Unter Freunden und Nachbarn

Fünf Wochen nach der letzten Bombenexplosion bemüht sich die libanesische Regierung weiter um ein entspanntes Verhältnis zu Syrien. von markus bickel, beirut

Mit roter Farbe hat jemand die Ziffern 1559 auf dem Brückenpfeiler am Ende der Damaskus-Straße durchgestrichen. Downtown Beirut, ein gutes halbes Jahr nach dem von internationalen Medien zur »Zedern-Revolution« erklärten Aufstand gegen fast drei Jahrzehnte syrischer Truppenpräsenz: Von den Demonstranten, die sich noch im Frühling nur ein paar hundert Meter weiter nördlich am Märtyrerplatz versammelten, fehlt jede Spur. Und auch die Verwirklichung der vom Uno-Sicherheitsrat im September 2004 beschlossenen Resolution 1559 genießt offenbar nicht mehr höchste Priorität. Weder auf der Straße noch im Kabinett.

Dabei liest sich der bereits fünf Monate vor der Ermordung des ehemaligen Premierministers Rafik Hariri verabschiedete Forderungskatalog wie eine Vorwegnahme der Ziele der libanesischen Protestbewegung: Abzug aller syrischen Truppen, Übernahme der Kontrolle über sämtliche Teile des Landes durch die libanesische Regierung sowie vollständige Wiederherstellung der staatlichen Souveränität, Einheit und Unabhängigkeit des spätestens seit Beginn des Bürgerkrieges im Jahr 1975 politisch wie militärisch maßgeblich aus Damaskus gesteuerten Landes. Außerdem, und da beginnen die Differenzen zwischen der mittlerweile zu Regierungsehren gelangten Opposition und den Mitgliedern des Sicherheitsrats, müssten die schiitische Hizbollah und die im Libanon präsenten palästinensischen Gruppen vollständig entwaffnet werden.

Der im Sommer neu gewählte libanesische Premierminister Fouad Seniora zählt zur überwältigenden Mehrheit jener außerhalb des Libanon pauschal als »antisyrisch« titulierten Politiker, die die seit dem Frühjahr dramatisch veränderten Beziehungen zu Syrien nicht weiter verschlechtern wollen. Neuer Druck auf Damaskus, darüber herrscht weitgehender Konsens innerhalb der libanesischen Eliten, gefährde die bislang gewahrte Phase relativer Stabilität. Denn trotz des Dutzends Anschläge, die in den Monaten nach dem Mord an Hariri folgten, blieb das fragile Gleichgewicht im komplizierten konfessionellen Proporzsystem des Libanon bestehen. Nicht zuletzt die Einbindung der militanten Hizbollah in die Regierung hat das von den Bombenlegern gewünschte Aufbrechen alter Konflikte verhindert. Zum ersten Mal seit ihrer Gründung in den achtziger Jahren ist die »Partei Gottes« in der Regierung vertreten, vier weitere Posten gingen an die vom schiitischen Parlamentspräsidenten Nabih Berri geführte Amal-Partei.

Erst Ende voriger Woche versicherte Seniora den vor allem von den USA, Großbritannien und Frankreich attackierten Gotteskriegern, dass er am Dialog zwischen den libanesischen Fraktionen festhalten werde. Dieser sei Ausdruck »des Willens und der Bereitschaft, mit der internationalen Gemeinschaft zu kooperieren und die internationalen Resolutionen zu respektieren«.

Auch Saad Hariri, der wie Walid Jumblatt seit Beginn der zweiten Anschlagswelle im Juni im Pariser Exil weilt, ließ nach einem Treffen mit dem französischen Präsidenten Jacques Chirac keinen Zweifel an seiner Loyalität gegenüber der in weiten Kreisen als »nationaler Widerstand« betrachteten Hizbollah und ihrer Schutzmacht in Damaskus aufkommen: »Wir sind Freunde Syriens und Freunde des syrischen Volkes.« Die im Sicherheitsrat am Montag diskutierten Wirtschaftssanktionen gegen das Regime von Präsident Bashar al-Assad lehnt er ab.

Die Furcht vor möglichen weiteren Attentaten auf Führungsfiguren der nach der Ermordung Hariris entstandenen Unabhängigkeitsbewegung mag solche Statements begünstigen. Denn während sich die ersten Anschläge nach Beginn des »Beiruter Frühlings« wahllos gegen Zivilisten richteten, gehen die Attentäter seit dem Sommer gezielter vor. Anfang Juni fiel einer der prominentesten Angehörigen der Bewegung, der Journalist Samir Kassir, einer Autobombe zum Opfer, keine drei Wochen später traf es den früheren Vorsitzenden der Kommunistischen Partei, George Hawai. Die versuchten Attentate auf den Verteidigungsminister Elias Murr Mitte Juli und auf die beliebte Nachrichtensprecherin May Chidiac Ende September scheiterten. Innerhalb von acht Wochen forderten vier weitere Anschläge zwei Tote und 18 Verletzte.

Obwohl seit der letzten Bombenexplosion inzwischen über fünf Wochen vergangen sind, rechnet in Beirut niemand damit, dass sich die Situation in den kommenden Monaten entspannen wird. An strategisch wichtige Kreuzungen der Hauptstadt hat die Armee Panzer gestellt, nach der Erschießung eines Vertragsarbeiters der Streitkräfte im an der syrischen Grenze gelegenen Bekaa-Tal umzingelten libanesische Truppen vorige Woche die Stützpunkte mehrerer bewaffneter palästinensischer Gruppen. Die Massendemonstration der Hizbollah am »al-Quds-Tag« sowie die ablehnenden Reaktionen von Syriens Präsident al-Assad auf den Larsen- und den Mehlis-Bericht sind ebenfalls nicht dazu angetan, Hoffnungen auf ruhigere Zeiten zu wecken.

Wenige Tage vor Beginn des Aid-Festes am Ende des Fastenmonats Ramadan richtet sich der Fokus im Nahen Osten deshalb wieder auf Damaskus. Während der US-Botschafter bei den Vereinten Nationen in New York, John Bolton, versuchte, vor dem Treffen der Außenminister der Sicherheitsratsmitglieder am Montag eine Mehrheit für Sanktionen gegen Syrien zu organisieren, bemühten sich mehrere muslimische Staatsführer um Auswege aus der Krise. So forderte der pakistanische Präsident Pervez Musharraf Assad am Samstag dazu auf, einen »versöhnlichen, und keinen konfrontativen Ansatz zu verfolgen«. Auch die USA müssten sich der negativen Folgen »neuer Fronten« in der Region bewusst sein. Ein Kurzbesuch des ägyptischen Präsidenten Hosni Mubarak in Damaskus diente ebenfalls der Suche nach Kompromissen. Schließlich steuerte auch Assad selbst am Wochenende seinen Beitrag zur Entspannung bei: Eine eigene syrische Untersuchungskommission soll nunmehr die Verantwortlichen für den Mord an Hariri finden.