ähnlich muss es wohl auch im Cockpit eines Airbus 380 aussehen oder auf dem Formular für den Antrag auf Arbeitslosengeld II. Die Informationsdichte der Laufbänder jedenfalls ist derart gewaltig, dass selbst die kalendarischen Spezialitäten des Fernen Ostens mitgeteilt werden können: »Freitag: Feiertag in Japan – Börse geschlossen«, werden etwa Aktienjunkies schon jetzt gewarnt, um nicht am kommenden Freitag enttäuscht zu werden.

Die Laufbänder und Kursanzeigen sind eigentlich das einzige, was sich bei Bloomberg TV bewegt. Im »Redefenster« dagegen herrschen Lähmung und Stillstand. Meist sprechen drei Menschen – zwei Gäste und ein Moderator – über Börsentrends, Kursfeuerwerke, Baisse und Hausse. Bewegen dürfen sie sich schon alleine deshalb nicht, weil sie sonst Gefahr laufen, aus dem äußerst eng begrenzten Bildausschnitt zu fallen oder vielleicht vom Kurslaufband unten zermalmt zu werden.

Auch die Studios sind alles andere als großzügig ausgestattet: Im Hintergrund ist eine Milchglasscheibe zu sehen, in der aus unerfindlichen Gründen das Wort »Frankfurt« eingelassen ist. Das Studio wirkt wie die Business Lounge eines Flughafens oder das Erste-Klasse-Abteil eines ICE – und wahrscheinlich kommt das der Wahrheit auch ziemlich nahe. Auch die Farbgestaltung verwirrt die Sinne des am Wirtschaftsgeschehen interessierten Zuschauers nicht allzu sehr. Die grauen Anzüge der Studiobelegschaft korrespondieren wunderbar mit der grauen Einrichtung des Studios.

Als nicht börsenaffiner Girokontoinhaber hat man natürlich keine Chance, auch nur einen Bruchteil der diskutierten Themen zu verstehen: »Am Sonntag besteht ein Wahlrisiko von 150 Punkten, wobei das Downsize-Potenzial wesentlich höher ist«, meint etwa Norbert Kretlow, Analyst bei Independent Research, im »Börsengeflüster« über die Auswirkungen der möglichen Koalitionen nach der Bundestagswahl auf den Dax.

Dafür aber zeichnen sich einige Moderatoren wie etwa »Börsengeflüster«-Talkmaster Wilhelm Kötting durch erstaunliche Flexibilität bei der Umwandlung alten deutschen Sprichwortgutes in die Börsensprache aus: »Es gibt ja das alte Sprichwort: Politische Börsen haben kurze Beine«, meinte er im Hinblick auf die Spekulationen der Börsianer über die Auswirkungen der Bundestagswahl auf die Aktienentwicklung. Seine Gäste müssen da manchmal mit einsteigen: »Regierungswechsel-Jahre sind gute Dax-Jahre«, kalauert etwa Helmut Kaiser von der Deutschen Bank.

Das Problem des Sendeschemas von Bloomberg TV dürfte sein, dass sich für den gewöhnlichen Zuschauer der Unterschied zwischen Sendungen wie »Börsengeflüster« und »Börsentalk« nicht richtig erschließt und dass das Programm jegliche Abwechslung vermeidet. Beide Formate werden im selben Studio produziert, und es wird über die gleichen Dinge geredet, die Unterschiede sind minimal. Natürlich: Man kann sich immerhin an »Börsengeflüster«-Moderator Wilhelm Kötting orientieren, der mit seinem leicht verschlissenen Auftreten und seiner Viva-Jugendsprache zuweilen Farbe ins Graufernsehen bringt. »Das ist ja alles supergenial mit den Autos im Premium-Segment«, versuchte er etwa bei einer Diskussion über die Kurse der deutschen Automobilhersteller ein wenig in der Zielgruppe der 16- bis 18jährigen Azubis mit vier Jamba-Abos zu fischen.

Hochachtung verdient hat auch Michael Wudonig, der Frontberichterstatter von der Frankfurter Börse. Dafür, dass er eigentlich ständig nur Dax-Punkte und Aufschläge bei diversen Werten mitzuteilen hat, verfügt er über ein beglückend großes Reservoir an Wortkreationen und spricht auch schon mal über »geringe Risikovorsorge für notleidende Kredite«. Zugute kommt ihm wohl auch, dass er mimisch und sprachlich ein wenig an Jochen Brendel erinnert, den »Big Brother«-Kommentator beim Unterschichten-Nischenprogramm Tele5, und man sich lebhaft vorstellen kann, dass er in seiner Freizeit verwegene Dinge macht, wie mit dem Fahrrad durch die Fußgängerzone zu fahren.

Das Konzept von Bloomberg TV aber scheint auf jeden Fall aufzugehen: Während sich die Redakteure bei n-tv oder in der Dürrezone des News-Fernsehens, N24, vergeblich abmühen, ihre Wirtschaftsberichterstattung zu einem Erfolg zu machen, haben die Bloombergs es mit der Konzentration aufs Wesentliche schon geschafft. Der Sender ist der größte Business-Spartenkanal Europas.

Auch Wudonig oder Kötting haben noch die Chance, mal ganz groß rauszukommen. Bevor Laetitia Ortiz den spanischen Kronprinzen Felipe ehelichte, war sie auch mal bei Bloomberg TV beschäftigt.