I would prefer not to

Zur Kampagne »Du bist Deutschland«. Des Wunders zweiter Teil. von thomas blum

Eine, wenn auch nur diese eine einzige Sache muss von vornherein unverrückbar für alle Zeiten feststehen: Ich möchte von Deutschland nicht geduzt werden. Des Weiteren verbiete ich es Deutschland und seinen Schergen, mir darüber hinaus die Mitgliedschaft in der kriminellen Vereinigung gleichen Namens zu unterstellen. Ich halte dies, gelinde gesagt, für eine Unverschämtheit und für eine Rohheit sondergleichen.

Von ideellen Stolzdeutschen der einfältigen Art sollte man als Mensch mit Würde nicht in irgendeiner Weise angekumpelt, vereinnahmt, instrumentalisiert, in Beschlag genommen oder zu irgendetwas Albernem angestiftet werden (»Behandle dein Land doch einfach wie einen guten Freund«). Plötzlich geschieht das aber an jeder Ecke.

Die Reklamekampagne »Du bist Deutschland« will mir überdies weismachen, ich sei Alice Schwarzer, wogegen ich mich ausdrücklich verwehre, und man bedrängt mich auch sonst, raunzt mich frech, unaufgefordert und in ungehobelter, rüdester Weise von der Seite an, als sei ich Deutschlands alter Kumpel, der ich durchaus nicht bin: »Wieso schwenkst du Fahnen, während Schumacher seine Runden dreht?« Ich schwenke keine Fahnen. Und Herr Schumacher soll fürderhin treiben, was er will, solange er nicht mit mir spricht und meiner Wohnung fernbleibt.

»Es gibt keine Geschwindigkeitsbegrenzung auf der Deutschlandbahn«, droht man mir ungestraft auf den Plakaten. Den Eindruck, dass das so ist, habe ich allerdings. Schon seit über 20 Jahren, um genau zu sein. Und an die Unfälle dank fehlenden Tempolimits kann ich mich und können andere sich auch ausgesprochen gut erinnern.

Hätte irgendwer von den für diese Geschmacklosigkeit verantwortlichen Subjekten sich vorher bei mir erkundigt, ob ich mich für diese oder jene Deutschland betreffende Angelegenheit verwenden möchte, hätte ich mir erlaubt, mit einem der raren Sätze zu antworten, die von zeitloser, reiner, wahrhaftiger Schönheit sind: »I would prefer not to.« Nein. Ich möchte lieber nicht. Ich würde vorziehen, es nicht zu tun. Deutschland ist mir einerlei und geht mir glatt am Arsch vorbei.

Das ebenso bestimmte wie finale Nein, das es so auszusprechen gilt wie man eine Brotkrume vom Tisch fegt, die bis heute noch immer nicht ausreichend gewürdigte, aller Verführung abholde Kostbarkeit unter den Worten, das letzte noch unkorrumpierte Wort, in all seinen schillernden Varianten, ist eine der schönsten und rundum überzeugendsten Sachen auf der ganzen Welt. Und wer bedauernswerterweise verlernt hat, es zu gegebener Zeit auszusprechen, wird deppert, duckmäuserisch oder deutsch, was ja bei eingehender Betrachtung dasselbe ist.

Allerorten, so wollen mir zahlreiche die Kampagne im Internet unterstützenden Grinseköpfe und Stimmungskanonen einreden, werde ja bereits zu Genüge genörgelt, gejammert, gemäkelt, gemeckert und gekrittelt, ganz so, als handle es sich bei der Äußerung von Kritik um ein hochgradig verwerfliches Tun, um einen verbrecherischen Akt.

Doch das Gegenteil ist bei genauerer Betrachtung der Fall: Wer mit irgendetwas – seien es nun die jüngsten Sozialkürzungen, Steuererhöhungen oder Pogrome, es spielt keine Rolle – nicht unverzüglich einverstanden ist (»jammert«), wird in der Regel von den erfahrungsgemäß allzeit alles jederzeit befürwortenden Medien und anderen Gutelaunefaschisten als griesgrämiger Volksfeind wahrgenommen, zurechtgewiesen, gehörig geschurigelt und schnurstracks geistig umgepolt und erst hernach wieder als geheilt entlassen.

