Alles so schön bunt hier

In der vorigen Woche stellte die Europäische Kommission die neue Fernsehrichtlinie der EU vor. Zukünftig soll Produktplatzierung in audiovisuellen Medien möglich sein. von martin kröger

Der Skandal erschütterte die Glaubwürdigkeit des öffentlich-rechtlichen Fernsehens. Über zehn Jahre lang, so recherchierte der leitende Redakteur des Evangelischen Pres­sedienstes (EPD), Volker Lilienthal, wurde ausgiebig Werbung in der ARD-Vor­abend­serie »Ma­rienhof« platziert. Minutiös wies er in diesem Sommer nach, wie illegale Schleichwerbung in der beliebten Vorabendserie untergebracht wurde.

Sogar in die Entwick­lung der Drehbuchdialoge waren die Auftraggeber miteinbezogen worden. Integriert wurde alles, was sich verkaufen ließ: Neben mehr oder weniger versteckter Werbung für Firmenprodukte wurden Dienstleistungen feilgeboten wie die der Reiseagentur L’Tur, deren Slogans in der Sendung auftauchten. Schleichwerbung schaltete neben Teppichbodenherstellern, dem Deutschen Tanzlehrerverband und dem Filmverleih UIP auch der Zentralverband Sanitär-Heizung-Klima, der bereits Mitte der neunziger Jahre in »Ma­rienhof« seine Ansichten mittels eines in der Serie vorkommenden Klempners verbreiten ließ. Das Symbol des Verbandes trug der Klempner auf seinem Arbeitsanzug, indes seine Textpassagen von der »Arbeitsgemeinschaft textiler Bodenbelag« mit ausgearbeitet wurden, wie der EPD erfuhr.

Der Skandal brachte die Produktionsfirma, die Bavaria-Fernsehproduktion, und die ARD in Misskredit. Diese kündigte Untersuchungen an und verwies gleichzeitig auf die Verant­wortung der Münchener Unternehmensberatung H&S und deren Schwesterfirma »Kultur und Werbung«, die die Geschäfte mit dem »Marienhof« eingefädelt hatte.

Geht es nach Viviane Reding, der EU-Kommissarin für Informationsgestaltung und Medien, könnte derartiges Product Placement in Zukunft legal sein. Allerdings mit dem kleinen Unterschied, dass zu Beginn einer Sendung darauf hingewiesen wird, welcher Markenartikel im folgenden beworben wird. Dies ist nur eine der Änderungen, die Reding in der vergangenen Woche für die Novelle der aus dem Jahr 1989 stammenden Fernsehricht­linie der EU vorschlug. »Mein Ziel ist es, die weltweit modernsten und flexibelsten Rahmenbedingungen zu schaffen, um so das Wachstum der audio­visuellen Medien in Europa zu för­dern«, sagte die Medienkommisarin.

Mit den neuen Regeln sollen der Wettbewerb verbessert und die Wahlmöglichkeiten erleichtert werden. Es sei »ein entscheidender Schritt zur Schaffung audiovisueller Medien ohne Grenzen innerhalb des europäischen Binnenmarktes«, meint Reding. Aber welche Umgestaltungen verbergen sich hinter diesen allgemeinen Ankündigungen für ein »Fernsehen ohne Grenzen«?

Zunächst sollen die neuen Regeln auf alle Dienste ausgeweitet werden, also neben dem Fernsehen auch auf das Internet und Mobilfunkanbieter, die solche visuellen Formate inzwischen ebenfalls anbieten. Neben diesen »linearen« Diensten hat die Kommission auch Vorschläge unterbreitet, die für »non-lineare« Dienste, also aus dem Internet herunterlad­bare Filme und Nachrichten, die sich die Nutzer selber aus dem Netz holen, gelten sollen.

Während für diese Angebote nur sehr allgemeine Vorschriften wie der Jugend­schutz gelten, der etwa die Anstachelung zum Rassenhass und Schleichwer­bung verbietet, sollen die Vorschriften für Werbung im Fernsehen flexibi­lisiert werden. »Künftig können die Fernsehveranstalter dann selbst entscheiden, wann sie Werbung in ihr laufendes Programm einfügen wollen«, stellt sich die Europäische Kommission vor.

