Über den Jordan

Zu den Anschlägen in Amman bekannte sich al-Qaida im Irak. Die Terrororganisation droht mit einer Intervention in den israelisch-palästinensischen Konflikt. von jörn schulz

Feigling«, »Abschaum« und »Verräter« waren die Bezeichnungen, mit denen Abu Musab al-Zarqawi bei den Demonstrationen in Jordanien am häufigsten bedacht wurde. Nachdem bei Bombenanschlägen auf drei Hotels in Amman am Mittwoch der vergangenen Woche 57 Menschen getötet wurden, protestierten Tausende in der Hauptstadt und anderen Orten des Landes gegen den islamistischen Terror. Zu den Demonstrationen riefen neben König Abdullah II. auch zahlreiche muslimische Geistliche und sogar die fundamentalistische Islamische Aktionsfront auf.

Zarqawi ist Jordanier, die von ihm geführte al-Qaida im Irak bekannte sich gleich dreimal zu den Attentaten. König Abdullah II. war 2003 ein Gegner des Irak-Kriegs, unterstützte danach aber die US-Politik und stellte jordanisches Territorium für die Ausbildung irakischer Truppen zur Verfügung. Jordanien gilt als einer der engsten Verbündeten der USA in der Region und ist neben Ägypten der einzige arabische Staat, der einen Friedensvertrag mit Israel geschlossen hat.

Die Erklärung von al-Qaida im Irak bezeichnet Jordanien als »Schutzwall für die Juden« und kündigt auch Anschläge in Israel an. Die Hotels seien Stützpunkte für westliche Geheimdienstler und »schmutzige Unterhaltungszentren für Verräter und Apostaten der islamischen Gemeinschaft« gewesen. Offenbar um keine Zweifel an der Authentizität der Bekennerschreiben aufkommen zu lassen, wurden sogar Angaben über die Attentäter und die Vorbereitungen der Anschläge gemacht. Drei Männer und eine Frau aus dem Irak hätten die Hotels einen Monat lang beobachtet und dann Sprengstoffgürtel benutzt, »um eine größere Treffsicherheit zu erreichen«.

Die bisherigen Ermittungsergebnisse haben die wichtigsten Angaben bestätigt. Nach Angaben der jordanischen Behörden wurden drei irakische Attentäter identifiziert. Die Irakerin habe jedoch überlebt, da ihr Sprengstoffgürtel nicht zündete, und sei verhaftet worden. Vizepremierminister Marwan al-Muasher bestätigte die Aussage von al-Qaida im Irak, dass die Frau mit einem der Attentäter verheiratet war. Allerdings seien die Terroristen erst vier Tage vor den Anschlägen nach Jordanien eingereist.

Sollte das der Fall gewesen sein, müssen Komplizen vor Ort die Attentate vorbereitet haben. Insgesamt leben mehr als 400 000, nach anderen Schätzungen sogar bis zu eine Million Irakis in Jordanien. Viele von ihnen sind Anhänger des alten Regimes. Jordanien war in den neunziger Jahren das wichtigste Zentrum des Handels und Schmuggels mit dem Irak. Zarqawi dürfte jedoch auch Sympathisanten unter Jordaniern haben. Noch im vergangenen Jahr stimmten 68 Prozent der vom Center for Strategic Studies der Jordan University Befragten der Aussage zu, al-Qaida im Irak sei »eine legitime Widerstandsorganisation«.

Nach den Anschlägen in Amman könnte sich diese Haltung ändern. Empörung erregte vor allem die hohe Zahl muslimischer Opfer. Dem Attentäter im Hotel Radisson kann es nicht entgangen sein, dass er sich inmitten einer Hochzeitsgesellschaft in die Luft sprengte. Im Ballsaal hatten sich mehr als 200 Angehörige zweier Großfamilien versammelt. Am Donnerstag der vergangenen Woche fand für 17 der Ermordeten aus der jordanisch-palästinensischen Familie des Bräutigams Ashraf al-Akhras eine Trauerfeier in Silet al-Thaher in der Westbank statt. Insgesamt waren 27 der Todesopfer Palästinenser, die meisten von ihnen mit jordanischer Staatsbürgerschaft.

