Besuch vom guten Freund

Das Politische und das Private von horst pankow

Als vor fast 40 Jahren deutsche Linksradikale die Rede vom Politischen des Privaten aufbrachten, ahnte wohl niemand, welch verhängnisvolle Torheit damit in die Welt gesetzt worden war. Wie auch? Der Versuch, das von den großen politischen Entwürfen häufig ignorierte Unglück in Familie, Ehe und jenen bald »Beziehungen« genannten Konstellationen als Anlass politischer (besser: antipolitischer) Gesellschaftskritik zu nutzen, entbehrt bis heute weder alltagspraktischer Plausibilität noch emanzipatorischer Legitimation. Dass jene Rede später zur Rechtfertigungsfloskel subkulturellen Konformitätsdrucks verkam, konnte man vor fast 40 Jahren vielleicht nicht einmal ahnen. Ebenso wenig, dass der deutsche Staat fast 40 Jahre später mit dem Insistieren auf dem Politischen des Privaten sein Staatsvolk in die Pflicht nehmen würde.

Heute genügt schon ein flüchtiger Blick auf Werbeflächen und Zeitungsanzeigen oder in Fernsehmagazine, um zu wissen: Das Private ist verdammt politisch geworden. Hätte ein Staat des untergegangenen Realsozialismus seine Bürger mit penetranten Kampagnen gegen das Rauchen behelligt, massenmedial zum Kindermachen für die Nation aufgefordert und gleichzeitig seine Stars aus Sport und Verblödungskultur für Kampagnen zum kondomisierten Vögeln aufgeboten, wären diese Anstrengungen vom Westen postwendend als totalitäre Infamien denunziert worden. Der Eindruck realsozialistischer Staaten verdichtete sich im Orwellschen »großen Bruder«; heute will der deutsche Staat als »guter Freund« erfahren und behandelt werden. Winston Smith, Protagonist in Orwells »1984«, musste noch durch Folter zur Liebe für den omnipräsenten Staatsfetisch genötigt werden, sein deutsches Pendant soll ihn schon längst internalisiert haben: Die Parole »Du bist Deutschland« tönt zwar aus einem Propagandastreifen der aktuellen Unkultur, wurde aber schon von PR-Leuten des NS-Regimes ersonnen.

Ein »guter Freund« will nicht enttäuscht werden. Vor allem, wenn es sich bei ihm um den deutschen Staat handelt. Wer nicht akzeptieren kann oder/und will, dass er/sie durch materiellen Verzicht zur Senkung des allgemeinen Werts der Ware Arbeitskraft zugunsten des kapitalen Wohls der Nation beizutragen hat, setzt sich dem Verdacht des Parasiten- und Schmarotzertums aus. Wolfgang Clement hat das in den letzten Wochen seiner Amtszeit expressiv in einer regierungsamtlichen Broschüre zum Ausdruck gebracht: »Vorrang für die Anständigen – Gegen Missbrauch, ›Abzocke‹ und Selbstbedienung im Sozialstaat«. Franz Müntefering wird in diesem Sinne weitermachen, hat er sich doch mit seiner Demagogie gegen US-amerikanische »Heuschreckenschwärme« mehr als hinreichend qualifiziert.

Nicht nur Hartz-IV-Empfängern wird so klargemacht: Das Mitsingen im nationalen Chor allein ist zu wenig. Schaut nach oben, lautet die Botschaft, nicht nach ganz oben, dafür seid ihr ohnehin zu blöd. Seht euch lieber die feschen Jungs und Mädels vom Security-Service in den Einkaufszonen an: Uniformen und polierte Glatzen werden vom Arbeitgeber bezahlt. Wenn’s dafür nicht reicht, könnt ihr immer noch Sozialdetektive werden, Festangestellte bei eurer zuständigen Bundesagentur. Geiler Job: Stöbern in den Dessous der arroganten Nachbarin, Bestätigung der Vermutung, dass der verschlossene Typ vom dritten Stock schwul ist, Aufdeckung illegaler Beschäftigung in der Kneipe gegenüber. Und ein sicherer Job: Euer »guter Freund« heißt schließlich Deutschland.