Der Krieg an den Grenzen

Paramilitärische Flüchtlingsabwehr von thomas uwer

Die Aufmerksamkeit, die dem Tod von sechs Flüchtlingen an der Grenze zur spanischen Exklave Melilla in Marokko zuteil wurde, muss auf den ersten Blick verwundern. Beinahe täglich sterben Menschen bei dem Versuch, die Europäische Union zu erreichen. Viele ertrinken, ob in der Ägäis oder der Oder, andere ersticken in Containern. Die meisten sterben den alltäglichen Tod in der Peripherie Europas und werden deshalb nicht wahrgenommen. Entlang der großen Flüchtlingsrouten finden sich kaum Länder, in denen einem Menschenleben besonderer Wert beigemessen wird, am wenigsten dem der Unerwünschten und Fremden ohne Schutzpatron. Der Weg unzähliger Iraker endete daher im Iran, Afghanen blieben in Weißrussland zurück, türkische Kurden in Albanien, und westafrikanische Flüchtlinge endeten im nordafrikanischen Maghreb.

Was die toten Flüchtlinge von Melilla von den anderen Unglücklichen unterscheidet, ist die sichtbare Gewalteinwirkung Europas, die zu ihrem Tod führte. Statt von Fluten verschlungen zu werden, endeten sie im Nato-Draht der Exklave. »Schüsse unbestimmter Herkunft« hätten »sich gelöst«, heißt es im Bericht der spanischen Polizei, was bedeutet: Man will es selbst nicht gewesen sein, kann es aber auch nicht auf die Marokkaner schieben.

Sicher, auch das hat es schon gegeben. Neu allerdings waren die Begleitumstände, unter denen dies geschah. Denn mit dem Flüchtlingsansturm auf Melilla und Ceuta sah sich ein Land der Europäischen Union erstmals, was die Abwehr von Flüchtlingen betrifft, mit der zutreffenden eigenen Grundannahme konfrontiert, dass an den Außengrenzen Europas Krieg herrscht. Seit Jahren rüstet die Union an den Grenzen paramilitärisch auf, setzt Hubschrauber, Nachtsichtgeräte, Bewegungsmelder und bewaffnete Grenztruppen ein, errichtet Schutzwälle und Verteidigungsanlagen. Was sich in den spanischen Exklaven nunmehr ereignete, ist nichts weiter als die logische Antwort darauf: Ein illegaler Grenzübertritt erfolgt am besten unbemerkt, in kleinen Gruppen oder alleine. Eine Verteidigungslinie hingegen stürmt man besser nicht alleine. Man rennt in Massen los und hofft, dass möglichst viele drüben ankommen.

Während sich die spanische Regierung also noch ärgert, dass ausgerechnet in ihren Abschnitt des Zauns Löcher gerissen wurden, haben die Innenminister der Union allen Grund zur Zufriedenheit. So wie man die »Schlepper« erst einmal zum Problem erklärt hatte, um dann den Zugang nach Europa so zu organisieren, dass Menschen ohne professionelle Schleuser nicht mehr reinkommen, so hat sich die längst vollzogene Militarisierung der Flüchtlingsabwehr in Ceuta und Melilla endlich scheinbar als Notwendigkeit erwiesen. Gegen 500 anstürmende Flüchtlinge, das ist die Botschaft, richten elektronische Passlesegeräte und ein deutscher Schäferhund, der Schmuggelware erschnüffelt, wenig aus. Als Konsequenz entsandte Spaniens Ministerpräsident Zapatero, vor kurzem noch gefeiert, weil er die spanischen Truppen aus dem Irak heimholte, erst einmal Soldaten in die Exklaven. Zu den ohnehin bestehenden Schutzzäunen wird eine zusätzliche Sperre aus einem »Drahtlabyrinth« mit Frühwarnsensoren und Videokameras errichtet. Was einzig fehlt, ist der planmäßige Einsatz der Mitrailleuse, jenes speziell für Massenanstürme entwickelten Geräts, das die moderne Armee erst als solche auszeichnet.

Dies widerspräche allerdings auch dem europäischen Konsens in Flüchtlings- und Menschenrechtsfragen: Gestorben wird gefälligst weiterhin woanders.