Erst auflösen, dann vereinen

Die Zapatisten wollen ein außerparlamentarisches Bündnis organisieren. Nicht alle mexikanischen Linken sind von der Initiative begeistert. von wolf-dieter vogel, mexiko-stadt

Die Bühne ist in Nebel gehüllt, aus den Boxen dröhnt elektronische Musik, im Hintergrund jongliert ein Maskierter mit einer Fackel. Kleidung und Maske erinnern an »Santos«, die bedeutendste Figur aus der Welt des mexikanischen Freiheitskampfs. Mehrere Menschen tauchen auf, jeder spricht einen Satz ins Mikrophon: »Für eine Welt, in die viele Welten passen! Es lebe die Zapatistische Befreiungsarmee EZLN!« Dann legt die Rockgruppe Maldita Vecindad los, kurz darauf erscheint die Ska-Band Panteón Rococó. Rund 2000 meist jugendliche Zuhörerinnen und Zuhörer toben, tanzen, recken die Fäuste.

Für popkulturelle Einsätze sind die zapatistischen Gruppen in Mexiko-Stadt immer wieder gut. So auch an diesem Novembersonntag in Villacoapa, einem der armen Viertel im Süden der Metropole. Es ist das Abschlusskonzert einer Veranstaltungswoche über Autonomie und Selbstbestimmung im Rahmen der »anderen Kampagne« der Zapatisten. Sie wird organisiert von Gruppen, die man in Deutschland im weitesten Sinn der autonomen Szene zurechnen würde. Etwa das soziale Zentrum La Pyramide, die Antiautoritäre Revolutionäre Jugend oder der Piratensender Radio Zapote 94.1.

Die eher mittelmäßig besuchten Veranstaltungen gehören zu den wenigen öffentlichen Ereignissen, die derzeit als Teil der »anderen Kampagne« in der mexikanischen Hauptstadt stattfinden. Jenseits der »Szene« wird der Vorschlag der Indigenen aus dem Bundesstaat Chiapas mit weniger Elan aufgenommen. Dabei haben sich die Zapatisten viel vorgenommen. In ihrer »sechsten Erklärung aus dem Lakandonischen Urwald«, der »Sexta«, kündigten sie eine pazifistische politische Kampagne an. »Von unten und für die von unten« wolle man mit allen Interessierten »eine Alternative zur neoliberalen Zerstörung« erarbeiten. Eine neue Verfassung soll formuliert werden, und nicht zuletzt wollen die Zapatisten erreichen, dass das Abkommen von San Andres in die Tat umgesetzt wird. Auf diese Vereinbarung, in der die indigenen Rechte festgeschrieben sind, hatten sich die Regierung und die EZLN bereits 1996 geeinigt.

Etwa gleichzeitig mit der Veröffentlichung der Sexta richtete der Zapatistensprecher Subcomandante Marcos kritische Worte an die gemäßigt linke Partei der Demokratischen Revolution (PRD) und deren Präsidentschaftsanwärter Andres Manuel López Obrador. Der Kandidat für die Wahlen im Juli 2006 verfolge »neoliberale« Ziele. Vor allem aber wirft die EZLN der PRD vor, dass einige ihrer Parlamentarier gegen das San-Andres-Abkommen gestimmt hatten. Man werde sich mit der PRD »auf keine Vereinbarung einlassen, denn sie haben uns verachtet, und dafür werden sie zahlen«, stellte Marcos klar.

Das kam nicht überall gut an. Die PRD ist aus der Opposition zur ehemaligen Staatspartei Pri und den sozialen Bewegungen der achtziger Jahre entstanden. In der anstehenden Präsidentschaftswahl gilt sie vielen als »kleineres Übel« im Vergleich zur konservativ-liberalen Partei der Nationalen Aktion (Pan) von Präsident Vicente Fox und der Pri, die zuvor über 70 Jahre regierte. López Obrador hatte sich durch einige soziale Maßnahmen in seiner Amtszeit als Bürgermeister der Hauptstadt einen guten Ruf erworben.

