Nur heiße Luft

Die internationale Klimapolitik ist gescheitert. Wo Emissionen zurückgegangen sind, lag dies am Zusammenbruch ganzer Industrien. von heiko balsmeyer

Dass der Staat, der die meisten Treibhausgase produziert, sich doch dazu entschließen würde, das Kyoto-Protokoll zu unterzeichnen, hatte niemand erwartet. »Wir nehmen nicht am Protokoll teil, und wir befürworten einen derartigen Ansatz auch für künftige Verpflichtungen nicht«, sagte der US-amerikanische Verhandlungsleiter Harlan Watson am Dienstag der vergangenen Woche. Auch sonst waren die Erwartungen an die Klimakonferenz, die tags zuvor in Montreal begonnen hatte, niedrig: Sie werde wohl »kein Mandat für Verhandlungen für die Zeit nach 2012«, also nach Ablauf der ersten Phase des Kyoto-Protokolls, verabschieden, hatte Richard Kinley, der Vorsitzende des UN-Klimasekretariats, unmittelbar vor dem Beginn des Gipfels verkündet. Dies werde noch »einige Zeit« brauchen.

Trotz dieser trüben Aussichten sind rund 10 000 Delegierte und Beobachter nach Montreal gereist. 1992 war in der UN-Klimakonvention beschlossen worden, die Treibhausgase auf ­einem Niveau zu stabilisieren, welches dauerhaft menschliches Leben auf der Erde sichern sollte. 1997 folgte das Kyoto-Protokoll, das Anfang dieses Jahres mit der Ratifizierung durch Russland in Kraft trat. Darin hatten sich vierzig Industrieländer dazu verpflichtet, ihren Schadstoffausstoß – vor allem von Kohlendioxid – bis zum Jahr 2012 um 5,2 Prozent unter das Niveau von 1990 zu reduzieren. Für »industrielle Schwellenländer« inklusive der meisten ehemaligen Ostblockstaaten wurden unterschiedliche Obergrenzen von minus acht bis plus zehn Prozent vereinbart, während Entwicklungsländer von jeder Reduktion der Schadstoffe ausgenommen wurden. Wie es nach 2012 weitergehen soll, ist unklar. Und die bisherige Bilanz des Kyoto-Protokolls ist mehr als dürftig.

Mit »flexiblen Instrumenten« will das Abkommen die Verringerung erreichen. Dies meint zum einen den Handel mit Emissionsrechten, zum anderen die Anrechnung von Emissionsminderungen in anderen Ländern. In Deutschland wurde der Emissionshandel im vergangenen Jahr mit der Ausgabe kostenloser Zertifikate vorbereitet (Jungle World, 15/04). 1 200 Unternehmen der Energiewirtschaft und Grund- und Baustoffindustrie erhielten für ihre 1 849 Anlagen die handelbaren Rechte zum Ausstoß von CO2 ausgehändigt. Wie wenig wirkungsvoll der Emissionshandel ist, zeigt der Vergleich mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG). Die mit dem Gesetz geförderten regenerativen Energien, vor allem Windkraftanlagen, sparen bereits 35 Millionen Tonnen CO2 ein. Demgegenüber soll der Emissionshandel in zwölf Jahren lediglich zehn Millionen Tonnen Einsparung bringen.

Der Anrechnung der Investitionen im Ausland dienen die »Joint Implementation« sowie der »Clean Development Mechanism« (CDM). Damit können Teilnehmerstaaten oder Unternehmen aus diesen Ländern anderen verpflichteten Staaten Emissionsgutschriften ausstellen. Oder reiche Länder können ihre eigene Klimabilanz verbessern, indem sie Projekte in Entwicklungsländern fördern. So dürfen Russland mit einer Milliarde und die Ukraine mit über 400 Millionen Tonnen Kohlendioxid handeln, die wegen des Zusammenbruchs ihrer Ökonomie derzeit gar nicht freigesetzt werden können – heiße Luft, mit der der Emissionshandel gedeiht.

