Ein Sieg der Agroindustrie

Mit einem Minimalkompromiss hat der WTO-Gipfel in Hongkong ein Scheitern der laufenden Welthandelsrunde abgewendet. Nicht nur EU und USA, auch Schwellenländer setzen auf protektionistische Maßnahmen. von wolf-dieter vogel

Ist die EU bereit, ihre Exportsubventionen einzustellen? Wird Washington die Beihilfen für seine Baumwollproduzenten abbauen? Sechs Tage lang diskutierten die Vertreter der 149 Mitgliedstaaten der Welthandelsorganisation (WTO) in der vergangenen Woche in Hongkong über eine handelspolitische Öffnung für Dienstleistungen, Industrieprodukte und landwirtschaftliche Güter. Doch wie schon beim letzten Treffen vor drei Jahren in Cancún hing auch auf dieser 6. WTO-Konferenz alles an der Frage, ob die USA, die EU und andere Industriestaaten zur Abschaffung ihrer Exporthilfen bereit sind.

Nur unter dieser Bedingung, so viel war spätestens seit dem gescheiterten Kongress in dem mexikanischen Karibikseebad klar, werden Schwellenländer wie Brasilien oder Indien ihre Pforten für Waren und Dienstleistungen aus dem Norden weiter öffnen. Schließlich können diese Agrarproduzenten auf dem Weltmarkt nicht mit den subventionierten Erzeugnissen aus den USA oder Europa konkurrieren. Für die kleinen Ökonomien armer Entwicklungsländer wirken sich diese Waren oft ruinös aus. Etwa in den baumwollproduzierenden afrikanischen Staaten Benin, Mali, Kamerun oder Senegal. Sie können nicht gegen die mit jährlich fünf Milliarden Dollar bezuschussten US-Produkte konkurrieren. Oder in Jamaika, wo subventioniertes EU-Milchpulver den Absatzmarkt und damit die Existenz zahlreicher Milchbauern zerstörte.

Damit soll jetzt Schluss sein. Zumindest langfristig. Bis zum Jahr 2013 sollen sämtliche Exporthilfen auslaufen, heißt es in der WTO-Ministererklärung vom Sonntag. Mit dieser Einigung haben die WTO-Staaten ein endgültiges Scheitern der Freihandelspläne verhindert, wie sie auf der Entwicklungskonferenz in Doha im Jahr 2001 festgelegt wurden und bis Ende nächsten Jahres umgesetzt werden sollen. Folglich sprach EU-Handelskommissar Peter Mandelson nun mit Blick auf das Ergebnis von einem akzeptablen Kompromiss. Der WTO-Vorsitzende Pascal Lamy erklärte sogar: »Wir haben das Gleichgewicht in der WTO zu Gunsten der Entwicklungsländer verschoben.«

Immerhin: Ab 2008 dürfen die 49 nach Uno-Definition am wenigsten entwickelten Staaten – von einigen Ausnahmen abgesehen – unbegrenzt Waren zollfrei in die Industrieländer einführen. Doch was das Auslaufen der Agrarsubventionen betrifft, wurde mit dem Jahr 2013 ein weit in der Ferne liegender Termin festgelegt. Dafür waren insbesondere die Europäer verantwortlich. »Deutschland und die EU waren als treibende Kräfte dabei, in einem intransparenten und fragwürdigen Prozess eine entwicklungsfeindliche Agenda durchzusetzen«, berichtet Christina Deckwirth von der entwicklungspolitischen NGO Weed. Von einem neuen Zugeständnis könne nicht die Rede sein. »Die EU setzt nun lediglich langsam das um, was von ihr schon seit Jahren verlangt wird«, so reagierte Weed auf den Konferenz-Ausgang.

