Wer stets verneint

Sternstunden aus 16 Jahren antideutscher Publizistik. Eine Collage von deniz yücel

Prolog in Frankfurt

Die fast unlösbare Aufgabe besteht darin, weder von der Macht der anderen, noch von der eigenen Ohnmacht sich dumm machen zu lassen.

Nacht

Wir wollen die Kraft der Negation sein. Wir schreiben ins Leere, in der Hoffnung, den verschwindend kleinen Rest der Linken zu treffen, der sich Deutschland kategorisch verweigert. Wir lehnen die Wiedervereinigung nicht gezwungenermaßen oder unwillig, nicht bedrückt oder als Verzicht von etwas ab, das man eigentlich gern hätte. Wir lehnen sie ab, weil es nach dem Dritten kein Viertes Reich geben darf. Beschwichtigungen, ein Viertes Reich sei nicht geplant, sind wirklichkeitsfremd. Wir sollten eine Utopie entwickeln: nicht die eines sozialistischen Deutschland (dafür waren wir marxseidank noch nie), sondern die der Zerstörung des deutschen Staates und seiner Ersetzung durch einen Vielvölkerstaat sowie der Auflösung des deutschen Volkes in eine multikulturelle Gesellschaft. Deutschland has gotta die (eins, zwei, drei, vier!) Wir müssen uns als Kronzeugen gegen Deutschland verstehen. Die endgültige Teilung Deutschlands – das ist unser Auftrag. Der Tod ist ein Meister aus Deutschland. Mein Skateboard ist wichtiger als Deutschland. Kein Frieden mit Deutschland. Nie wieder Deutschland.

Eben (27.1., 17 Uhr) meldet Bagdad, dass es nun Israel mit Chemiewaffen auslöschen wolle, eine Absicht, die Israel gegebenenfalls hoffentlich mit Kernwaffen zu verhindern wissen wird.

Auerbachs Keller

Deutsche Täter sind keine Opfer. Täter werden zu Opfern gemacht. Opfer werden zu TäterInnen gemacht. Die Pogrome seit der Vereinigung fanden nicht trotz der deutschen Geschichte statt, sondern im Bewusstsein der erfolgten Deportationen und der Vernichtung. Nicht mit feinsinnigen Überredungskünsten und gut gemeinten Appellen hindert man das ausländerfeindliche Volk an seinem Tun. Man muss schon mit Maßnahmen kommen, die der Deutsche versteht: Druck, Nötigung, Zwang. In Berlin war man stolz darauf gewesen, dass hunderttausend Bürger sich versammelt hatten, um unter der Anleitung des Bundespräsidenten zu versichern, man dürfe andere Menschen nicht einfach totschlagen. Derlei Äußerungen gelten in Deutschland schon als festes Bekenntnis zur Demokratie und nicht als Beleg dafür, wie notdürftig die Barbarei im Zaum gehalten ist. Der Mythos von der Zivilisierung der kapitalistischen Gesellschaft durch eine moderate Linke ist am nationalistischen Konsens zerbrochen. Es stellt sich die Frage, ob die Zivilisation in »Deutschland« wieder von außen gerettet werden muss. Bomber-Harris says: I would do it again. We say: Do it, now!

Studierzimmer

Der hochkomplexe und abstrakte kapitalistische Vergesellschaftungszusammenhang wird auf einfache dichotome Gegensätze reduziert, verdinglicht und personalisiert. Die Arbeiterklasse gibt es zwar noch, aber nur noch als passive ökonomische Bestimmung, etwa in dem Sinne, dass man in einem Ameisenhaufen zwar die Existenz von Arbeitsameisen und Königinnen konstatieren, daraus allerdings nicht auf einen »Grundwiderspruch« von Ausbeutern und Ausgebeuteten folgern kann. Wenn die Arbeiter des 19. Jahrhunderts kein Vaterland hatten, dann sind in den imperialistischen Metropolen diejenigen, die kein Vaterland haben wollen, die »Arbeiter« des ausgehenden 20. Jahrhunderts. Eine Linke, die den Triumph des Kapitalismus wenn schon nicht stoppen, so doch zügeln könnte, gibt es nicht mehr. Was (noch) nicht überall abhanden gekommen ist, ist die Partei der Aufklärung. Ihr schlichtes Programm: zu fragen, wie die Kuhscheiße aufs Dach gekommen ist. Momentan ist in Deutschland keine revolutionäre Praxis möglich. Intellektuelle haben keine andere Wahl, als zu begreifen, dass, so sehr sie sich auch anstrengen mögen, die einzig sinnvolle Anwendung ihrer Vernunft die Erkenntnis ist, dass dem Wahnsinn Sinn zu attestieren im Ansinnen, ihn verstehen zu wollen, wahnsinnig ist.

