Angenagt, aber nicht aufgefressen

Die Berliner Zeitung wurde an an einen britischen Investor, eine echte »Heuschrecke«, verkauft. Richtig schlimm ist das nicht. von jörg sundermeier

Die eine Schlacht ist gewonnen. Alfred Neven-DuMont, der den Kölner Zeitungsmarkt beherrscht und dort einzig in Konkurrenz zu Axel Springer steht – und zu ein paar Blättchen Köln-Taz pro Woche –, wird nicht in Berlin landen. Der Kölsche Lokalfürst hat den Zuschlag für den Berliner Verlag, in dem die Tageszeitungen Berliner Kurier und Berliner Zeitung sowie das Stadtmagazin tip erscheinen, nicht erhalten. Sein letztes Angebot, von den deutschen Medien allgemein begrüßt, wurde von Holtzbrinck, dem bisherigen Eigentümer des Verlags, offensichtlich kaum zur Kenntnis genommen.

Die Berliner Zeitung wird also zunächst weiterhin forsch auftreten können, etwa mit der Newspaper-Boys-Kampagne, die derzeit in den Berliner Kinos für Lacher sorgt: In einer Kulisse, die Michael Jacksons »Thriller«-Video entstammen könnte, tanzen und singen schwer beschnauzbartete Ghetto Boys und verteilen Berliner Zeitungen, »Read it« heißt der bescheuerte Disco-Song dazu.

Überhaupt erfreut die Berliner Zeitung seit einigen Jahren durch Witz und Urteilswillen – just seit dem Zeitpunkt, als sie von ihrem bisherigen Eigner, Gruner + Jahr, zu Holtzbrinck wechselte, letztgenannter Konzern jedoch aus kartellrechtlichen Gründen nicht zugleich Tagesspiegel und Berliner Zeitung besitzen durfte. So hing die Berliner Zeitung plötzlich in der Luft, Holtzbrinck klagte sich zusehends unfroher gegen das Kartellamtsurteil durch die Instanzen und hat offensichtlich vor ein paar Wochen die Nerven verloren. Da wiederum der Tagesspiegel, allen Erneuerungsversuchen und Sparmaßnahmen zum Trotz, ein Verlustgeschäft blieb, gilt er als unverkäuflich, einen Verkauf, den Holtzbrinck im Jahr 2003 unternahm, sah das Kartellamt als fingiert an, sodass schließlich der Berliner Verlag dran glauben musste.

Und damit ist die andere Schlacht verloren, die die Medien in den letzten Wochen sehr umtrieb. Denn der Berliner Verlag ging an ein Konsortium aus dem amerikanischen Unternehmen Veronis, Suhler, Stevenson und der britischen Mecom, die Investmentgruppe 3i, die zunächst mitverhandelte, stieg kurz vor dem Zustandekommen des Geschäfts aus. Nicht nur der Betriebsrat des Verlages (Jungle World, 43/05) trat vor die Öffentlichkeit und versuchte bis zum letzten Augenblick, diesen Kaufabschluss zu verhindern, auch der Kurier und der Berliner Zeitung appellierten auf ihren eigenen Seiten an alle Beteiligten und führten einen weithin gelobten, auch, da die eigenen Arbeitsplätze ja nun in Gefahr sind, mutigen Abwehrkampf gegen das Konsortium. So wandte sich etwa der Chefredakteur der Berliner Zeitung, Uwe Vorkötter, mit einem Brandbrief, in dem er eindeutig gegen die Übernahme Stellung bezog, direkt an die Leserinnen und Leser, der Kurier hingegen zollte seinem Dasein als muffigem Yellow-Press-Blatt Tribut und titelte ein »No Sir!« gegen die »Heuschrecken«, die nun über den Laden herfielen. Nahezu alle deutschen Zeitungen unterstützten die Redakteurinnen und Redakteure dabei.

Stefan von Holtzbrinck verteidigte daher den Verkauf des Berliner Verlages nicht nur mit allgemeinen Statements zur wirtschaftlichen Lage, sondern sah sich zu der Frage gezwungen, »wieso Angelsachsen, die uns 1945 Lizenzen zum Zeitungmachen gegeben und 1990 durch die Zwei-plus-Vier-Verträge die Pressefreiheit in Ostberlin ermöglicht haben, warum diese Ausländer in Deutschland nicht in einer Stadt willkommen sind, die an Investitionsmangel leidet?« Zum Gerede von Heuschrecken sagte er weiter: »Die H-Debatte hinterlässt darüber hinaus im Ausland einen sehr schalen Geschmack, weil sie an ein Vokabular anknüpft, das Assoziationen zwischen Ungeziefer und Finanztum hervorruft – und mit der Zeit zwischen 1933 und 1945. Auf diesen Comment sollten wir achten.« Hinter diesen ungelenken Worten steckt eine richtige Überlegung – insbesondere in Osteuropa haben deutsche Zeitungsverlage massenhaft gekauft, in einigen Ländern nehmen deutsche Verlage sogar eine marktbeherrschende Stellung ein. Dass andererseits der gelungene Versuch, deutsche Firmen zu kaufen, hierzulande stets nationalistische Angstszenarien aufzubauen hilft, hat ja nicht erst der Verkauf von Mannesmann an Vodafone gezeigt. Kapitalismus gilt in Deutschland ja bekanntlich nur als gut, solange Deutschland gewinnt.

