Demokratie für Anfänger

Seit einem Jahr lernen Zuwanderer in Integrationskursen das wahre Deutschland kennen. Einen Kurs in Hamburg besuchte agnes saberski

Wie wurden die BRD und DDR zu einem Staat? a) Die BRD hat die DDR erobert. b) Die fünf östlichen Bundesländer sind der BRD beigetreten. c) Die westlichen Bundesländer haben die DDR gekauft.« Hätten Sie’s gewusst? Es geht noch kniffliger: »Wie viele Ausbildungsberufe gibt es in Deutschland?« Oder: »Allerheiligen ist der Feiertag, an dem man in der katholischen Kirche a) für die gute Ernte dankt, b) an eine geliebte Person denkt und ihr ein Herz schenkt, c) an die Verstorbenen denkt und an ihren Gräbern betet.«

Die deutsche Leitkultur lässt grüßen. Der Verlag Langenscheidt hat einen Modelltest für den 30stündigen Orientierungskurs herausgegeben, der den Abschluss des insgesamt 600 Stunden umfassenden Integrationskurses bildet, zu dem Migranten nach dem neuen Zuwanderungsgesetz verpflichtet sind.

Bisweilen drängt sich beim Durchblättern dieses und anderer Lehrbücher der Eindruck auf, dass die Mi­gran­ten zusätzlich einen Anfängerkurs in Demokratie, Religionsfreiheit und Kindererziehung absolvieren. »Die Kindererziehung in Deutschland ist a) hauptsächlich Aufgabe des Staates, b) hauptsächlich Aufgabe der Eltern, c) Aufgabe der Großfamilie« wird da etwa gefragt. Oder aber: »Wenn man ein Kind schlägt, a) gehört das zur Erziehung, b) ist das kein Problem, c) macht man sich strafbar.«

Es bedarf schon der Mühe der Lehrenden, den Orientierungskurs etwas lebensnaher zu gestalten. Zum Glück geben sich viele von ihnen die Mühe.

»Was fällt euch zu Bayern ein?« fragt Cornelia Witter*, die an einer Hamburger Bildungseinrichtung unterrichtet, die 23 Männer und Frauen aus der Türkei, aus Afghanistan, Russland, Chile, Ecuador, Iran, Indien, Ghana und Gambia. Das Klassenzimmer ist groß und hell. Die Kursteilnehmer blicken auf eine bunte Landkarte, Witter zeigt auf Bayern. Es fallen die Worte »Oktoberfest«, »Bier«, »Berge« und »München«. »Bayern, oh je, da sind viele Nazis«, ruft Daniel da Cruz* in die Runde. Rechtsextremismus ist allerdings im Orientierungs­kurs nicht als Thema vorgesehen.

Der Crashkurs in Sachen Deutschland muss kurz vor der Abschlussprüfung zum »Zertifikat Deutsch« belegt werden. Ein festes didaktisches Konzept existiert noch nicht, doch die Ziele hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in Nürnberg bereits formuliert: Er soll das »Verständnis für das deutsche Staatswesen wecken«, »eine positive Bewertung des deutschen Staates« entwickeln, »Kenntnisse der Rechte und Pflichten als Einwohner und Staatsbürger vermitteln« und »zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben befähigen«. Außerdem gibt es Empfehlungen für die Träger des Kurses: »Der Orientierungskurs soll neben Alltagswissen Kenntnisse der Rechtsordnung, der Kultur und der Geschichte in Deutschland vermitteln.«

Themen wie das Wahlrecht, das So­zialstaatsprinzip, Föderalismus und staatsbürgerliche Rechte (»Einhaltung der Gesetze«, »Zahlung von Steuern«) stehen auf dem Programm. Die Geschichte Deutsch­lands beginnt nach den Empfehlungen des Bundesamts mit dem Jahr 1945. Das »Wirtschaftswunder« und die Deutsche Einheit stehen ganz oben. Unter der Rubrik Kultur sollen das »Gebot der Pünktlichkeit« und andere einzuhaltende Regeln (»kein Besuch ohne Ankündigung«, »alltäglicher mitmenschlicher Umgang«, »Einhaltung von Ruhezeiten«, »Ordnung und Sauberkeit (Mülltrennung)«) behandelt werden. Außerdem könne die Trennung von Beruf und Privatsphäre beleuchtet werden: »Schenken ist allgemein auf die Privat­sphä­re zu beschrän­ken (Bestechung/Korruption)«. Weitere Unterpunkte sind »Sachlichkeits- und Zielorientierung im Beruf«, »Das ›Zeit-ist-Geld-Prinzip‹« sowie »Erst die Arbeit, dann das Vergnügen«.