Deutschland und sein im Laufe von Jahrzehnten, wenn nicht gar Jahrhunderten, erfolgreich derart auf fortwährende Zustimmungsbereitschaft und Wohlfühlstimmung dressiertes, affirmationsbesessenes Ärmelhochkrempelkollektiv kennt, und nicht anders ist man es seit je gewohnt, nur das uneingeschränkte, haltlos herausgebrüllte Ja. Was naturgemäß am Ende dabei herauskommt, sind immer unschön anzuschauende Menschenzusammenrottungen, vor welchen jeder auch nur einigermaßen empfindsame Mensch empfindlich zurückzuschrecken gelernt hat: »Weil aus deiner Flagge viele werden und aus deiner Stimme ein ganzer Chor. Du bist von allem ein Teil. Und alles ist ein Teil von dir.«

Lässt man das weihevoll-gestelzte Esoterikdeutsch, in dem das ganze »Manifest« genannte Reklamegeschmiere formuliert ist, mal beiseite und verdrängt man erfolgreich den nahe liegenden Gedanken, man höre soeben die Tonspur des Reichsparteitagsfilms von Leni Riefenstahl, bleibt nur eine Botschaft übrig: Ich will Teil einer Vollidiotenbewegung sein.

Es sei ein für allemal klar und unmissverständlich ausgesprochen: Wer auch immer sich zu der obskuren und gemeingefährlichen Vereinigung namens »Wir Deutsche« bereitwillig zählen mag, wer auch immer die trotz des in alle Winkel dringenden Deutschlandjawollbumsfalleras noch bei Verstand gebliebenen Menschen davon zu überzeugen versucht, die verbliebene Restvernunft auszuknipsen und diesen ganzen völkischen Hochglanzzirkus zu bejahen, ist mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zu Gurkenmarmelade zu verarbeiten.

Begriffen haben das einmal welche, die, ohne dass sie sich dagegen zur Wehr hätten setzen können, in die deutsche Geistesgeschichte zwangseingereiht wurden: »Alles Deutsche wirkt auf mich wie ein Brechpulver«, schrieb Heinrich Heine. »Ich lege hier für den Fall meines Todes das Bekenntnis ab, dass ich die deutsche Nation wegen ihrer überschwenglichen Dummheit verachte und mich schäme, ihr anzugehören«, schrieb Arthur Schopenhauer. Vermutlich sehen wir sie beide demnächst neben Theodor W. Adorno, Oliver Kahn und Adolf Hitler auf Plakaten für Deutschland Propaganda machen. Alles ist ein Teil von allem. Du bist Gagaland.

Die erstaunliche Obszönität dieser Kampagne, die auch nicht davor zurückschreckt, einst von den Deutschen Verfolgte und Vertriebene für ihre Zwecke zu missbrauchen (Man wirbt etwa mit Albert Einstein, den die Deutschen vor wenigen Jahrzehnten noch am liebsten in einem Konzentrationslager ermordet hätten), ist erstaunlicherweise sogar der Wochenzeitung Die Zeit aufgefallen, die ansonsten ihre ureigene Aufgabe seit je darin sieht, eifrig jeden noch so abgestandenen deutschen Stiefel schönzureden oder Hurra dazu zu rufen. Jens Jessen schreibt: »Ehrlicher wäre es gewesen, einen schneidigen SS-Offizier mit der Unterschrift ›Du bist Deutschland‹ zu zeigen. Damit wäre man der Wahrheit schon näher gekommen.«

Einen wahren Satz aber enthält das offenbar in einer Art deutschnationaler Teestube von einer betrunkenen Hobbybuddhistenstammtischrunde zusammengedichtete »Manifest« für Deutschland erstaunlicherweise aber doch: »Unsere Zeit schmeckt nicht nach Zuckerwatte.«

Man benötigt zudem nicht allzu viel Fantasie, um zu erkennen, dass das in den deutschen Farben kolorierte Logo der Kampagne die Form eines Scheißhaufens hat. Hie und da ist der Weltgeist schwer auf Zack, so viel wenigstens ist gewiss.