Dies zeigt sich auch, wenn ein neues konventionelles Kraftwerk in einem Entwicklungsland gebaut wird. Werden von diesem Kraftwerk weniger Emissionen durch den Schornstein gejagt als in dem vom Vorstand der CDM festgelegten »Referenzkraftwerk«, wird dem Herkunftsland des maßgeblich beteiligten Konzerns eine Emissionsgutschrift erteilt. Würde dadurch ein altes Kraftwerk ersetzt, käme es tatsächlich zu einem geringeren Energieverbrauch. Bei einem neuen Kraftwerk wird hier der zusätzliche Verbrauch mit einem Bonus für Emissionminderung ausgestattet.

So kann es nicht überraschen, dass die internationale Klimapolitik bisher keine großen Erfolge vorzuweisen hat. Die Staaten nehmen die von ihnen eingegangenen Verpflichtungen nicht besonders ernst. So hat die sich immer wieder als ökologisches Gewissen der Welt gebärdende EU eine Reduktion in Höhe von gerade einmal 1,4 Prozent erreicht. Spanien, Portugal, Irland, Finnland, Italien und Österreich sind so weit von ihren Klimazielen entfernt, dass sie diese nicht mehr erreichen können. Die boomenden Länder Indien und China, die derzeit keiner Verpflichtung unterliegen, haben ihren Ausstoß unterdessen fast verdoppelt. In den USA ist Informationen des UN-Klimasekretariats zufolge der CO2-Ausstoß um 20 Prozent gestiegen. Global stieg der Ausstoß von Klimagasen bis zum Jahr 2003 gegenüber 1990 um insgesamt elf Prozent.

In Montreal sollen die Bedingungen für den Klimaschutz in der zweiten Verpflichtungsperiode nach dem Jahr 2012 formuliert werden. Man hofft, auch die USA in den Emissionshandel einbeziehen zu können oder das Wachstum der Konkurrenten China, Indien und Brasilien mit Klimaschutzzielen zu begrenzen. Das bisherige globale Scheitern ist aber offenbar keiner Überlegung wert. Gesunken sind die Emissionen vor allem in den Staaten Mittel- und Osteuropas durch die schockartige und sozial verheerende Deindustrialisierung. Auch die von den verschiedenen Bundesregierungen gefeierten angeblichen Erfolge der eigenen Klimaschutzpolitik resultieren vor allem aus dem Zusammenbruch der ostdeutschen Industrie. Ein Modell des best practice für den klimafreundlichen Kapitalismus ist offensichtlich weltweit nicht zu finden. Welche Funktion hat der Klimazirkus aber, wenn er keine umweltpolitischen Fortschritte bringt?

Um die globale Klimadebatte hat sich ein riesiger Apparat von so genannten Experten, Nichtregierungsorganisationen und anderen Lobbyisten gebildet, die vor allem daran interessiert sind, dass der Zirkus fortbesteht. Am Ende wird man sich hier und da auf etwas einigen, aber es dürften auf jeden Fall genug Themen ungeklärt bleiben, so dass man sich im kommenden Jahr an irgendeinem anderen Ort auf dem Planeten wird wiedertreffen können.

An den letzten drei Konferenztagen kommen die Umweltminister aus mehr als hundert Staaten in Montreal zusammen. Auch der neue deutsche Umweltminister Sigmar Gabriel wird wohl mit ernstem Gesicht auf verschiedenen Fernsehsendern etwas von »Verantwortung« und »globaler Gerechtigkeit« zum Besten geben.

Doch die internationale Klimapolitik dient nur dazu, das kapitalistische Energiesystem, das auf fossilen und atomaren Trägern basiert, ideologisch abzusichern. In einer endlichen Welt ist nach den Gesetzmäßigkeiten der Thermodynamik ein exponentielles Wachstum nicht möglich, ein Kapitalismus ohne Wachstum aber nicht denkbar. In der internationalen Klimapolitik wird die Systemfrage jedoch nicht gestellt. Stattdessen geht es darum, Märkte zu schaffen, wie den Markt für Emissionszertifikate. Auch ein radikales Umsteuern in Richtung erneuerbarer Energien wird verhindert.

Da eine regenerative Energieerzeugung nicht nur geeignet wäre, das Weltklima zumindest zu stabilisieren, sondern potenziell auch unabhängig von den großen Energiekonzernen entwickelt werden könnte, wird sie von diesen dominanten Interessen behindert. Ein dafür geeignetes Instrument ist mit dem Emissionshandel bereits gefunden.