Farzana Nabi* ist den Tränen nahe. Bei ihr stehen weder Arbeit noch Vergnügen an. »Nur zwei Stunden am Tag, warum ist das nicht möglich?« Die hoch gewachsene Frau aus Afghanistan hat ein Hotel in St. Pauli gefunden, das sie als Putzhilfe beschäftigen würde, wenn sie eine Arbeitserlaubnis bekäme. Theoretisch ist das möglich, doch die Hamburger Behörden bleiben hart. Weil den Job auch eine Deutsche machen könnte, bekommt ihn die Afghanin nicht – mehrmaliges Nachfragen, das Einschalten eines Anwalts und die Tatsache, dass die Arbeitsstelle schon seit zwei Monaten vakant ist, nützen nichts.

Nabi streicht sich die schwarzen Locken aus ihrem Gesicht. »Das darf ich nicht, dies darf ich nicht«, ärgert sie sich. Seit fünf Jahren ist die allein erziehende Mutter dreier Kinder in Deutschland, sie möchte hier leben und arbeiten. Doch sie besitzt nur eine kurzfristige Duldung, und Hamburg schiebt seit einigen Monaten wieder Flüchtlinge nach Afghanistan ab. So bleibt ihr ein Integrationskurs offiziell verwehrt: Nur Migranten, die sich »dauerhaft« in der Bundesrepublik aufhalten werden, haben einen Anspruch auf den öffentlich geförderten Deutschkurs, heißt es bei der Nürnberger Behörde.

Den Kurs besucht Nabi trotzdem. Ihr Status lautet »Gast«, und sie muss die volle Gebühr zahlen. 100 Unterrichtsstunden in sieben Wochen kosten 150 Euro in einer interkulturellen Bildungseinrichtung. Und das ist noch billig. An der Volks­hochschule müssen Selbstzahler 205 Euro berappen. Nach der neuen Regelung haben einzig neu zuwandernde Ausländer und Spätaussiedler sowie deren Familienangehörige einen Anspruch – aber auch die Verpflichtung –, an einem Integrationskurs teilzunehmen. Schon länger in Deutschland lebende Migranten und EU-Bürger können nur einen Kurs belegen, wenn noch Plätze frei sind.

Neben Nabi steht Metin Aydin* im Treppenhaus der Sprachschule im Stadtteil Altona. Gerade hat sich der junge Mann aus der Türkei nach einem Kurs erkundigt. »Ich will doch nur Deutsch lernen! Das ist alles«, schimpft er. Er hat keine Lust, wie auf der Behörde seinen Pass vorzuzeigen, eine Kopie davon zu machen, auf Formularen das Jahr seiner Einreise einzutragen und sich in der Rubrik »Grund der Einreise« zwischen »Familiennachzug zu einem deutschen Ehegatten (Nachweis der deutschen Staatsangehörigkeit beifügen)«, »Familiennachzug zu einem ausländischen Ehegatten (Kopie des aktuellen Aufenthaltstitels des Ehegatten beifügen)« oder »Sonstige(n) Gründe(n)« entscheiden zu müssen. »Was wollen die immer wissen«, fragt er, schlägt seinen Kragen hoch und schüttelt den Kopf.

Den meisten, die einfach nur Deutsch lernen wollen, bleibt das bürokratische Verfahren nicht erspart. Rund 170 000 Migranten besuchen derzeit in ganz Deutschland Integrationskurse, in Hamburg sind es etwa 4 000. Immer mehr Kursteilnehmer verpflichtet die Hamburger Ausländerbehörde zur Teilnahme, vor allem diejenigen, die seit Januar 2005 neu eingereist sind. »Die wenigsten verstehen das System der Integrationskurse. Oft ist ihnen unklar, dass Behörde und Schule zwei getrennte Einrichtungen sind«, sagt die Deutschlehrerin Witter.

Über Sanktionen ist bislang noch nichts bekannt, aber das Bundesamt lässt mitteilen: »Wer trotz Teilnahmepflicht nicht an einem Kurs teilnimmt oder einen begonnenen Kurs abbricht, muss mit Schwierigkeiten bei der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis rechnen. Außerdem kann die Verletzung der Teilnahmepflicht bei der Gewährung von Sozialleistungen (Kürzungen bis zu 10 Prozent möglich) und bei der notwendigen Frist für eine Einbürgerung berücksichtigt werden.« Willkommen in Deutschland!

* Name von der Redaktion geändert