Trüber Tag / Offen Feld

Deutschland hat durch die Eingliederung der DDR unter der Losung »Wir sind ein Volk« weltweit als Stichwortgeber für das ethnische Prinzip gewirkt. Der Angriff auf Jugoslawien ist Höhepunkt und Fortsetzung einer seit der deutschen Wiedervereinigung unablässig propagierten völkischen Zerschlagungspolitik von Staaten, die deutschen Interessen im Wege stehen. Dass Deutschland im Krieg gegen Jugoslawien einen Krieg gegen Auschwitz führe, konnte von keiner deutschen Regierung vor Rot-Grün glaubhaft dargestellt werden. Antinationalismus ist zu einem völlig verkommenen politischen Bekenntnis geworden. Antinationale Kritik ist entweder antideutsche Kritik oder Lüge. Es wird in Zukunft noch eine Reihe von nationalistischen, ethnisierten Konflikten geben, bei denen radikale Linke nahezu ohnmächtig daneben stehen und sich auf die Waffe der Kritik werden stützen müssen.

Anmutige Gegend

Ich bin der Meinung, dass die Linke und der Antisemitismus sich in jedem Fall ausschließen sollten. Coole Kids tragen kein Pali-Tuch. Offensichtlich gibt es kaum eine Kritik an Israel, die nicht gleichzeitig antisemitische Ressentiments bedienen würde. Es kann keine Kritik am Staat Israel geben, die nicht antisemitisch ist. Israel ist der bewaffnete Versuch der Juden, den Kommunismus lebend zu erreichen. Israel ist das Schibboleth jener doch so nahe liegenden Revolution; es ist der unbegriffene Schatten ihres Scheiterns. Die Linke muss sich darüber im Klaren sein, im Fall Israel nicht mit einer emanzipatorischen Kraft solidarisch zu sein. Gerade weil man StaatskritikerIn ist, gilt es, für den jüdischen Staat Partei zu ergreifen. Ob die Israelis die richtige oder die falsche Staatsform ausgewählt haben, spielt im Zusammenhang mit der Haltung zu diesem Staat absolut keine Rolle. Gott schütze Israel vor seinen Feinden und bewahre es vor seinen »Freunden«. Wir erwarten von der Redaktion eine unmissverständliche Positionierung.

Hexenküche

Antideutsche Politik ist selbstverständlich nicht territorial gebunden. Entscheidend ist die Tat selbst. Selbstverständlich müssen die amerikanische und die britische Politik weiterhin kritisiert werden. Jedoch nicht deshalb, weil sie die Jihadisten verfolgt, sondern weil sie diese nicht zielgenau und konsequent genug verfolgt. Wer von Deutschland reden will, darf vom Islam nicht schweigen. Der Vernichtungswahn der Selbstmordattentäter ist die Säkularisierung der islamischen Religion unter dem Gesichtspunkt von Auschwitz. Der Islam ist Heidegger für Analphabeten: Das Sein zum Tode ist der Jihad. In diesem Falle ist der Kapitalismus seinen Feinden vorzuziehen. Die bürgerliche Herrschaft ist der der islamischen Fundamentalisten vorzuziehen. Eine Dose Fanta ist einer Dosis Fatwa vorzuziehen.

Gewiss, es wäre theoretisch möglich, dass, wenn 90 Prozent der Deutschen eine Sache für gut halten, diese Sache tatsächlich eine gute ist, nur ist das, meiner Erinnerung nach, noch nie vorgekommen. Momentan ist eine Verbesserung der Situation im Irak durch einen US-amerikanischen Angriff keineswegs absehbar. Wenn im Irak US-amerikanisches Militär einen Volksaufstand auslösen könnte und damit erstmals in der jüngeren Geschichte der arabischen Staaten eine Regierung quasi von der eigenen Bevölkerung gestürzt würde, eröffnete das eine nahezu ungeheuerliche Perspektive für die ganze Region. Wenn man dich nicht fragt, sag nein.

Peneios

Der bemerkenswerte Unterschied zwischen Antideutschen und Prodeutschen scheint zu sein, dass Antideutsche deutsch können, Prodeutsche aber nur dafür sein. Aber hier leben? Nein danke.

Zitiert wurde aus den Publikationen 17° C, ak, Bahamas, blätter des iz3w, Die Beute, junge Welt, Jungle World, konkret, Phase 2, T-34, taz und Titanic sowie aus verschiedenen Flugblättern, Büchern und Platten.