Wann kommt die Flut?

Kann der Mensch den Klimawandel aufhalten? Fest steht, dass der CO2-Ausstoß die Erderwärmung beschleunigt. Über die Konsequenzen streiten die Wissenschaftler. von ferdinand muggenthaler

Im Anfang war die Klimakatastrophe. Glaubt man den Paläoanthropologen, dann spielte ein Klimawandel die entscheidende Rolle bei der Menschwerdung. Vor 2,5 Millionen Jahren wurde es langsam kälter. In Afrika zog sich der tropische Regenwald zurück. Der Vormensch musste zunehmend mit harter, trockener Nahrung zurecht kommen. Die intelligente Lösung des Problems: der Einsatz von Werkzeugen, um Nüsse, Körner und Rinden zu zerkleinern. Am Beginn der Zivilisation stand das Kochen.

Momentan ist das Erdklima wieder dabei, sich zu verändern. Diesmal wird es wärmer, und zwar in erdgeschichtlich rasantem Tempo. Im 20. Jahrhundert ist die Durchschnittstemperatur um 0,6 Grad gestiegen. Während sich der Temperaturanstieg bis etwa 1980 noch halbwegs mit der schwankenden Sonnenfleckenaktivität erklären lässt, ist die aktuelle Erwärmung zum großen Teil von den Menschen produziert. Den größten Beitrag leistet das Kohlendioxid (CO2). Die Konzentration von CO2 in der Atmosphäre ist seit Mitte des 19. Jahrhunderts auf das 1,75-fache gestiegen.

Die Klimaentwicklung lässt sich nicht berechnen wie der Flug einer Kanonenkugel. Manche Prozesse, die das Klima beeinflussen, sind noch nicht verstanden, andere lassen sich auch mit heutigen Hochleistungscomputern nicht im Detail nachvollziehen. Woher weiß man trotzdem, dass tatsächlich das Kohlendioxid und andere menschliche Einflüsse zu der Erwärmung führen?

Den Klimaforschern stehen zwei wichtige Methoden zur Verfügung. Erstens gewinnen Forschungsteams immer verlässlichere Daten über das Klima der Vergangenheit. Zuletzt werteten Klimatologen einen Bohrkern aus der Antarktis aus. In dem Eis ist bis zu 650 000 Jahre alte Luft eingeschlossen. Wie an einer Zeitleiste kann an dem Bohrkern die Zusammensetzung der Atmosphäre in den letzten 650 000 Jahren nachgemessen werden. Am 25. November veröffentlichte das europäische Forscherteam die Analyse dieses Bohrkerns. Ein Ergebnis: Die heutige Konzentration von Kohlendioxid liegt um 27 Prozent höher als der höchste Stand während der letzten 650 000 Jahre. Ähnliche Erkenntnisse werden auch aus Baumringen, Tropfsteinhöhlen und Sedimenten gewonnen. Aus solchen Klimadaten lässt sich abschätzen, wel­che Faktoren in der Vergangenheit das Klima auf der Erde bestimmt haben.

Zweitens werden Klimasimulationen am Computer immer genauer. Nicht umsonst rangieren Computer, die speziell für die Klimamodellierung gebaut wurden, in der Weltrangliste der Hochleistungsrechner ganz weit oben. Spitzenreiter war von 2002 bis 2004 der »Earth Simulator«. Mit seinen 5 120 Prozessoren füllt er in Yokohama eine Halle, groß wie ein halbes Fußballfeld. Solche im Computer durchgespielten Modelle können inzwischen die historischen Daten sehr gut erklären. Und die gleichen Simulationen weisen die menschengemachten Klimagase als die entscheidende Ursache des aktuellen Temperaturanstiegs aus.

So geben selbst einige Klimaskeptiker, die den CO2-Effekt in der Vergangenheit leugneten, zu, dass von Menschen produzierte Abgase die Erdatmosphäre erwärmen. Auf den einschlägigen Internetseiten wie steinkohle-portal.de, wv-bergbau.de oder konservativ.de gehen deshalb freilich die Argumente nicht aus. Wenn tatsächlich eine Erwärmung stattfinde, dann lasse sie sich durch das Kyoto-Protokoll ohnehin nicht stoppen, heißt es jetzt. Außerdem könne eine Erwärmung durchaus positive Effekte haben. Und tatsächlich, neuerdings können wir Mittelmeerfische aus der Nordsee beziehen.