Heute müssen zwischen den Wer­beunterbrechungen noch 20 Minuten vergehen. Die Obergrenze von zwölf Mi­nuten Werbezeit pro ausgestrahlter Stunde soll allerdings bestehen bleiben. Neu zugelassen werden sollen geteilte Bildschirme sowie virtuelle und »interaktive« Werbung, wozu auch das zu Beginn einer Sendung angekündigte Product Placement zählt.

Ausgenommen sein sollen davon »Nachrichten, Sendungen zum aktuellen Zeitgeschehen und Kinderprogramme«. Gar keine Möglichkeit, in dieser Form zu werben, sollen Tabakhersteller und Pharmaunterneh­men bekommen, die verschreibungspflichti­ge Medikamente herstellen. Neben Rechtssicher­heit verspricht sich die Kommission vor allem mehr Einnahmen für die Anbieter. »In 18 Monaten könnte die Richtlinie umgesetzt sein«, sagte Viviane Reding im Deutschlandradio.

Dazu bedarf der Vorschlag, den die Wett­bewerbskommissarin vorgelegt hat, noch der Zustimmung des Europäischen Parlaments und des Ministerrats. Gegen das Gesetzesvorhaben sprechen sich insbesondere die Lobbyorganisationen der privaten Fernsehsender aus, weil ihnen die »Flexibilisierun­gen« nicht weit genug gehen. »Die Kommis­sion bleibt weit hinter unseren Erwartungen und ihren bisherigen Ankündigungen zurück«, sagte Tobias Schmid, der Vorsitzende des Fachbereichs Fernsehen und Vizepräsident des Verbandes Privater Rundfunk und Kom­mu­nika­tion (VPRT). In dem Verband sind fast alle von Rundfunk- und Fern­seh­un­ter­nehmen in Deutschland organisiert, insgesamt rund 170 Unternehmen.

Zwar gehe es den Privaten nicht darum, mehr Werbung im Programm unterzubringen, behauptet Schmid, sondern angeblich darum, Wer­bung »individueller« gestalten zu können. Aber schon das anvisierte Verbot von Werbung für Nachrichten und Kindersendungen ist dem Verband nicht genehm. »Gerade im kostenintensiven Nachrichten­geschäft mit einem internationalen Korrespondentennetz wird die Position gegenüber den gebührenfinanzierten Rundfunkanstalten so nachhaltig geschwächt«, beklagt Schmid. Werbefinanzierte Nachrichten, gesponserte Korrespondenten? Wie unter solchen Bedingungen Nachrichten erstellt wer­den sollen, die dem Betrachter eine freie und unmani­pulierte Meinungsbildung ermöglichen, verschweigt der VPRT.

Obwohl diese weitreichenden Vorstellungen der Privatsender in der neuen EU-Fern­seh­richt­linie aus­drücklich ausgeschlossen bleiben, wird Kritik an dem Gesetzesvorhaben auch von anderer Seite laut. »Der Erfolg europäischer Programme beruht gerade­zu auf ihrer Integrität und ihrem hohen Qua­li­täts­an­spruch«, meinen die Europaabgeordneten Re­becca Harms und Helga Trüpel von den Grünen. Die nun vorgeschlagenen Novellierungen seien viel zu schwam­mig formuliert, monieren sie. Dies gelte besonders für den Schutz von Informationssendun­gen, deren redaktionelle Unabhängigkeit nicht gesichert sei.

Außerdem befürchten sie, »dass die Kommission sich mit dem Richtlinienvorschlag möglicherweise selbst eine Grundlage geschaffen hat, um die Legiti­­mität des öffentlich-rechtlichen Rundfunks erneut in Frage zu stellen, da die Zulassung von Produktplatzierungen möglicherweise eine neue Beihilfedis­kussion entfachen kann.« Denn wenn Product Place­ment in den öffentlich-rechtlichen Sendern möglich wird, warum sollen noch Gebühren erhoben werden, agitieren die Konkurrenten, die Privatsen­der.