Ein unanständig anständiger Mann

Der Judenretter als Säufer, Womanizer und Spion: Eine neue Biografie versucht zu erklären, weshalb Oskar Schindler trotzdem ein Held war. von tjark kunstreich

Noch einmal Oskar Schindler?« fragte ich mich, als ich Ende November in der New York Times die Besprechung einer soeben in den USA erschienenen Biografie las. Was treibt einen anerkannten amerikanischen Osteuropa-Historiker dazu, sieben Jahre zu recherchieren, um »die wahre Geschichte« über einen Mann zu erzählen, die in ihren Grundzügen doch wirklich alle kennen? Selbstverständlich gibt es auch »neue Erkenntnisse«. Aber rechtfertigen sie einen solchen Aufwand? David M. Crowes wichtigste Neuigkeit ist die, dass es die eine berühmte Liste mit den Namen der zu rettenden Juden gar nicht gab. Der Historiker kommt auf insgesamt 13 Listen, mit deren Erstellung Schindler nichts zu tun hatte, weil er zu der Zeit ihrer Entstehung in Gestapohaft gesessen hat. Zuvor hatte er versucht, den KZ-Kommandanten Amon Göth zu bestechen, um die Deportation von Juden nach Auschwitz zu verhindern. Aufsehen hat das Buch in den USA aber nicht wegen dieser Ergebnisse erregt, sondern weil Crowe sehr ausführlich auf Schindlers Vorkriegsbiografie und Privatleben eingeht.

Dass der Mann, dem die größte deutsche Rettungsaktion von Juden während des Nationalsozialismus gelang, privat so gar kein Held war, stößt gerade in den USA, wo die Political Correctness auf einen untadeligen Lebenswandel großen Wert legt, auf Verwunderung. Crowe gab im Tagesspiegel zu Protokoll, dass er den Lifestyle Schindlers, seine Frauengeschichten und seinen Alkoholkonsum, für unmoralisch hält; dem Buch ist diese Ablehnung ebenfalls anzumerken. Zumindest im amerikanischen Original ist der Widerwille, wenn nicht gar Ekel des Autors gegen den Mann zu spüren, der dem Historiker in keiner Weise prädestiniert erscheint, die Juden, die für ihn in seiner Fabrik in Brünnlitz arbeiteten, vor der Vernichtung zu retten, indem er sie zu unabkömmlichen Arbeitern mit kriegswichtigen Aufgaben erklärte. Es sind allerdings nicht nur moralische Anwürfe gegen Schindler, die Crowe erhebt, sondern auch politische. Die typische Karriere eines sudetendeutschen Nazis, der in der Henlein-Partei aktiv war, der schon vor der Besetzung der Tschechoslowakei für die deutsche Abwehr arbeitete und der die polnischen Uniformen für den fingierten Angriff auf den Sender Gleiwitz am 31. August 1939 besorgte, wie Crowe sie nachzeichnet, wirkt alles andere als sympathisch.

In der Schilderung wird aber zugleich eine Ambivalenz sichtbar, die das anhaltende Interesse für Schindler in den USA erklären könnte. Seit Steven Spielbergs Film gilt er dort als der deutsche Anti-Nazi-Held schlechthin. Er ist in bester amerikanischer Tradition ein Einzelkämpfer, der keine Ideologie kennt, der lediglich Profit machen will (das ist ja in den USA nichts Verwerfliches, im Gegenteil), dafür manche Grenze überschreitet, aber schließlich eine moralische Läuterung erfährt. Das deutsch besetzte Polen erscheint in »Schindlers Liste« wie der wilde Westen, es herrscht ein Zustand der Gesetzlosigkeit, in dem es auf den Einzelnen ankommt, und Schindler ist der bad guy, der zum good guy wird, eine Geschichte, die Amerika liebt; es ist das Versprechen, dass es immer einen Neuanfang geben kann, wenn du es willst.