Folglich reagierten auch viele prozapatistische Linke empört auf die Äußerungen des Sub. »Für uns ist López Obrador auch nur der weniger Schlechte unter den Schlechten«, erklärt etwa Eduardo Navarro von der Frente Popular Franzisco Villa. Da aber quasi die gesamte Linke trotz ihrer Widersprüche den PRD-Mann unterstütze, »betreiben die Zapatisten eine separatistische Politik«. Die Frente zählt zu den radikaleren jener Organisationen, die in Mexiko-Stadt ganze Viertel kontrollieren und meist enge Verbindungen zur PRD unterhalten.

Auch viele Verbände, die derzeit im Rahmen eines »Nationalen Dialogs« einen Forderungskatalog »gegen den Neoliberalismus« erarbeiten, gingen auf Distanz. Schließlich wollen die rund 200 linken Organisationen ihre Ziele auf parlamentarischem Weg erreichen. »Wir werden ausloten müssen, ob es möglich sein wird, durch die Unterstützung eines Kandidaten den Wechsel zu wählen«, erklärt Fernando Amezcoa Castillo, der Sprecher der kampfstarken und prozapatistischen Gewerkschaft der Elektrizitätsarbeiter (SME).

Solche Reaktionen zwangen die Zapatisten, sich zurück zu halten. Man wolle zwar selbst nichts mit der PRD zu tun haben, rufe aber auch nicht zum Wahlboykott auf, ließ Marcos wissen. Solche versöhnlichen Worte zeigten Wirkung. Im August und September luden die Rebellen zu fünf Treffen in die von ihnen kontrollierten Gebiete. Die ersten Debatten begannen noch mit schleppender Beteiligung, doch zunehmend reisten mehr Menschen nach Chiapas. Ende November meldeten die Zapatisten, dass sich nun über 1200 Organisationen, Gruppen und Kleinstgrüppchen der »anderen Kampagne« angeschlossen hätten.

Vergangene Woche verkündete die EZLN die Auflösung ihres politischen Arms, der Zapatistischen Befreiungsfront FZLN. Die Organisation sei nicht mehr nötig, da ja nun die »andere Kampagne« diese Arbeit übernehme. Die Entscheidung dürfte auch ein Versuch sein, sich wieder näherzukommen. In der FZLN hätten Leute ihre Nähe zur EZLN genutzt, um »sich und uns zu isolieren«, schreibt Marcos. Tatsächlich galten Teile der Frente als sehr dogmatisch, und ihre Haltung etwa gegenüber dem Bündnis großer Bauernorganisationen »El campo no aguanta más« führte dazu, dass dieses Spektrum auf Distanz zu den Zapatisten ging. Die FZLN hatte den Campesinos vorgeworfen, sich auf Gespräche mit der Regierung einzulassen.

Unterstützung erhielt die Sexta vom Indígena-Dachverband CNI. Für viele Indígenas spielt die Debatte um die PRD ohnehin keine große Rolle. »Wir stehen außerhalb dieser politischen Geometrie, wir sind weder links noch rechts, noch in der Mitte und werden gegen jede Regierung kämpfen müssen«, meint Larisa Ortiz vom Verband Indigener Migranten in Mexiko-Stadt. Der SME-Gewerkschafter Castillo dagegen hält beide Wege für sinnvoll: »Kurzfristig müssen wir sehen, welche konkreten Forderungen auf parlamentarischer Ebene durchsetzbar sind, langfristig werden wir uns mit den Zapatisten für eine grundsätzliche Veränderung organisieren.«

Die Rebellen ließen indes vergangene Woche wissen, die »Intergalaktische Kommission« sei vom 1. Dezember an bereit, Treffen mit internationalen Gruppen durchzuführen. Es sei auch möglich, einen Vertreter auf Reisen zu schicken. Ab kommenden Juli könne dann das »Intergalaktische Treffen« stattfinden. Bereits genau terminiert sind die inländischen Reisepläne: Ab 1. Januar wird eine Delegation unter Beteiligung von Subcomandante Marcos von Bundesstaat zu Bundesstaat reisen, um über die »andere Kampagne« zu diskutieren. Die planmäßige Rückkehr ist am 25. Juni 2006 – eine Woche vor der Präsidentschaftswahl.