Bei den Anschlägen starben jedoch auch hochrangige Mitarbeiter der palästinensischen Autonomiebehörde (PA), unter ihnen Bashir Nafeh, der Chef des Militärgeheimdienstes in der Westbank. Nach Angaben der israelischen Regierung war Nafeh noch Ende der neunziger Jahre selbst an der Organisierung terroristischer Aktivitäten beteiligt. In jüngerer Zeit galt er jedoch als Verbündeter des palästinensischen Präsidenten Mahmoud Abbas. Im November vergangenen Jahres bekannte er sich gegenüber der israelischen Tageszeitung Ha’aretz zur geheimdienstlichen Zusammenarbeit mit Israel: »Wir koordinieren uns täglich mit den israelischen Sicherheitskräften, insbesondere mit dem Shin Beth.«

Seit dem israelischen Rückzug aus dem Gazastreifen wird die PA dort von ägyptischen »Sicherheitsexperten«, Offizieren und Geheimdienstlern, unterstützt. Faktisch hat Ägypten damit die Rolle einer Schutzmacht für die PA übernommen. Diese Regelung wurde mit der israelischen Regierung ausgehandelt, und es ist wahrscheinlich, dass im Falle eines Rückzugs aus der Westbank ein ähnliches Arrangement angestrebt wird. Die Schutzmacht wäre dann Jordanien, und möglicherweise hat Nafeh, der in Amman sicher keinen Urlaub gemacht hat, in dieser Angelegenheit bereits mit seinen jordanischen Kollegen verhandelt.

Vermutlich war Nafeh nur zur falschen Zeit am falschen Ort, es wäre logistisch schwierig gewesen, drei Anschläge zeitlich zu koordinieren und mit dem gezielten Attentat auf eine Person zu kombinieren. Sein politisches Profil passt jedoch recht genau zum Feindbild der »Verräter und Apostaten«, die mit »Juden und Kreuzfahrern« zusammenarbeiten.

Aus der Sicht islamistischer Extremisten liegt es nahe, zwei Zentren ihres Terrors, den Irak und die palästinensischen Gebiete, zu einer Front zu vereinen und den zwischen ihnen liegenden »Schutzwall« Jordanien zu unterminieren. Obwohl in den vergangenen Jahren immer wieder die Befürchtung aufkam, dass al-Qaida Israel angreifen werde, herrschte bislang allerdings eine terroristische Arbeitsteilung. Anschläge in Israel blieben palästinensischen Organisationen überlassen, die ihrerseits auf Operationen in anderen Ländern verzichteten.

Nach dem israelischen Rückzug aus Gaza sind die Aussichten auf eine Fortsetzung des Friedensprozesses wieder besser geworden. Zudem hat al-Qaida möglicherweise das Vertrauen in die Standhaftigkeit palästinensischer Terrororganisationen verloren. Der Verweis auf den »Völkermord in Palästina« ist in Botschaften Ayman al-Zawahiris, des Strategen der al-Qaida-Führung, in letzter Zeit stärker betont worden. Dass die Hamas in der vergangenen Woche Verhandlungen mit Israel für denkbar erklärte, mag eine taktische Maßnahme gewesen sein, mit der die Islamisten im Hinblick auf die für Januar geplanten Wahlen in den palästinensischen Gebieten verlorene Sympathien zurückgewinnen wollen. Die Kriegsmüdigkeit großer Teile der Bevölkerung und der Druck der von den arabischen Staaten unterstützten PA könnten die palästinensischen Terrororganisationen jedoch zu einem Waffenstillstand zwingen.

Eine Intervention von al-Qaida in den israelisch-palästinensischen Konflikt wäre auch eine Intervention in palästinensische Machtkämpfe. Der palästinensische Journalist Hani al-Masri erwartet, dass die hohe Zahl palästinensischer Opfer in Amman einen »bedeutsamen Wandel in der politischen Kultur« herbeiführen und die »Unterstützung für Angriffe, die unterschiedslos Menschen töten«, sinken wird. Doch anders als die Hamas, die auf eine Massenbasis angewiesen ist, benötigt die al-Qaida nur eine geringe Zahl zu allem entschlossener Attentäter.