Die kuriose Mischung aus historischer Forschung und Political Correctness ergibt ein beinahe rührend konservatives Buch, das letztlich zu keinem anderen Urteil als die überlebenden »Schinderjuden« gelangt: »Ein ziemlich anständiger Mann«. In den Jahren nach 1993 wurden immer neue Details aus dem Leben Schindlers bekannt, was dazu führte, dass seine Person in den USA immer wieder in Frage gestellt wurde. Während sich in den USA mit Crowes Buch in gewisser Weise ein Zirkel schließt, war »Schindlers Liste« in Deutschland 1994 nur eine erste Etappe auf dem Weg der Wiedergutwerdung. Spielbergs Film ermöglichte, was viele von der Fernsehserie »Holocaust« erwartet oder gefürchtet hatten – Entlastung in der Identifikation mit dem Judenretter.

Heute ist man bei der Identifikation mit sich selbst und der eigenen Geschichte angekommen, Spielbergs Film hat sich dabei als Katalysator erwiesen. Das wird mit Crowes Buch, nicht nur, weil es 850 Seiten hat und über weite Strecken gute, aber dennoch wissenschaftliche Prosa ist, in keiner Weise geschehen. Vor allem aber wird aufgrund der teilweise merkwürdig anmutenden Moralexkurse und der auf der Einschätzung der Überlebenden basierenden Bewertungen deutlich, dass sich dieses Buch zuallerletzt an die Deutschen wendet; letztlich will Crowe erklären, weshalb sich die Überlebenden, trotz dessen Eskapaden, die sie finanzieren halfen, nie von Schindler distanzierten.

»Wie Schindler es mit den Frauen und dem Alkohol hielt und ob ihn das nun sympathisch oder unsympathisch macht, hat mit der Geschichte, die politisch interessiert, so gut wie nichts zu tun. Schon gar nicht stimmt die anfangs formulierte Alternative, ob Schindler ein Retter war oder ein Frauenverführer und Alkoholiker«, formulierte Thomas Rothschild im Freitag beispielhaft die deutsche Haltung. Ganz abgesehen davon, dass die saubere Trennung von Recherche und Moralurteil sympathischer ist als die implizite Urteile fällende deutsche Objektivität – Crowe interessiert, was die Geretteten an ihrem Retter fanden, er geht der eigenen, zwiespältigen Faszination nach und kommt so, unwillentlich, einer Antwort auf die Frage, was für ein Typ Oskar Schindler war, näher als die »Geschichte, die politisch interessiert«.

Jemand, der dem Luxus und dem Laster zugeneigt ist, ist nicht automatisch ein genussfähiger Mensch, siehe Hermann Göring; zu manchem anarchistischen Traum gesellt sich totalitäre Sehnsucht. Crowes Bild von Schindler lässt vermuten, dass der Mann in den USA ein Provinzmafiaboss geworden wäre; einer, der schon mal einen umlegen lässt, aber auch für die örtliche Schule spendet; ein wahrer Freund der italienischen Oper und ein Womanizer. Ein »ziemlich anständiger Mann« also, der allerdings in den falschen Film geraten ist, in einen Film, der ihm Entscheidungen abverlangt. Dass dieser unzuverlässige Held diese zu treffen in der Lage war, hat vielleicht mehr mit der amerikanischen Faszination für Schindler zu tun, als es Crowe bewusst gewesen sein mag. Das Streben nach Reichtum, das Schindler anscheinend bestimmte – letztlich, wie so viele andere: glücklos –, war offenbar zugleich der Grund, weshalb es eine Grenze in seinem Profitstreben gab.

Die Vernichtung war seine Sache nicht, sondern die legale und illegale Aneignung von Reichtum und dessen Akkumulation. Crowes Schindler ist ein ganz normaler Kapitalist. Seine realistische Einschätzung über das Ende des Nazireichs hat Schindler nicht zuletzt seinem Geschäfts- und Überlebenssinn zu verdanken. Wobei er sich in der Annahme, dass Vernichtung sich nicht auszahle, geirrt hat. Die Juden zu retten, hat ihn um die Möglichkeit gebracht, wie so viele andere Profiteure der Vernichtung den Lebensabend beschaulich und vor allem frei von materiellen Sorgen zu genießen. Weil es in diesem Sinne keine Moral der Geschichte gibt, bleibt sie letztlich doch eine deutsche