Die EU war mit einem Vorschlag angetreten, der keinen definitiven Endtermin vorsah. Mit dieser Haltung stieß die Union allerdings nicht nur bei den Staaten des Südens auf taube Ohren. Auch die US-Amerikaner wollten ihre Liberalisierungsvorhaben nicht ein weiteres Mal der Agrarfrage opfern. Schließlich scheitern bereits die Verhandlungen über eine Gesamtamerikanische Freihandelzone (FTAA) mit den lateinamerikanischen Staaten regelmäßig an diesem Punkt. Washington war also kompromissbereiter und konnte sich zugleich mit einer umstrittenen Position gegen die EU durchsetzen: Die kostenlose Verteilung von US-Agrarüberschüssen an arme Staaten muss nicht eingestellt werden. Die Europäer halten diese Nahrungsmittelhilfen für eine versteckte Exportsubvention der USA.

Dass sich die Länder des Nordens trotz aller gegenteiligen Befürchtungen auf das Enddatum 2013 einlassen mussten, wird vor allem der gemeinsamen Haltung der Entwicklungs- und Schwellenländer zugeschrieben. Bereits in Cancún waren 19 Staaten unter Führung von Brasilien, Indien und Südafrika als gemeinsame Kraft der »G 20« gegen Washington, Tokio und Brüssel aufgetreten. Unter dem neuen Label G 110 haben sich nun in Hongkong weitere 90 meist arme Länder mit der G 20 verbunden.

Zwar vereint die beiden Blöcke ziemlich wenig, dennoch haben sich brasilianische oder chinesische Regierungsvertreter erfolgreich als Verteidiger der Armen präsentiert. Dabei halten auch China oder Indien gegenüber Entwicklungsländern einen protektionistischen Außenschutz aufrecht, und die südafrikanische Agroindustrie überschwemmt den Markt ärmerer Länder ebenso skrupellos mit billigen Produkten wie ihre Konkurrenten aus dem Norden. So hat ein Freihandelsvertrag zwischen Mozambique und Südafrika dafür gesorgt, dass südafrikanische Unternehmer mit ihren Billigprodukten mozambikanische Bauern ruiniert haben. Mit einem ähnlichen Abkommen hat China die ökonomische Grundlage von etwa 100 000 thailändischen Bauern zerstört. Für Peter Rosset vom mexikanischen Zentrum für Agrarstudien Ceccam ist deshalb klar: Viele Staaten der G 20 fordern lediglich »einen perfekteren Freihandel«.

Ceccam gehört zum Umfeld der einflussreichen internationalen Bauernorganisation »Via Campe­sina«, die mit den südkoreanischen Aktivisten zu den wichtigsten Organisatoren der Aktionen gegen den WTO-Gipfel zählt. Unter dem Motto »Nieder mit der WTO« demonstrierten asiatische Via-Campesina-Gruppen regelmäßig auf den Straßen Hong­kongs gegen das Treffen. Mit tatkräftiger Beteiligung organisierter Südkoreaner, die sich gegen die Polizei durchsetzen konnten, drangen am Freitag viele Demonstranten sogar bis zum Austragungsort des Gipfels durch, um ihren Unmut gegen die Konferenz auszudrücken.

Schließlich gibt es für Via Campesina »weder mit der EU noch mit den USA oder den G 20-Staaten« etwas zu verhandeln. Die Organisation fordert, dass Themen der Ernährung und der Landwirtschaft »bei allen WTO-Diskussionen und regionalen und bilateralen Vereinbarungen« außen vor bleiben. Dagegen klagt sie die »Nahrungsmittelsouveränität« ein. Demnach soll eine von der Bevölkerung kontrollierte lokale Landwirtschaft, die vor Produkten zu Dumpingpreisen geschützt wird, die Unabhängigkeit der Versorgung garantieren – ein dezentral angelegtes Konzept, das Kleinbauern vor den Konsequenzen des liberalisierten Handels schützen soll. Zugleich läuft das Projekt jedoch Gefahr, subsistenzwirtschaft­liche Produktion zu verklären und den vermeintlich »unverzerrten« heimischen Markt als Alternative zur »neoliberalen Globalisierung« zu propagieren. Aber auch Via Campesina spricht sich eindeutig gegen ein Schwarz-Weiß-Weltbild aus, wie es bei namhaften NGO wie Oxfam immer wieder durchscheint. Auch in Brasilien, so Rosset, profitierten lediglich große Agroindustrien von einem erfolgreichen Abschluss in Hongkong.