Evangelikales 68

Auch in Deutschland gibt es christliche Fundamentalisten, die bislang aber recht unbedeutend sind. Doch vom Aufschwung der Evangelikalen könnten auch sie profitieren. von jörg kronauer

Der Bibelbund mag keine halben Sachen, weshalb sein Motto lautet: »Ganze Inspiration – Ganze Wahrheit – Ganze Einheit«. Seine Mitglieder sind felsenfest davon überzeugt, dass die ganze Bibel »bis in den Wortlaut hinein das durch göttliche Inspiration empfangene, wahre Wort Gottes« ist. Kein Körnchen Zweifel trübt die Überzeugung der Bibelbündler, einer besonders hartnäckigen Spezies protestantischen Christentums. Wissenschaftliche Erkenntnisse können kommen und gehen, die Mitglieder der im Jahr 1894 in einem pommerschen Pfarrhaus gegründeten Vereinigung halten »an der völligen Zuverlässigkeit und sachlichen Richtigkeit aller biblischen Aussagen« fest. Das Dogma von der »sachlichen Richtigkeit« gelte selbstverständlich »auch in geschichtlicher und naturkundlicher Hinsicht«.

Der Bibelbund gehört zum harten Kern des christlichen Fundamentalismus in Deutschland. Anders als in den USA haben fundamentalistische Gruppierungen, die die Evolutionslehre strikt ablehnen, in Deutschland bislang alledings nicht allzu viele Anhänger.

Zu ihnen scheint der thüringische Ministerpräsident Dieter Althaus (CDU) zu gehören. Nach der heftigen Kritik im Landtag sowie von Journalisten, Wissenschaftlern und auch aus der eigenen Partei musste die Staatskanzlei im Oktober den Kreationisten Siegfried Scherer von einer Veranstaltung namens »Erfurter Dialog« wieder ausladen. Scherer, der als Mikrobiologe an der Technischen Universität München arbeitet und nach eigenem Bekunden glaubt, dass alle Menschen von Adam und Eva abstammen, war auf die persönliche Initiative des Ministerpräsidenten eingeladen worden.

Auch wenn sein Buch »Evolution – ein kritisches Lehrbuch« nicht zum Schulunterricht zugelassen ist, wird es bald in die sechste Auflage gehen. Im Februar 2002 erhielt Scherer dafür den »Deutschen Schulbuchpreis«. Bei der Preisverleihung hielt Althaus, damals Fraktionsvorsitzender im Landtag, die Laudatio und lobte das Buch als »ein sehr gutes Beispiel für wertorientierte Bildung und Erziehung«. Die »Evolutionsgläubigen«, kritisierte er weiter, verallgemeinerten ihre »scheinbar in sich schlüssige Theorie« und ließen »für die Möglichkeit der Schöpfung keinen Raum«.

Bislang sind solche Erfolge für die deutschen Kreationisten selten. Mehrere Bibelschulen gibt es hierzulande, diverse Missionswerke, einen think tank (die »Studiengemeinschaft Wort und Wissen«) und natürlich die Hausschulbewegung. »Bewegung« ist ein bisschen übertrieben, um gerade einmal 600 bis 1 000 Kinder und ihre fundamentalistischen Eltern soll es sich dabei handeln. Die Kinder gehen nicht zur Schule, sondern erhalten ihren Unterricht im Elternhaus. Denn »der Glaube an Gott und sein Wort« werde »durch die Lehrinhalte der öffentlichen Schule zerstört«, heißt es beim Verein »Schulunterricht zu Hause«.

Wer sich um Informationen über die Hausschulbewegung bemüht, wird unter anderem in Publikationen der Partei Bibeltreuer Christen fündig. Die Partei darf man nicht als fundamentalistisch einstufen. Sie gehört vielmehr zur evangelikalen Bewegung. Diese wiederum ist weitaus größer und einflussreicher als das kleine Häuflein fundamentalistischer Bekenner. Insider schätzen, dass sich ihr in Deutsch­land rund 1,3 Millionen Menschen verbunden fühlen. Innerhalb der evangelikalen Bewegung werden die kreationistischen Ansichten der Fundamentalisten nicht unbedingt geteilt, finden aber Akzeptanz.