Glücklicherweise gibt es auch andere zahlungskräftige Interessengruppen, die weniger an den fossilen Ener­gieträgern hängen. Zum Beispiel ist die Versicherungsbranche an einer vernünftigen Risikoabschätzung interessiert. So hat die Münchner Rückversicherung sich dieses Jahr mit dem aufwändig gestalteten Buch »Wetter­katas­trophen und Klimawandel – sind wir noch zu retten?« in die Debatte eingemischt. Schließlich spiegelt sich die Zunahme an Naturkatastrophen in den letzten Jahrzehnten bereits in den Geschäftsbüchern.

Bei der Schadenshöhe spielt zwar auch z.B. die zunehmende Verstädterung eine Rolle, doch die Hinweise, dass die Erwärmung schon jetzt zu einer Zunahme von Stürmen, Überschwemmungen und Hitzewellen führt, sind deutlich. Besondere Sorgen aber machen den Versicherungen schwer einzuschätzende, plötzliche Klima­umschwünge. Diese Sorge teilt die Branche mit dem weniger zahlungskräftigen Teil der Menschheit.

Was also könnte den Klimawandel zur Katastrophe machen? Der von den Vereinten Nationen eingesetzte »zwischenstaatliche Ausschuss für Klimafragen« sagt voraus, dass die weltweite Durchschnittstemperatur in den kommenden hundert Jahren um 1,5 bis 5,8 Grad steigen wird. Der Meeresspiegel würde dementsprechend um neun bis 88 Zentimeter steigen. Die unteren Werte werden vermutlich nur dann erreicht, wenn die Menschheit ab sofort den Ausstoß an Klimagasen deutlich drosselt. Diese globalen Effekte allein schaffen zwar Probleme, scheinen aber noch nicht dramatisch zu sein. Mit einer allmählichen Änderung des Klimas könnte die Menschheit bei einer vernünftigen Planung ohne allzu viel Leid fertig werden.

Beängstigender sind schnelle Klimawechsel. Solche deutlichen Änderungen der Wetterbedingungen innerhalb weniger Jahre scheinen in einzelnen Regionen durchaus wahrscheinlich. So wird insgesamt die Niederschlagsmenge steigen, da vermutlich aber die Sommer heißer werden, könnten viele jetzt noch fruchtbare Gebiete innerhalb von Jahrzehnten austrocknen. Solche regionalen Umschwünge sind aber viel schwerer vorherzusagen als der globale Trend. Erst langsam beginnen die Forscher, das Zusammenspiel der vielen Faktoren, die solche Ereignisse hervorrufen, zu verstehen.

Ernsthaft diskutiert wird dabei auch eine plötzliche Abkühlung in Europa als indirekte Folge der globalen Erwärmung. Es gibt schon jetzt Anzeichen dafür, dass sich der Teil des Golfstroms, der für mildes Klima in Europa sorgt, abschwächt. Die meisten Forscher, die sich mit dem Phänomen beschäftigen, rechnen nicht mit einem plötzlichen Abreißen dieser atlantischen Klimaanlage in den nächsten 100 bis 200 Jahren. Aber auch ein Erlahmen des Stroms könnte dramatische Folgen haben, weniger in Europa als in den Monsungebieten Afrikas und Asiens. In der Vergangenheit kam es dort zu Dürreperioden, wenn es in Europa kälter wurde.

In der Erdgeschichte gab es immer wieder plötzliche Klimaumschwünge innerhalb weniger Jahre, die mit dem Umschlagen von Meeresströmungen und ähnlichen Mechanismen erklärt werden können. Das Wissen um diese klimatischen Kippschalter ist aber noch sehr ungesichert. Es liegt aber nahe, dass die momentane Erwärmung solche Ereignisse wahrscheinlicher macht. Der Klimaforscher Richard Alley vergleicht das Klimasystem der Erde mit einem schaukelnden Kanu, von dem wir nicht wissen, an welchem Punkt es in die eine oder andere Richtung kippt. »Tanzen in einem Kanu empfiehlt sich gewöhnlich nicht. Dennoch tanzen wir.«

Auf die Dürreperiode in Afrika vor 2,5 Millionen Jahren gab es nicht nur eine kulturelle, intelligente Antwort, sondern auch eine evolutionäre. Aus den Vormenschen entwickelten sich neben der Werkzeuge gebrauchenden Gattung Homo auch die so genannten Nussknackermenschen. Sie waren mit einer extrem starken Kaumuskulatur und breiten Mahlzähnen ausgestattet. Sie starben bei der nächsten Klimaänderung aus.