Prügel für Pamuk

Zum Auftakt des Prozesses gegen Orhan Pamuk wurde der Schriftsteller von einem nationalistischen Mob angegriffen. Das Verfahren wurde schleunigst vertagt. von sabine küper-büsch, istanbul

Da haben wir uns glücklich in den eigenen Fuß geschossen«, titelte der Kolumnist Taha Akyol treffend am Freitag, nach dem Fiasko des Prozesses gegen den türkischen Schriftsteller Orhan Pamuk, in der Tageszeitung Milliyet.

Tatsächlich wirbelten die Szenen vor dem Gerichtsgebäude und in den engen Gängen des Justizpalastes im Istanbuler Stadteil Sisli in ihrer geballten Gewalttätigkeit nur zu sehr den Bodensatz der Anklage gegen den renommierten Schriftsteller auf. »Liebe das Vaterland oder verlass es«, johlten die nur zu diesem Zweck angerückten ultranationalistischen und faschistischen Demonstranten, die diesen Slogan 2001 für den Prozess gegen den Führer der PKK, Abdullah Öcalan, entwickelt hatten.

Doch nicht nur der Mob, auch die Anwälte, die als Nebenkläger auftraten, unterstrichen ihren Patriotismus handgreiflich. Der Europa-Parlamentarier Denis MacShane wusste nicht, wie ihm geschah, als plötzlich ein Mann in schwarzer Robe Kopfnüsse auf ihn niederhageln ließ. Der Journalist Hrant Dink, Chefredakteur der armenischen Wochenzeitung Agos, wurde mit Parolen wie »Dich sollte man wie deine Vorfahren verrecken lassen« beschimpft.

Mit einer solchen Eskalation hatten weder der Angeklagte und die Prozess-Beobachter noch die überforderten Sicherheitskräfte gerechnet. Pamuk musste lange Zeit im Innern seines Fahrzeuges warten, das mit Eiern beworfen wurde. Die nationalistischen Demonstranten schlugen mit Fäusten auf das Auto ein, bis die Windschutzscheibe sprang. Nur die Polizei konnte dann den Zugang zum Gerichtsgebäude sichern.

Dabei wäre der peinliche Aufmarsch vor Gericht vermeidbar gewesen. Bereits Anfang Dezember hatte die zweite Kammer des Strafgerichts in Sisli die Klage gegen Orhan Pamuk wegen »Herabwürdigung des Türkentums« zur Prüfung an das Justizministerium weitergeleitet. Geprüft werden soll, ob die Äußerung des Schriftstellers gegenüber einer Schweizer Zeitung, die Türkei habe eine Million Armenier und 30 000 Kurden umgebracht, in der Türkei strafbar ist.

Von dieser Verschleppungstaktik hätte sicher am liebsten Orhan Pamuk selbst gewusst. Nach dem Verlassen des Gerichtsgebäudes bedauerte er vor allem, dass er seine vorbereitete Verteidigung nicht vorbringen konnte. Die Verhandlung wurde auf den 7. Februar vertagt.

Besonders inkompetent wirkte Justizminister Cemil Cicek mit der brillanten Äußerung, die Medien hätten, Pamuk als Vaterlandsverräter beschimpfend, eine »große Rolle« bei der Annahme der Anklage gespielt. Eine Entscheidung habe er, Civek, bislang allerdings nicht treffen können, denn die Akte sei noch nicht bei ihm eingetroffen. Es ist anzunehmen, dass die regierende »Partei für Gerechtigkeit und Fortschritt« (AKP) nun nach einem eleganten Weg sucht, das lästige Verfahren loszuwerden.

Erschwerend wirkt dabei die Tatsache, dass ein Teil der Wähler der AKP ebenfalls ultranationalistische Meinungen vertreten. Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan verunglückte vor zwei Wochen bereits ein inhaltlicher Spagat. Er wies erneut auf die Haftstrafe hin, die er 1998 wegen der Rezitation eines Gedichtes verbüßen musste, hin, um zu betonen, dass kein Kritiker des Verfahrens gegen Pamuk, vor allem aus Europa, ihm damals zur Hilfe geeilt sei. Was er damit eigentlich sagen wollte, blieb ebenso im Unklaren wie die Haltung der türkischen Regierung zur dringend notwendigen Demokratisierung im Land.