Die Gründe dafür liegen auf der Hand. Auch Evangelikale bekennen sich »zur göttlichen Inspiration der Heiligen Schrift, ihrer völligen Zuverlässigkeit und höchsten Autorität« – aber nur »in allen Fragen des Glaubens und der Lebensführung«, schreibt die Deutsche Evangelische Allianz, der größte evangelikale Dachverband in Deutschland. Während Fundamentalisten die Inspirationslehre radikaler auslegen und auch auf die Schöpfungsgeschichte anwenden, scheuen die Durchschnittsevangelikalen hiervor zurück. Nur die theologischen und ethischen Aussagen der Bibel nehmen sie beim Wort.

Sehr ernst, der Bedeutung ihrer Mission bewusst, blicken die Herren vom Leitungsteam des Bibelbundes ins Bild. Zwölf Männer sind es, und das muss als Zeichen Gottes begriffen werden. Die Anzahl erinnert an die Apostel, das Geschlecht der Amtsträger ruft die göttliche Geschlechterordnung in Erinnerung. »Die Frau schweige in der Gemeinde«, befahl der Apostel Paulus. Sein Gebot wurde in den unfehlbaren Wortlaut der Bibel aufgenommen. Die schreibt, so erfährt man in einer vom Bibelbund veröffentlichten Rezension, »die schöpfungsgemäße Leitungsposition des Mannes und die Unterordnung der Frau« vor.

Das diskriminierende Gebot des Apostels aber ist keine naturwissenschaftliche Aussage, sondern eine ethische, es gilt daher nicht nur den Fundamentalisten, sondern der gesamten Evangelikalen Bewegung als prinzipiell göttlich inspiriert. Nicht wenige Evange­likale lehnen die Ordination von Frauen zu Pfarrerinnen nach wie vor rundweg ab. Zwar hat der gesellschaftliche Modernisierungsdruck dazu geführt, dass inzwischen in einigen evangelikalen Organisationen Frauen auch in Leitungspositionen sind. Nach wie vor ist jedoch der Antifeminismus eines der Motive, die die evangelikalen Gruppen miteinander verbindet. Die Fundamentalisten sind dabei bestens integriert.

Langfristig könnten auch fundamentalistische Gruppierungen von den Erfolgen der evangelikalen Bewegung profitieren. Diese hat sich in den vergangenen 30 Jahren organisatorisch stabilisiert. Allein die Deutsche Evangelische Allianz unterhält rund 1 250 Ortsverbände und vertritt rund 330 weitere überregional arbeitende Organisationen. Mit Massenveranstaltungen gelingt es den Evangelikalen, Medienöffentlichkeit zu gewinnen und die eigene Basis zu begeistern; insbesondere poppige »Jugendevangelisationen« treffen den konservativen Grundton der heranwachsenden Generation. 40 000 Menschen sollen sich im vergangenen Jahr am »Jesus-Marsch« in Berlin beteiligt haben. Bei der Evangelischen Allianz spekuliert man inzwischen sogar über ein »evangelikales 68«.

Ob die Härtesten unter den Evangelikalen, die Fundamentalisten mit ihrer kreationistischen Weltanschauung, in der Lage sein werden, den für sie günstigen Trend zu nutzen, muss sich erst noch zeigen. Betrachtet man die ernsten Herren vom Leitungsgremium des Bibelbunds, dann beschleichen einen leise Zweifel. Zu verknöchert kommt der deutsche Fundamentalismus daher. Die Verbiesterung hat er – im Gegensatz zum US-amerikanischen Fundamentalismus – nie abstreifen können. Während es den Evangelikalen immer besser gelingt, die kulturelle Verpreu­ßung ihrer Bewegung zu überwinden, sind die Fundamentalisten Gott sei Dank nach wie vor unsexy.