Dass wiederum dieser Deal Deutschland nicht nutzt, ist nicht erwiesen. Dem nationalen Kapital aber wird er in jedem Fall schaden. Denn David Montgomery, ein Zeitungsmann, der Mecon vorsteht und als die Leitfigur des Verkaufs gilt, ist als harter Hund verschrien, da er bei seinen bisherigen Zeitungsübernahmen sehr schnell über Entlassungen nachdachte. Konkurrenz fürchtet er nicht, im Gegenteil, er scheint sie zu lieben.

In diesem Fall jedoch gibt er sich – sicher auch durch die Proteste aus dem Berliner Verlag aufgeschreckt – als vorwiegend sensibler Verlagsmensch, der mithilfe des Berliner Verlags versuchen will, den deutschen Zeitungsmarkt neu aufzurollen, das jedoch nur aus journalistischen Erwägungen. Als Helfershelfer hat er sich Gerd Schulte-Hillen dingen können, dem in seinen Jahren als führender Gruner + Jahr-Manager der Berliner Verlag besonders am Herzen lag und der sich seinerzeit sehr über den Verkauf an Holtzbrinck erregte. Nun also hilft Schulte-Hillen, der die Träume von einer »deutschen Washington Post«, die damals in der Berliner Zeitung geträumt wurden, beflügelte, dem britischen Investor dabei, dessen Träume von einem »deutschen Independent oder Guardian« zu verwirklichen.

Die Strategie scheint aufzugehen. In der deutschen Medienlandschaft hat sich die Erregung jedenfalls weitgehend gelegt, jene, die eben noch den Verkauf verteufelten, versuchen nun sachlich, die Chancen Montgomerys auszurechnen.

Was aber bleibt tatsächlich? Sollte es den neuen Besitzern des Verlages ernst sein mit ihrem Bemühen um eine deutsche »Qualitätszeitung«, so wäre die Berliner Zeitung nicht in der schlechtesten Ausgangsposition, um sich eine überregionale Leserschaft zu sichern. Denn dieweil der Berlin-Teil so dumm wie seine Stadt ist, ist das Feuilleton auf seinen wenigen Seiten beachtenswert, der Politikteil hingegen ist nicht weniger ekelhaft, doch auch nicht ekelhafter als die entsprechenden Seiten in der FAZ oder der SZ. Man sorgt sich um das Land und die »mangelnde Bereitschaft« seiner Bewohner, jene »Einschnitte« hinzunehmen, gegen die man in dem Verlag selbstredend protestiert. Der Auslandsteil wiederum ist nicht besonders gut, namhafte Autorinnen und Autoren können nicht oft gewonnen werden. Um hier mit dem Guardian gleichziehen zu können, müssten Montgomery und jene, die er vertritt, in großem Maße investieren.

Woher jedoch das dafür nötige Geld stammen soll, ist unklar. Zumal Mecom und Veronis, Suhler, Stevenson eher dafür bekannt sind, dass sie – das ist ein normaler Vorgang im Kapitalismus – bei Unternehmen, die sie übernommen haben, in kurzer Zeit höhere Renditen einfahren wollen, um diese Unternehmen dann gewinnbringend verkaufen und allen Investoren ihre Einlage um ansehnliche Summe erhöht zurückzahlen zu können. Um ein Zeitungsimperium aufbauen zu können, braucht es jedoch viel Geld, das dann lange in diesem Imperium fest angelegt bleibt und nicht verfeiert oder andernorts investiert werden kann.

Es steht also zu fürchten, dass, bei allem Gerede um einen »deutschen Guardian«, die Berliner Zeitung nicht nur nicht besser, sondern, da allerorten Geld erwirtschaftet werden soll, doch schlechter wird, als sie jetzt gerade ist. Sie wird, sobald sie niemand mehr beobachtet, langweiliger werden. An die Stelle der Newspaper-Boys wird dann eine »Wir sind schon blöd, doch die anderen sind blöder«-Kampagne treten, wie sie noch jede Zeitung durchgeführt hat. Und sie wird auf diese Weise wahrscheinlich mehr Leserinnen und Leser erreichen können, denn mit Bulette und Lollipop hat man Ickes und Zugezogene immer gut bedient.